# taz.de -- Kommentar EU-Gipfel: Europa wird deutsch | |
> Merkels Fiskalplan trägt kaum zum Abbau der Schulden bei. Bevor er | |
> greift, ist Griechenland längst pleite. Darüber hinaus werden sich die | |
> EU-Staaten gegenseitig vor den Kadi zerren. | |
Bild: Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds, schaut … | |
Das "deutsche Europa" nimmt Gestalt an – und es sieht nicht gut aus. Es ist | |
ein Europa, in dem Sparkommissare oder andere, demokratische nicht | |
legitimierte Oberaufseher über das Schicksal ganzer Länder entscheiden – | |
siehe Griechenland. Es ist ein Europa, in dem sich Regierungen gegenseitig | |
vor den Kadi zerren, weil sie die Sparvorgaben nicht einhalten, die | |
Deutschland diktiert hat. | |
Wenn Merkels Fiskalpakt wie geplant 2013 in Kraft tritt, wird es möglich | |
sein, dass Berlin die Regierung in Paris verklagt, weil der französische | |
Budgetentwurf nicht den neuen strikten Haushaltsregeln entspricht – noch | |
vor ein paar Monaten wäre das undenbkar gewesen. | |
Gewiss, eine sparsame, nachhaltige Haushaltspolitik liegt auch im Interesse | |
der jungen Generation. Irgend jemand muss schließlich die hohen Defizite | |
abtragen. Aber zum Abbau der immensen Schuldenberge trägt der Fiskalpakt | |
kaum bei; da wäre ein Schuldentilgungsfonds, wie ihn der deutsche | |
Sachverständigenrat vorgeschlagen hat, viel besser gewesen. | |
Auch zur Eindämmung der Eurokrise taugt der Pakt nicht. Wenn die | |
Schuldenbremsen wirken sollten – viele zweifeln daran, dass sie überhaupt | |
funktionieren – dann frühestens in zwei, drei Jahren. Bis dahin ist | |
Griechenland endgültig pleite. | |
Selbst der neue Plan für Wachstum und Beschäftigung hält nicht, was er | |
verspricht. Denn zum einen soll es dafür kein frisches Geld geben – es | |
werden einfach nur längst eingeplante Mittel umgewidmet. | |
Zum anderen sind die geplanten Strukturreformen ein alter Hut. Sie wurden | |
bereits in der EU-Strategie 2020 und im Wettbewerbspakt vom letzten Jahr | |
angekündigt - geholfen hat es alles nichts. | |
Im günstigsten Fall werden die Reformen erst in ein paar Jahren Früchte | |
tragen, räumen selbst die Berater der Kanzlerin ein. Doch die | |
Arbeitslosigkeit ist schon jetzt auf Rekordniveau, Europa droht eine | |
„verlorene Generation“. | |
Viel Hoffnung geht von diesem Gipfel also nicht aus, auch wenn die "eiserne | |
Kanzlerin" mit sich und ihrem Erfolg zufrieden sein kann. Tragfähig wird | |
das deutsche Europa erst dann, wenn es ergänzt und erweitert wird. | |
Was noch fehlt, ist alt bekannt: Ein größerer Rettungsschirm, der Italien | |
und Spanien vor den Attacken der Spekulanten schützt. Gemeinsame | |
europäische Staatsanleihen ("Eurobonds"), die die absurd hohen Zinsen auf | |
ein erträgliches Maß drücken. Und eine echte Fiskalunion, in der nicht nur | |
über Defizite, sondern auch über gemeinsame Steuern und Konjunkturprogramme | |
gesprochen wird. | |
Bisher lehnt Merkel all dies ab. Doch in Brüssel hoffen viele, dass sie | |
eines nicht allzu fernen Tages doch noch umdenken wird. Erst wenn die | |
deutsche Politik europäischer wird, kann ganz Europa wieder Hoffnung | |
schöpfen. | |
31 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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