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# taz.de -- "Was bleibt" im Berlinale-Wettbewerb: In der Schwebe
> In "Was bleibt" erzählt Hans-Christian Schmid von Familie, Krankheit und
> Verlusten. Die Kamera lässt den Figuren Raum, die Stimmung bleibt in der
> Schwebe.
Bild: Und jetzt alle: "Du lässt dich geh'n".
Ein Film, der "Was bleibt" heißt und in einem Bungalow in einem
wohlsituierten Vorort spielt, in dem er seine Figuren kammerspielartig
einschließt - da weiß man schon: Jetzt wird es gefühlig. Und jetzt geht es
ans Eingemachte.
Hans-Christian Schmids Wettbewerbsbeitrag folgt einer typischen
Dramaturgie. Die Kleinfamilie kommt für ein Wochenende noch einmal im Haus
der Eltern, die auf die Sechzig zugehen, zusammen. Zwei Brüder. Dem
jüngeren wurde in die Nachbarschaft ein eigenes Reihenhaus mit
Zahnarztpraxis hingesetzt. Der Ältere kommt aus Berlin, mit vierjährigem
Sohn; von dessen Mutter lebt er gerade getrennt. Tage im Garten.
Erdbeerkuchen. Gefüllte Cannelloni. Und dabei bricht das Unausgesprochene
und Verheimlichte auf.
Zwei Entscheidungen, die das eingespielte Beziehungsgeflecht
durcheinanderwirbeln, gibt es auch. Der Vater zieht sich von seinem
Verlags-Chefposten zurück und will jetzt Bücher schreiben, was das Drehbuch
zu einem netten Witz nutzt. Thema des geplanten Buches: Erzählstrategien
bei den antiken Assyrern und Sumerern. "Da hat", so der Vater, "noch
niemand drüber geschrieben!" Und die Mutter, manisch depressiv, die "mit
meiner Krankheit das 30. Jubiläum feiert", hat ihre Medikamente abgesetzt.
Das wirbelt im Gefühlskosmos der Kleinfamilie alles durcheinander.
Hans-Christian Schmid interessiert sich für die Momente von Nähe und
Irritation, die in so einer Konstellation entstehen, ohne jetzt mit ganz
großem familientherapeutischen Ehrgeiz oder Neurosenaufdeckungsfuror an die
Sache heranzugehen. Die Kamera lässt den Figuren Raum, und von der Stimmung
her ist das Geschehen keineswegs dramatisch hochgepitcht, sondern immer in
der Schwebe gehalten.
## Momente der Selbsterkenntnis
Lars Eidinger und Sebastian Zimmler sind als Bruderpaar gut gegeneinander
abgegrenzt. Schmid will viel zeigen bei ihnen. Lars Eidinger stolpert als
Stellvertreter der Zuschauer sowohl durch sein Gefühlsleben als auch durch
dieses Wochenende und gewinnt allmählich an Haltung. Sebastian Zimmler
kämpft darum, den Absprung von den Eltern erst noch zu schaffen. Schmid
gewinnt dem viele intensive Momente ab.
Wenn einem etwas auf die Nerven gehen kann, dann eher die allzu kostbar
ausgesuchte Ausstattung des Films, allerdings sollen sie ja auch bedrückend
wirken: der alte R4 als Zweitwagen, die perfekten Sofas und offenen Küchen.
Corinna Harfouch spielt die Mutter und damit das Haupträtsel dieses Films.
Um Schuld und Sühne geht es nicht, untergründig eher um die Trauer und
Verluste, die unweigerlich entstehen, wenn alle Beteiligten 30 Jahre mit so
einer Krankheit fertig werden müssen. Die Harfouch hat dabei einige
kunstvoll gesetzte Momente der Selbsterkenntnis und einen großen Auftritt
in einer wirklich tollen Szene: Die ganze Familie stimmt ein in das Chanson
"Du lässt dich geh'n", mit dem Charles Aznavour mal einen Erfolg auf
Deutsch hatte.
Wenn es so etwas wie einen Bösen oder einen Verlierer in diesem Spiel gibt,
dann ist es der Vater, sehr körperlich gespielt von Ernst Stötzner. 30
Jahre lang hat er in dieser Familie alles geregelt, am Schluss steht er als
überversorgend und allzu dominant da - während Lars Eidinger in einer auf
der Kippe zwischen Fragwürdigkeit und Eindringlichkeit spielenden Szene der
Mutter noch bis in die mythischen Tiefen des deutschen Waldes folgt. Er
kommt dann aber, wie der ganze Film, auch gut wieder raus.
15 Feb 2012
## AUTOREN
Dirk Knipphals
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