Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berlinale Special: Herzogs "Death Row": Das Gefühl von Regen auf d…
> Auch Täter sind Menschen: In seiner Dokumentation "Death Row" interviewt
> Werner Herzog fünf Todeskandidaten und erklärt sich höflich als Gegner
> der Todesstrafe.
Bild: Filmszene aus "Death Row" mit Joseph Garcia.
Werner Herzog ist ein höflicher Filmemacher. Respektvoll erklärt er sich
mit der Praxis der Todesstrafe nicht einverstanden. Sein vierteiliger
Interviewfilm "Death Row" verleiht diesem Nicht-einverstanden-Sein
Nachdruck. Herzog stellt den aus dem Off eingesprochenen Kommentar jedem
seiner Interviews voran.
Unterlegt sind seine Worte mit der langsamen Kamerafahrt durch eine
Todeskammer: die grüne Liege mit den Fesseln für Arme und Füße, die
Fensterscheibe zum Besucherzimmer, die undefinierbare Farbe der Wände.
Es ist ein hässlicher, profaner Raum, über den Herzog zunächst Distanz zu
seinem Thema herzustellen versucht, bevor es ans Eingemachte geht. Fast
alle Filme Herzogs handeln von Menschen in Extremsituationen, aber noch nie
war der Tod so präsent wie an diesem Ort kalter, effizienter Vollstreckung.
Herzog begründet seine Ablehnung der Todesstrafe mit der Erfahrung aus der
deutschen Geschichte.
Einer der Todeskandidaten erzählt, er könne sich nicht vorstellen, den Job
der Männer zu machen, für die der reibungslose Ablauf einer Exekution zur
Routine geworden ist. Aber Herzog geht es wie schon in seinem letzten Film,
"Into the Abyss", nicht um das Unvorstellbare: keine Spekulationen, keine
absonderlichen Assoziationsketten, kein mythisches Raunen. Herzog stellt
Fragen. Seine Gesprächspartner antworten.
Fünf Todeskandidaten hat er für "Death Row" interviewt. Die Geschichten von
Joseph Garcia und George Rivas hängen als einzige zusammen, auch wenn
Herzog durch ihren Fall nichts zu exemplifizieren versucht. Am Ende des
Films werden die Kriterien für die Wahl seiner fünf Interviewpartner
dennoch klar.
## Mögliche Unschuld spielt keine Rolle
James Barnes macht er gleich zu Beginn ihres Gesprächs einen Grundsatz
deutlich: Nur weil ihn Barnes Schicksal beschäftigt, müsse er ihn nicht
auch als Menschen sympathisch finden. Herzog vermeidet Sentimentalitäten
oder Agitprop, die mögliche Unschuld der Insassen spiele keine Rolle für
seine Haltung zur Todesstrafe. Alle Interviews laufen nach einem genauen
Protokoll ab, das teils durch Auflagen der Gefängnisverwaltung, teils durch
den Regisseur festgelegt wird. Dass Herzog hinter der Kamera etwa, aus
Respekt vor seinem Gegenüber, stets einen Anzug trägt, wird im Film nicht
ersichtlich.
Die Verbrechen interessieren Herzog nur insofern, als sie ein Licht auf die
Lebensumstände der Menschen werfen, die auf die Vollstreckung ihres
Todesurteils warten. Dabei ist er sich der Gefahr stets bewusst, von seinen
Gesprächspartnern auch für ihre Zwecke instrumentalisiert zu werden. Barnes
zum Beispiel gesteht während des Interviews zwei weitere Morde. Hank
Skinner wiederum hat in einem Zivilstreit das Recht erwirkt, Einsicht in
von dem Gericht bislang unberücksichtigte Beweismittel zu erlangen. Er
wartet.
## Wovon träumen Mörder?
Die Britin Linda Carty kämpft bis heute für eine Neuaufnahme ihres
Prozesses, der voller Verfahrensfehler steckte. Für ihre Geschichte muss
Herzog weit ausholen, so verworren und widersprüchlich ist sie. Hier büßt
"Death Row" etwas an Stringenz ein. Herzog verliert sich der
Wahrheitsfindung halber ein ums andere Mal in dramaturgischen Konventionen
des Erzählkinos. Ein Formalist wie Frederick Wiseman ist er nie gewesen.
