| # taz.de -- Das Theater als Gerichtssaal: Alles nur ein Spiel | |
| > Nicolai Sykoschs Inszenierung von Ferdinand von Schirachs „Terror“ findet | |
| > in Braunschweig nicht mehr aus einem verwirrenden Anfang heraus. | |
| Bild: Unrealistische Kunstfiguren im Theatergericht: auch die Schauspieler kön… | |
| Braunschweig taz | Ein Terrorist entführt ein Passagierflugzeug der | |
| Lufthansa und rast damit in Richtung des vollbesetzten Olympia-Stadiums in | |
| München. Ein Kampfjet-Pilot der Luftwaffe entscheidet sich gegen den Befehl | |
| seiner Vorgesetzten eigenmächtig zum Abschuss. Alle Passagiere sterben. Es | |
| gibt Hinweise, dass kurz vor der Katastrophe Passagiere versuchten, in das | |
| Cockpit einzudringen. Der Offizier wird wegen Mordes angeklagt und vor | |
| Gericht gestellt. | |
| Ferdinand von Schirachs Text ist kein Stück episches Theater. Im Gegenteil: | |
| Der Autor und Jurist beschreibt eine fiktive Gerichtsverhandlung, mit | |
| Richter, Staatsanwältin, Anwalt und Angeklagten. So, wie er sie für | |
| realistisch hält. Zum Schluss jeder Vorstellung fällt aber nicht wie in | |
| Deutschland üblich das Gericht ein Urteil im Namen des Volkes, sondern das | |
| Publikum darf entscheiden. Damit dieses gigantische Geschworenengericht | |
| funktioniert, muss es glauben, was es in dem theatralen Gerichtssaal zu | |
| sehen bekommt. Eine Dekonstruktion wäre in dieser Grundaufstellung ganz | |
| fehl am Platz. | |
| ## Verwirrender Auftakt | |
| Das Staatstheater Braunschweig hat denn auch den gesamten Saal und die | |
| Bühne des Kleinen Hauses in einen Gerichtssaal verwandelt, mit weißen | |
| Wänden und Baumarkttüren, über denen leuchtend in Grün das | |
| Notausgang-Schild prangt. Der Boden ist mit einem blauen Teppich ausgelegt. | |
| An den Eingängen stehen Gerichtspolizisten und überwachen den Einlass. | |
| Dazwischen lachen und scherzen Schauspieler in schwarzen Hosen und weißen | |
| Hemden. Wohlgemerkt, da stehen nicht Prozess-Teilnehmer, die ähnlich wie | |
| die falschen Polizisten ihre Rollen spielen, sondern die rothaarige junge | |
| Darstellerin der Nebenklägerin unterhält sich fröhlich lachend mit dem | |
| entspannten Schauspieler des Angeklagten. | |
| Mit Beginn der Performance begrüßt der Schauspieler, der später den Richter | |
| spielen wird, die Zuschauer, „von denen vielleicht noch nicht jeder gemerkt | |
| hat, dass das Amtsgericht aus der Münzstraße jetzt hier diese Räume | |
| gefunden hat“. Dann ziehen sich alle Schauspieler auf der Bühne ihre | |
| Kostüme an – und verwandeln sich mittels schwarzer Roben und Uniformen erst | |
| jetzt in die Figuren aus von Schirachs Stück. | |
| ## Alles halb so wild | |
| An diesem Anfang stimmt so gut wie gar nichts. Wenn der Regisseur Nicolai | |
| Sykosch unbedingt dekonstruieren will, warum lässt er dann die falschen | |
| Polizeibeamten von Beginn an kostümiert an der Tür stehen? Was soll die | |
| Zwischenwelt zwischen der Fiktion in von Schirachs Text und der Welt der | |
| Zuschauer bedeuten? Wen spielen die Schauspieler in diesem Vorspiel, bevor | |
| sie sich in die Figuren im Stück verwandeln? | |
| Aus dem verwirrenden Auftakt findet die Inszenierung nicht mehr hinaus, | |
| weil das Theater hier ganz offensichtlich seiner eigenen Illusionskraft | |
| nicht vertraut. Über dem Gericht prangen deutlich sichtbar der Bundesadler | |
| und das Logo des Staatstheaters. Die Botschaft ist eindeutig: Alles halb so | |
| wild, alles nicht echt, alles nur ein Spiel. Und in diesem Spiel gelingt es | |
| leider den Schauspielern nur bedingt, sich wirklich glaubhaft in von | |
| Schirachs Figuren zu verwandeln – zu stark ist das Bild vom Anfang, in dem | |
| wir alle gesehen haben: Es sind ja nur Schauspieler. | |
| Die spielen auf der Bühne ihre Charaktere nicht wie auf der Kinoleinwand, | |
| sondern als deutlich überhöhte Kunstfiguren. Da sind der notorisch zur | |
| Versachlichung neigende, immer stoisch ruhig bleibende Richter (Hans-Werner | |
| Leupelt), die sich beständig echauffierende Staatsanwältin (Martina | |
| Struppek), der aufbrausende Anwalt (Moritz Dürr) – und der Angeklagte. | |
| Andreas Vögler gelingt vielleicht am ehesten das realistische Gemälde eines | |
| in sich ruhenden Menschen, der über den Wolken mal eben selbst entschieden | |
| hat, fast 200 Menschen zu töten, weil er glaubte, schlimmeres Unglück zu | |
| verhindern. | |
| ## Schwächen der Vorlage | |
| Spätestens hier treten auch die Schwächen der Textvorlage zu Tage, die | |
| erstaunlicherweise trotzdem überall in Deutschland wie ein Wunderwerk | |
| gespielt wird. Denn das Szenario und die Schuldfrage sind eigentlich sehr | |
| simpel: Natürlich darf ein Pilot der Luftwaffe nicht eigenmächtig ohne | |
| Befehl und entgegen der erklärten Anweisung seiner Verteidigungsministerin | |
| über Leben und Tod entscheiden. | |
| Da braucht es gar nicht die reichlich konstruierte Wendung, die von | |
| Schirach in seine Fabel eingebaut hat. Ein Passagier habe kurz vor dem | |
| Abschuss seiner Frau in einer SMS mitgeteilt, dass er jetzt mit anderen | |
| versuche, in das Cockpit einzudringen. Ob das gelungen ist, darüber geben | |
| keine Blackbox und keine Untersuchung des Wracks Aufschluss – nicht weil | |
| das ein realistisches Szenario wäre, sondern weil das so am besten in den | |
| dünnen Plot passt. | |
| Einzige Überraschung an diesem Abend ist, dass das Publikum sich von der | |
| Heldengeschichte überzeugen lässt und den Piloten in dieser Vorstellung | |
| trotzdem mit einer Mehrheit von 10 Stimmen freispricht: 132 für Freispruch | |
| zu 122 für eine Verurteilung. Andererseits findet in Deutschland in | |
| Umfragen auch regelmäßig die Todesstrafe eine erstaunlich hohe Zustimmung | |
| unter den Befragten. Es ist ein Allgemeinplatz, dass die Pflege des Rechts | |
| keine basisdemokratische Veranstaltung ist: Dafür brauchen wir keinen | |
| Schau-Prozess von Ferdinand von Schirach. | |
| 30 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Kohlmann | |
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