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# taz.de -- Was Griechenland von Polen lernen kann: "Das Land stürzt in eine D…
> Die Mehrheit der Griechen macht das Ausland für die Probleme des Landes
> verantwortlich. Nötig wären heimische Reformbewegungen, meint der
> Politologe Helmut Wiesenthal.
Bild: Dringendere Probleme als die Klärung der Schuldfrage hat dieser Obdachlo…
taz: Herr Wiesenthal, um zu verstehen, warum Griechenland heute bankrott
ist, blicken Sie nach Osteuropa, etwa nach Polen. Was bringt der Vergleich
dieser doch sehr unterschiedlichen Länder?
Helmut Wiesenthal: Anders als Griechenland hat Polen den Übergang von einer
etatistisch geprägten Wirtschaft zur Marktwirtschaft gemeistert. Ein
Vergleich der beiden Transformationsfälle zeigt, welche Faktoren nötig
sind, damit der Übergang von einem Gesellschaftssystem in ein anderes
erfolgreich bewältigt werden kann.
Woran sind die Hellenen gescheitert?
Zunächst einmal haben sich die Demokratie- und Konsumwünsche der Griechen
am internationalen Maßstab orientiert. Aber niemand hat sich ernsthaft
darum gekümmert, ob die eigenen Institutionen diese Ansprüche auf Dauer
gewährleisten können. Zweitens fehlen in Griechenland - anders als in Polen
oder in der DDR - einheimische Reformbewegungen, die Schluss machen wollten
mit dem alten System und erklären würden, was getan werden muss und wohin
das Ganze führen soll. Stattdessen sind es äußere Kräfte, sprich die EU und
der IWF, die Reformen verlangen.
Warum gab es in Griechenland keine Reformbewegungen? Die meisten wussten
doch, dass der Staat nicht funktioniert?
Der allgemeine Zustand war ja recht komfortabel. Die Parteien konkurrierten
darum, wie sie der Bevölkerung Gutes tun könnten, unter anderem daher rührt
die enorme Staatsverschuldung. Und weder die Alten noch die Jungen haben
eine Verantwortung für den Staat entwickelt, der war vor allem eine Kuh,
die man melken kann. Das hängt natürlich auch mit negativen Erfahrungen
unter der Militärdiktatur zusammen. Auf diese Gemengelage haben die
Parteien mit einer radikalen Klientelpolitik reagiert. Einzelne Politiker
konnten sich durchaus einbilden, nicht nur ihrer Klientel etwas Gutes getan
zu haben. Ein korrupt-klientelistisches System kann von den Akteuren sehr
wohl als gemeinwohlförderlich angesehen werden. Menschen sind ja nicht
gezwungen, sich ein konsistentes Weltbild zuzulegen.
Welche anderen Faktoren haben noch dazu beigetragen, dass Polen heute ein
stabiles EU-Mitglied ist?
Wichtig war in Polen auch, dass die erheblichen sozialen und materiellen
Kosten des Systemwechsels realistischerweise dem alten Gesellschaftssystem
angelastet wurden. In Griechenland dagegen hält die Mehrheit ausländische
Akteure an den Problemen und der Demütigung des Landes für schuldig.
Bedeutet die in Griechenland gängige Schuldzuschreibung an die EU und den
IWF, dass sich die Reformer auch in Zukunft nicht durchsetzen werden?
Ja. Deshalb warne ich auch vor zu viel Optimismus. Meiner Ansicht nach
steht Griechenland vor einer längeren Phase innenpolitischer Konflikte. Das
Land ist dabei, in eine tiefe Depression zu stürzen. Letztlich auch die
Politiker. Kurzfristig, also bis zu den nächsten Wahlen, können sie keine
positive Entwicklung in Aussicht stellen.
Gibt das den Rechten Auftrieb?
Extremistische Positionen können erheblich gewinnen. Auch dafür sollte man
im Ausland Verständnis aufbringen, weil Griechenlands Reformprozess unter
vielen negativen Vorzeichen steht. Zwar war der Leidensdruck in
Griechenland nicht so hoch wie seinerzeit in Polen oder Bulgarien, wo nach
dem Systemwechsel erst mal eine tiefe Krise einsetzte. Allerdings
profitierten die radikalen Veränderungen in den postsozialistischen Ländern
auch von Resten der früheren Staatsgläubigkeit, der Schwäche der
Gewerkschaften und dem Glauben, dass die Demokratie für wirtschaftliche
Prosperität sorgt. Dadurch und mit ausländischer Hilfe gelang es, den doch
sehr schwierigen Übergang vom Sozialismus zur Marktwirtschaft und
schließlich zur EU-Mitgliedschaft hinzubekommen.
Falsche Vorstellungen vom Kapitalismus sind nötig, um den Wechsel zur
effektiven Marktwirtschaft zu erleichtern?
Zumindest helfen sie, die sozialen Härten, die mit jeder Transition
einhergehen, zu überstehen, ohne dass notwendige Reformen von ungeduldigen
Wählern blockiert werden. In Griechenland, das ja Demokratie und
Marktwirtschaft bereits kennt, melden sich jetzt stattdessen die
Interessenvertretungen der Verlierer massiv zu Wort. Das ist ein Handicap
für die Reformer.
Wer in Griechenland wird den Wiederaufbau stemmen?
Das würde ich auch gerne wissen. In Polen oder auch der damaligen
Tschechoslowakei konnten jüngere Leute, die die Entwicklung halbwegs
überblickten, sich ausrechnen, dass die Phase der erhöhten Erwerbslosigkeit
und der hohen Inflationsraten vorübergeht, dass es sich um
Übergangsprobleme handelt. Immerhin musste ja die gesamte Wirtschaft
umstrukturiert werden. Den Griechen hingegen ging es über die letzten zehn
bis 15 Jahre ziemlich gut, sodass sie die neue Situation als abrupte und
anhaltende Verschlechterung erleben.
Könnten Eurobonds die schlechte Phase abkürzen?
Ich sympathisiere mit starken Instrumenten der Solidarität. Allerdings wird
bei der Option, Griechenland auf diesem Weg wieder billige Kredite zu
verschaffen, noch nicht deutlich, wie dann genügend Anreize sichergestellt
werden können, dass die Schuldnerländer mit den längst überfälligen
Reformen fortfahren.
Für die aufgeschlossenen Leute bleibt also nur die Migration?
Ich denke schon. Jüngere Leute nutzen mit großer Selbstverständlichkeit die
Vorteile der Reise- und Arbeitsfreiheit in der Europäischen Union. Und das
Gute ist, dass sie dank der einfachen und billigen Verkehrs- und
Kommunikationsmittel trotz Migration den Kontakt zur Heimat nicht
verlieren. Die meisten werden also später wieder zurückkehren. Und das
Wissen und Selbstbewusstsein, das sie dann im Ausland gewonnen haben, kommt
auch dem Heimatland wieder zugute.
5 Feb 2012
## AUTOREN
Ines Kappert
## TAGS
Schwerpunkt Krise in Griechenland
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