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# taz.de -- Griechenlands Sparbilanz: Teuflischer Sparkreis
> Athen hat viel getan, um den Forderungen der Europartner zu entsprechen.
> Die Unternehmer stöhnen, die Bevölkerung protestiert - aber der
> Schuldenberg wird nicht kleiner.
Bild: Die Arbeitslosenquote in Griechenland liegt bei knapp 20 Prozent.
ATHEN taz | Seit Beginn der Griechenland-Krise hat die Regierung in Athen
das Haushaltsdefizit deutlich verringert: Von 15,4 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2009 auf 9,7 Ende 2011. Kein anderes
OSZE-Land hat jemals in Friedenszeiten derartiges geleistet.
Dass die Defizitvorgaben für 2011 trotzdem um zwei Milliarden Euro verfehlt
wurden, ist aus griechischer Sicht auf einen Teufelskreis aus Sparmaßnahmen
und wachsenden Staatsdefiziten zurückzuführen. Sicher ist jedoch: Das
fehlende Geld wird über Sondersteuern eingesammelt und nachgezahlt. Zu
diesem Zweck werden vor allem Beamte, Rentner, Kleinverdiener und
Freiberufler verstärkt zur Kasse gebeten.
2010 erklärten die Regierung und die Troika-Experten übereinstimmend, der
aufgeblähte Staatsapparat sollte verringert werden, und vereinbarten aus
diesem Grund die sogenannte Arbeitsreserve: 30.000 Staatsbedienstete würden
bis Ende 2011 in eine Art Zwangsurlaub geschickt und anschließend
entlassen.
Diese "Entlassung auf Raten" wurde durch Ausnahmeregelungen verwässert und
von den Verwaltungsgerichten in Frage gestellt. Weniger als 15.000
Staatsbedienstete mussten gehen.
Seit 2011 macht Griechenland Ernst im Kampf gegen Steuerhinterziehung.
Schon im vergangenen Oktober drohte Finanzminister Evangelos Venizelos
damit, ganze Listen mit Namen von Steuersündern zu veröffentlichen.
Aus Datenschutzgründen zögerte er zunächst, seine Drohung wahrzumachen,
doch im Januar 2011 war es dann so weit: Venizelos gab die Namen von 4.152
Steuersündern bekannt, die beim griechischen Fiskus mit insgesamt 15
Milliarden Euro in der Kreide stehen.
Auch die Steuerfahndung geht mittlerweile konsequenter ans Werk. Sogar
Großunternehmer wie George Petzetakis, einer der führenden
Schlauchhersteller weltweit, oder der mächtige TV-Produzent Kostas
Giannikos wurden medienwirksam in Handschellen vorgeführt und der
Steuerhinterziehung angeklagt. Das wäre noch vor wenigen Monaten undenkbar
gewesen.
## Zu viele sind arbeitslos
Dass mittlerweile jeder griechische Automechaniker auf seine
Steuerehrlichkeit hin überprüft wird, hat seine Schattenseiten: Bislang war
Schwarzarbeit die einzige Überlebenschance für Freiberufler, die ansonsten
einfach nicht über die Runden gekommen wären. Ihre Unternehmen verschwinden
nun zunehmend vom Markt, wodurch die Arbeitslosigkeit steigt.
Heute sind fast eine Million Griechen ohne Beschäftigung. Das entspricht
einer Arbeitslosenquote von knapp 20 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit
hat sogar einen historischen Höchststand von über 43 Prozent erreicht.
Diejenige, die noch Arbeit haben, sehen sich mit Einkommenskürzungen
konfrontiert. Staatsbedienstete etwa müssen auf 30 bis 40 Prozent des
Jahresgehalts verzichten.
Auch in vielen Privatunternehmen wurden Löhne und Gehälter um 10 Prozent
gekürzt und Überstunden ohne Lohnausgleich eingeführt. Kleinverdiener
müssen eventuell demnächst auch noch auf das Privileg der Steuerfreiheit
verzichten, da der Grundfreibetrag von 8.000 auf 5.000 Euro im Jahr
herabgesetzt werden soll.
