# taz.de -- Deutsche Filme auf der Berlinale: Rollbrettfahren auf Super 8 | |
> Skateboarder in der DDR, Poetry Slam auf deutschen Bühnen: "This ain't | |
> California" und "Dichter und Kämpfer" behandeln US-Kulturimporte ins | |
> Deutsche. | |
Bild: Wie cool ist das denn? Rollbrettfahrer vorm Fernsehturm. | |
"Nur traurige Menschen sind anhänglich", heißt es zu Beginn von Marten | |
Persiels Dokumentation "This ain't California". Sein Film porträtiert einen | |
Haufen Ungebundener in der DDR, in den letzten acht Jahren vor der Wende, | |
und ihre Begeisterung für einen amerikanischen Kulturimport. | |
Skateboardfahren ist der archetypische US-Individualsport. Ein Sport, der | |
mit konstanter Fortbewegung verbunden ist. Ins Rollen kommen nicht nur die | |
Körper der Fahrer auf den Brettern; Straßen, Wege, sogar Gebäude und | |
Treppengeländer werden von den Skatern befahren und als Rampen für virtuose | |
Figuren und Sprünge einbezogen. | |
Skaten ist ein anarchisches Element zu eigen: Fahren gegen die | |
Verkehrsregeln, Straßenklamotten statt Sportbekleidung. Akrobatik, | |
meilenweit entfernt von Leistungsdruck oder Vereinsmeierei. Stattdessen ist | |
Skaten an andere widerständische Stile der Jugend, wie Punk, angebunden. | |
Ende der Siebziger schwappte Skateboarding zuerst nach Deutschland-West und | |
fand wenig später auch Nachahmer in Ostdeutschland. | |
## Die Antwort heißt Repression | |
Mit teils verheerenden Folgen, wie "This ain't California" zeigt: Den | |
DDR-Behörden, ihrem von Massenparaden, Trainerautorität und Leistungsdruck | |
geprägten Sportverständnis ist Skateboarding ein Dorn im Auge. Zuerst | |
versuchen Funktionäre die jungen "Rollbrettfahrer" einzugemeinden und ihre | |
Westkontakte zu unterbinden. Als das fehlschlägt, heißt die Antwort | |
Repression. | |
Der Protagonist in Persiels Film ist zugleich der große Abwesende: Dennis | |
"Panik" Panicek, wird von der Stasi wegen seiner Skateleidenschaft ins | |
Gefängnis geworfen. Er ist ein Wendeverlierer: Seine Spur verliert sich in | |
den neunziger Jahren. 2011 kommt er als Bundeswehrsoldat in Afghanistan ums | |
Leben. | |
Persiel erzählt seine Geschichte rückblickend aus der Sicht seiner | |
Skaterkumpels. Seine rebellische Ader und die Begabung als Skater werden | |
durch ihre privaten Super-8-Filme wieder lebendig. | |
Die wackligen Bilder aus einer Plattenbausiedlung in Magdeburg und | |
atemberaubende Aufnahmen vom Alexanderplatz in Berlin bringen die hölzernen | |
Inszenierungen von DDR-Fernsehberichten über "die neue Mode aus den USA" | |
ins Wanken. | |
Persiel gibt die Bilder zum Teil verlangsamt wider und arbeitet so die | |
kinetische Energie der Skater besonders heraus. Interview-Ausschnitte von | |
heute ergänzen das Archivmaterial, die fehlenden Informationen liefert die | |
Tonspur: eine unaufdringliche Mischung aus Musik und Erzählstimme. "This | |
ain't California" führt die Skater der DDR zurück zu den Ursprüngen, von | |
der Ausstattung bis zu den Austragungsorten sind sie stärker auf sich und | |
ihren Erfindungsgeist zurückgeworfen und trotzen der Staatsgewalt | |
sportlich. | |
Auch Marion Hütter befasst sich mit ihrem Debütfilm "Dichter und Kämpfer" | |
mit der Übertragung eines US-Kulturimports ins Deutsche. Sie porträtiert | |
vier Poetryslammer bei ihren Versuchen, aus ihren Talenten Kapital zu | |
schlagen. | |
## Wettkampf-Atmosphäre ohne Pathos | |
Poetry Slam hat seinen Ursprung in den US-Metropolen Chicago und New York, | |
wo sich Mitte der Achtziger unter dem Eindruck von HipHop ein Bastard aus | |
Stand-Up-Comedy und Freestyle-Textperformance abseits des literarischen | |
Mainstreams etablierte. | |
Allerdings verzichtet "Dichter und Kämpfer" auf diese Information und | |
verschweigt auch die Verwurzelung in der Minderheitenkultur der | |
US-Metropolen. Stattdessen lässt Hütter drei deutsche Männer und eine junge | |
Frau von ihren Wünschen, alltäglichen Sorgen und Hoffnungen erzählen. | |
Gelungen ist "Dichter und Kämpfer" immer dann, wenn die vier Slammer vor, | |
während und nach der Performance gezeigt werden. Die Wettkampf-Atmosphäre | |
stellt Hütter ohne Pathos her und zeigt die Anspannung auf der Bühne in | |
Nahaufnahme, so unvorhersehbar wie eine Liveübertragung. | |
Mühseliger, weil banaler wirken dagegen Interviews mit den Slammern in | |
ihrem privaten Umfeld. Ein Umzug von Stuttgart nach München. Ein Tingeln | |
durch Provinzbühnen, plötzlich wird aus Poetry-Slam Kabarett. | |
## "This ain't California": 12. 2, 11.00 Uhr, Cinemaxx 1; "Dichter und | |
Kämpfer": 18. 2., 13 Uhr, Colosseum 1 | |
12 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Julian Weber | |
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