# taz.de -- "Barbara" im Berlinale-Wettbewerb: Ein kompliziertes Happy End | |
> Christian Petzold erzählt eine melodramatische, glaubwürdige und | |
> berührende Geschichte aus der Provinz der DDR: "Barbara" im Wettbewerb. | |
Bild: Die Sehnsucht nach einem sinnvollen und ausgefüllten Leben: Petzolds "Ba… | |
In der DDR-Provinz rund um das Jahr 1980 ist der Film "Barbara" | |
angesiedelt, neben der Regie stammt auch das Buch von Christian Petzold. | |
Man kann es nicht anders sagen: Der Drehbuchautor Christian Petzold hat dem | |
Regisseur Christian Petzold einige Herausforderungen zugemutet. Nicht nur, | |
dass es laut Buch darum gehen soll, ein wahrhaftiges Bild des DDR-Alltags | |
zu zeichnen. | |
Nicht nur, dass große Gefühle und grundsätzliche Lebensentscheidungen an | |
jeder Ecke der Kopfsteinpflasterstraßen warten. Das alles soll auch noch | |
möglichst indirekt ausgedrückt werden. Mit stummen Blickkontakten. Mit | |
Fahrradfahrten durch einen Wald, in dem der Wind an den Bäumen rüttelt. In | |
der Art und Weise, wie Nina Hoss ihre Zigaretten raucht und Ronald Zehrfeld | |
(der bärige der beiden Polizisten aus Domik Grafs Serie "Im Angesicht des | |
Verbrechens") die Hände in seinen Arztkittel steckt. | |
Doch der Regisseur Christian Petzold hat, zudem überraschend gefühlig, die | |
Herausforderungen blendend gemeistert. Der Film hätte ein großer Kitsch | |
rund um richtige und falsche Gefühle, um Entsagung und wahre Erfüllung des | |
Lebens durch Gebrauchtwerden werden können. Oder auch ein allzu | |
sentimentaler Blick zurück in eine warm gezeichnete DDR, in der es eben | |
nicht nur die Stasi und die Denunzianten gab, sondern auch weniger | |
Lebenshektik und Ärzte, die ihren Turgenjew noch gelesen haben - dessen | |
Erzählung "Der Kreisarzt" aus dem Band "Aufzeichnungen eines Jägers" spielt | |
eine Rolle. | |
Stattdessen ist "Barbara" aber ein durchfühlter, in seiner Melodramatik | |
stets glaubwürdiger und berührender Film darüber geworden, wie es damals in | |
der DDR war und was uns das heute noch zu sagen hat. | |
## Staffage ist hier nichts | |
Nina Hoss als Ärztin, die einen Ausreiseantrag gestellt hat und in ein | |
Provinzkrankenhaus strafversetzt wird, ist klasse. Ronald Zehrfeld als ihr | |
neuer Kollege, den sie erst für einen Spitzel hält, ist fast noch besser. | |
Man kann ihnen beim Sichverlieben zusehen. Überhaupt, bis in die | |
Nebenrollen hinein ist der Film gut gecastet - und alle Schauspieler hatten | |
offenbar den Auftrag, ihre Figuren keineswegs zu denunzieren. Der | |
Stasi-Offizier, die Frau, die für Leibesvisitationen an weiblichen | |
Zielpersonen zuständig ist, die West-Spesenritter im Mercedes, die | |
Arztkollegin, die ihre weibliche Schönheit geradezu versteckt - sie alle | |
werden mit ein, zwei Wendungen als wirklich handelnde Figuren kenntlich | |
gemacht. Staffage ist hier nichts. | |
Auch nicht in der Art, wie Christian Petzold dieses | |
DDR-Mecklenburg-Vorpommern von 1980 rekonstruiert. Das Historienfilmhafte | |
wird nicht ausgestellt, obwohl die Materialbeschaffer viel recherchiert | |
haben müssen. Man glaubt auf der Stelle, dass ein Provinzkrankenhaus damals | |
so ausgehen hat. | |
Das Ende des Films zu verraten wäre geradezu gemein. Nur so viel: Es ist | |
ein kompliziertes Happy End, das einem noch lange nachgehen kann. Ganz klar | |
ist am Schluss, dass es sehr gute Gründe gab, aus der DDR, diesem | |
verstaubten, repressiven Land, zu fliehen. Ebenso klar ist aber auch, dass | |
Brillantringe aus dem Quelle-Katalog gewiss nicht zu diesen guten Gründen | |
gehören. | |
Aber nachdem man Nina Hoss und Ronald Zehrfeld zugesehen hat, ist auch | |
klar, dass es eine viel größere Sehnsucht als die nach materiellen Dingen | |
gibt: die Sehnsucht nach einem sinnvollen und ausgefüllten Leben. Dieser | |
Film schafft es, einen diese Sehnsucht spürbar zu machen. Und den Gedanken, | |
dass die DDR daran gescheitert ist, dass sie diese Sehnsucht nicht erfüllen | |
konnte, denkt man hinzu. "Barbara" ist schön und ein großer Favorit auf den | |
Goldenen Bären. | |
## 13. 2., 20 Uhr, HdBF | |
13 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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