## Fallende Mieten
Die daraus resultierende Rezession trifft den Einzelhandel. Nach Angaben
der Athener Handelskammer musste bereits jedes vierte Geschäft schließen.
In der nach dem altgriechischen Gott des Handels benannten "Hermesstraße"
in Athen, die 2008 noch zu den teuersten Einkaufsmeilen der Welt gehörte,
sind die Mieten um 40 Prozent gesunken.
Auch die Rentner bleiben von den Sparmaßnahmen nicht verschont. Ab November
2011 gilt: Renten über 1.200 Euro werden um 20 Prozent gekürzt, für
Frührentner erreicht die Kürzung bis zu 40 Prozent. Für zusätzliche
Belastung sorgen die traditionell hohen indirekten Steuern, die unter dem
Druck der Krise noch mal kräftig erhöht werden.
So beträgt etwa die Mehrwertsteuer für ein Abendessen 23 Prozent. Schlimmer
noch für Rentner und Kleinverdiener: Die Heizölpreise für private Haushalte
sind ab Oktober 2011 infolge höherer Besteuerung um rund 40 Prozent
gestiegen.
## Filetstücke im Angebot
Der größte Nachholbedarf besteht in Sachen Privatisierung: Sagenhafte 50
Milliarden Euro hatte Athen aus dem Verkauf von Staatseigentum ursprünglich
zugesagt. Wirtschaftsexperten hielten diese Zahl schon immer für
unrealistisch. In seinen ersten 18 Monaten im Amt konnte der sozialistische
Ministerpräsident Giorgos Papandreou keine einzige Privatisierung zustande
bringen. Premier Loukas Papademos will jetzt einen neuen Anlauf nehmen, um
ein paar "Filetstücke" zu verkaufen, etwa den ehemalige Flughafen im Süden
Athens, das lukrative Sportwettenmonopol OPAP oder Anteile des
Bahnbetreibers Trenose.
Umstritten sind seit 2009 die Strukturreformen zur Liberalisierung der
Wirtschaft. Die Politik kommt damit langsam voran und muss zudem immer
wieder Rückschläge hinnehmen. Jüngstes Beispiel: Trotz Widerstands der
Apothekerlobby setzte Regierungschef Papademos im Januar 2012 durch, dass
Babymilch auch in Supermärkten verkauft werden darf.
Nur zwei Wochen später revanchierten sich die Interessenverbände und ließen
einen Gesetzentwurf zur Verlängerung der Apothekenöffnungszeiten im Athener
Parlament scheitern. Daraufhin erklärte Gesundheitsminister Andreas
Loverdos trotzig, er werde das Gesetz erneut ins Parlament einbringen.
## Das Gesundheitswesen kommt als nächstes daran
Die EU-Troika will derartige Maßnahmen sehen. Sie verspricht sich davon
anhaltende Wachstumsimpulse für die griechische Wirtschaft. Zudem drängen
Athens Geldgeber auf weitere Ausgabenkürzungen im öffentlichen Dienst.
Allein im Gesundheitswesen soll über eine Milliarde Euro eingespart werden,
auch wenn dies zu Versorgungsengpässen bei Krankenhäusern führen könnte.
Im Gespräch sind auch Subventionskürzungen für Regionen und Gemeinden in
Höhe von 450 Millionen Euro. Nicht zuletzt beim Verteidigungshaushalt, also
praktisch bei der "heiligen Kuh" von einst, will man den Rotstift ansetzen,
wenn auch ganz behutsam: Bis zu 300 Millionen soll die griechische
Regierung auf Anweisung der Troika dort einsparen.
7 Feb 2012
## AUTOREN
Jannis Papadimitriou
## TAGS
tazlab 2012: „Das gute Leben“
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