Doch Herzog geht es in "Death Row" nicht um die Institution Todesstrafe,
ihn interessieren die persönlichen Erfahrungen der Verurteilten. Wovon
träumt man in der Todeszelle? Kann sich ein Todestraktinsasse noch an das
Gefühl von Regen auf der Haut erinnern? Und welche Gedanken gehen einem
Mörder im Augenblick der Tat durch den Kopf?
Hank Skinner ist vielleicht der interessanteste Charakter des Films, er hat
auch äußerlich die größte Wandlung vollzogen. Und er ist der Einzige, der
dem Tod durch Injektion einmal ganz nah gekommen ist. Erst zwanzig Minuten
vor der Vollstreckung kam der Anruf des Gouverneurs. Mit welcher Klarheit
Skinner von seinen vermeintlich letzten Stunden spricht, gehört zu den
eindringlichsten Momenten des Films, der auch gespickt ist mit kleinen
Herzogismen.
Der schönste kommt ganz am Schluss: Als sich eine Staatsanwältin darüber
beschwert, dass Herzog die Täter durch seine Darstellung vermenschlicht,
muss er nochmals respektvoll Einspruch erheben. Er vermenschliche die Täter
keineswegs, erklärt er. Denn sie sind Menschen. Punkt.
12 Feb 2012
## AUTOREN
Andreas Busche
## ARTIKEL ZUM THEMA
"Glück" von Doris Dörrie: Liebesdienst mit Küchenmesser
Kinderschaukeln und knackige Männerkörper: In Doris Dörries "Glück" sind
die Emotionen billig zu haben. Für das Publikum soll es nicht zu
kompliziert werden.
Karmakars "Angriff auf die Demokratie": Die Märkte und die Politik
In "Angriff auf die Demokratie - eine Intervention" werden neun
intellektuelle Statements zur Krise des Euro und des Politischen zum Film
montiert. Zum Augen schließen.
"Barbara" im Berlinale-Wettbewerb: Ein kompliziertes Happy End
Christian Petzold erzählt eine melodramatische, glaubwürdige und berührende
Geschichte aus der Provinz der DDR: "Barbara" im Wettbewerb.
Drama um Geschwisterliebe: Menschliche Krähen
In "Delta" vermag es eine dörfliche Gemeinschaft nicht hinzunehmen, dass
zwei Menschen sich geltenden Normen entziehen wollen. Eine meditative
Reise.
"Captive" im Berlinale-Wettbewerb: Der Einsatz zahlreicher Sprengmittel
Perfekt für den Festivalparcours: "Captive" von Brillante Mendoza ist eine
internationale Koproduktion mit Isabelle Huppert und nach wahren
Begebenheiten (Wettbewerb).
Berlinale 2012: Srdjan Dragojevics "Parada": "Die Aggression ist brutaler gewor…
Kann man über Homophobie und Nationalismus in Serbien eine Komödie machen?
In "Parada" versucht Regisseur Srdjan Dragojevic Unterhaltung als Therapie.
Berlinale Special: Die Dokumentation "Marley": Er glaubte sich näher bei Jah
Der britische Regisseur Kevin Macdonald zeichnet die Karriere der Legende
"Marley" nach. Er tut das methodisch genau und mit dem Segen von Marleys
Familie.
Deutsche Filme auf der Berlinale: Rollbrettfahren auf Super 8
Skateboarder in der DDR, Poetry Slam auf deutschen Bühnen: "This ain't
California" und "Dichter und Kämpfer" behandeln US-Kulturimporte ins
Deutsche.
Berlinale Special: Angelina Jolies Regiedebut: Bosnien wirkt wie ausgewaschen
Zunächst erstaunlich stilsicher, dann ein Werbefilm für militärische
Interventionen: der Jugoslawienkriegsfilm "In the Land of Blood and Honey"
von Angelina Jolie.
Berlinale-Staralbum: Max von Sydow: Der Gleichmütige
Max von Sydow erträgt den halbstündigen Spuk einer Pressekonferenz mit in
60 Berufsjahren antrainiertem Gleichmut. Allein seine Landsleute rühren
ihn.
Filmemacher Banush über deutschen Film: "Keiner hilft dir, wir tun es selbst"
Ein gutes Leben im Sinne des Kinos? Pah! Patrick Banush erklärt, warum es
in Deutschland nur Staatsfilme gibtund was anders werden muss.
Bollywood-Star Shah Rukh Khan in "Don": Inder klauen den Euro
First we take Mumbai, than we take Berlin: "Don - The King is Back" mit
Shah Rukh Khan (Berlinale Special). Eine Berlinale-Verfolgungsjagd mit
Sightseeing.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.