# taz.de -- "Glück" von Doris Dörrie: Liebesdienst mit Küchenmesser | |
> Kinderschaukeln und knackige Männerkörper: In Doris Dörries "Glück" sind | |
> die Emotionen billig zu haben. Für das Publikum soll es nicht zu | |
> kompliziert werden. | |
Bild: "Glück" steckt voller Gemeinplätze, Klischees und auf billige Weise ges… | |
Der Berliner Tagesspiegel gibt der Regisseurin Doris Dörrie und dem | |
Produzenten Martin Moszkowicz in diesen Tagen einigen Raum, sich abschätzig | |
über sogenannte Festivalfilme und lobend über sogenannte Publikumsfilme zu | |
äußern. | |
Die ersten, so das Argument, werden von Kritikern und sieben cinephilen | |
Seelen gemocht, die zweiten von allen anderen. "Glück", Dörries jüngstes | |
Werk, fällt in der Logik dieser Eigenwerbung eindeutig in die zweite | |
Kategorie. Das heißt: Wer immer diesen Film nicht mag, ist ein verbildeter, | |
arroganter Schnösel. | |
Auf die Idee, dass man sein Publikum beleidigt, wenn man es unterfordert, | |
kommt weder Moszkowicz noch Dörrie. Und "Glück" ist so eine Unterforderung. | |
Er steckt voller Gemeinplätze, Klischees und auf billige Weise geschürte | |
Emotionen. Wann immer eine Ambivalenz auftauchen könnte, die sich jenseits | |
von Gut und Böse bewegt, zwingt er seinen Figuren eine bescheuerte | |
Kindlichkeit auf. Die beiden Protagonisten verbringen denn auch mehrere | |
Szenen auf dem Spielplatz, wo sie ihre Probleme bewältigen, indem sie sich | |
auf die Schaukel setzen. | |
Dörries Film liegt eine Erzählung von Ferdinand von Schirach zugrunde, | |
einem Strafverteidiger, der in seinen Büchern Fälle behandelt, die ihm in | |
seiner Laufbahn unterkommen; oft sind diese Fälle sehr traurig, manchmal | |
bizarr und makaber. Dabei zeichnen sich die Erzählungen durch Nüchternheit | |
und Lakonie aus, und diese Zurückhaltung bewährt sich umso mehr, je | |
haarsträubender die Geschichte ausfällt. | |
## Ach du liebe Einfalt! | |
In "Glück" ist von der Lakonie nichts übrig, haarsträubend aber geht es zu. | |
Irina (Alba Rohrwacher) arbeitet als Prostituierte in Berlin, eine | |
Aufenthaltsgenehmigung hat sie nicht. Als ein Freier – der Film mag ihr nur | |
diesen einen einzigen zumuten – beim Sex einen Herzinfarkt erleidet, | |
schafft Irinas Freund Kalle (Vincenz Kiefer) die Leiche fort, indem er sie | |
mit einem elektrischen Küchenmesser zersägt und die Einzelteile im Park | |
verscharrt. Wo er diese makabren Details ausmalt, ist "Glück" noch am | |
interessantesten, doch Dörrie geht es vor allem um die Vorgeschichte, um | |
Irinas Flucht aus einem nicht näher benannten Land im Osten und um die | |
Liebesgeschichte zwischen Kalle und Irina. | |
Wogende Mohnfelder und puschelige Schafe dienen als Indikatoren einer | |
bäuerlichen Idylle, aber ach, böse Soldaten marschieren auf, und schon | |
liegen die Eltern mit aufgeschnittenen Kehlen auf dem Küchenboden, und die | |
junge, rothaarige Unschuld wird direkt daneben auf dem Küchentisch | |
vergewaltigt. Das – man muss es in dieser Einfalt sagen, weil Dörrie es so | |
einfältig in Szene setzt – trübt später den Sex mit Kalle. Aber nicht | |
lange, denn sobald der sie nicht mehr am Handgelenk greift, ist das Trauma | |
überwunden. Wie es einer Frau, die darunter leidet, vergewaltigt worden zu | |
sein, gelingt, als Prostituierte zu arbeiten, ist eine Frage, die für | |
"Glück" viel zu kompliziert ist. | |
Kalle wiederum wird von Dörrie so angelegt, wie sie sich einen Punk | |
vorstellt. Dass die Figur vom Leben auf der Straße gezeichnet ist, bezeugen | |
die Piercings, aber kaum stellt man Kalle unter die Dusche, kommt ein | |
knackiger Jungmännerkörper zum Vorschein, als wärs eine Mieze in Bild. Man | |
will dem Publikum schließlich etwas gönnen. | |
15 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Berlinale | |
Ferdinand von Schirach | |
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