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# taz.de -- "Glaube, Liebe, Tod" im Panorama: Emotionaler Amoklauf
> Peter Kern reckt in "Glaube, Liebe, Tod" auf der
> mecklenburg-vorpommerschen Seenplatte den Mittelfinger. Gegen die Familie
> und das risikoscheue Förderkino.
Bild: Keine Hoffnung in "Glaube, Liebe, Tod".
Peter Kern macht es niemandem leicht. Festivaldirektoren, die seine Filme
schlecht programmieren, werden beschimpft, Zeitungen, die seine Filme
schlecht oder gar nicht besprechen, werden zerrissen, gerne öffentlich vor
den Vorführungen.
Und auch als Zuschauer darf man sich nie auf der sicheren Seite wähnen: Im
Wiener Filmmuseum, das vor einiger Zeit eine komplette Werkschau
präsentierte, soll der österreichische Filmemacher und ehemalige
Fassbinder-Schauspieler gelegentlich vor dem Kinoausgang gelauert und jeden
einzelnen Zuschauer, der seinen Film vor dem Ende zu verlassen wagte, zur
Rede gestellt haben.
Man sei also gewarnt: Denn dieses Jahr kehrt Kern auf die Berlinale zurück,
ins Panorama, wo er zuletzt 2010 sein rührendes Neonazimelo
Blutsfreundschaft präsentierte. Der neue Film "Glaube, Liebe, Tod" ist nur
eine gute Stunde lang und spielt fast ausschließlich auf einem
Charterhausboot namens "Ruth H.", das über die mecklenburg-vorpommersche
Seenplatte schippert.
Angemietet hat das Schiff die 82-jährige Maria Schmidleitner (Traute
Furthner), die ihrem Sohn Peter (Kern höchstpersönlich) etwas Gutes tun
möchte. Sagt sie zumindest. Aber Familie ist in Kerns Filmen stets zuerst
ein Unterdrückungs- und wechselseitiger Ausbeutungszusammenhang, ein
einziges Lügengebilde, durch das hindurch sich freilich dennoch genuine
Gefühle artikulieren können.
## Eine sehr spezielle Kaffeefahrt
Bei dieser speziellen Kaffeefahrt überrascht der Sohn die Mutter gleich zu
Beginn mit seinem späten Coming-out, die Mutter wiederum beschimpft den
Sohn für dessen Gewicht und lässt außerdem ihrer hitlerseligen
Deutschtümelei umso freieren Lauf, je tiefer die "Ruth H." in die
ostdeutsche Provinz vordringt. Als dann auch noch das Schiff sabotiert wird
und ein blinder Passagier - ein junger Marokkaner - auftaucht, eskaliert
die Situation endgültig.
Es gibt noch einen Prolog und einen Epilog, zwei wüste Montagesequenzen in
YouTube-Optik, die von der waffenstarrenden Festung Europa und vom
islamistischen Terror erzählen und die schließlich alle US-Präsidenten bis
zu Nixon vors Kriegsverbrechertribunal zerren.
Doch im Grunde ist "Glaube, Liebe, Tod" ein konzentriertes, geradliniges
Dreipersonenstück um Hysterie, Projektion und die Sehnsucht nach Liebe. Ein
Sturm der Gefühle, ein emotionaler Amoklauf mit zwei Seemeilen pro Stunde,
angetrieben von einem völlig enthemmten Soundtrack, da wechseln sich Wiener
Walzer, Fanfarenklänge, Opernarien und Eighties-Pop fast im Minutentakt ab.
Ein Bild kurz vor Schluss bringt die wahnwitzige, unbedingt liebenswerte
Melange aus kruden politics und herzzerreißendem Seelenerforscherkino
perfekt auf den Punkt: Peter Kern im Rollstuhl auf dem Schiffdach, mit
Palituch, Sprengstoffgürtel und einem ausgestreckten Mittelfinger, als
dessen Adressaten man durchaus auch das wohltemperierte, gutgemeinte,
risikoscheue Förderkino vermuten kann, von dem der kleine Koloss "Glaube,
Liebe, Tod" auf der Berlinale - und erst recht im Panorama - von fast allen
Seiten umgeben ist.
14.2., 13.30 Uhr, CinemaxX 7; 15. 2., 14.30 Uhr, Cubix 9; 16. 2., 14 Uhr,
International
14 Feb 2012
## AUTOREN
Lukas Foerster
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