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# taz.de -- ZDF-Serie „Schuld“: Erst der Mord, dann Richterspruch
> Die Verfilmung des Bestsellers „Schuld“ von Ferdinand von Schirach ist
> bemerkenswert außergewöhnlich – jedenfalls für das deutsche Fernsehen.
Bild: Anwalt Friedrich Kronenberg (Moritz Bleibtreu, l.) und Mörder Thorsten P…
Paulsberg (Devid Striesow) wacht auf, die andere Bettseite ist leer. Er
geht durchs Haus, die Terrassentür steht offen. Seine Frau (Bibiana Beglau)
liegt im blauen Schimmern des Swimmingpools auf einer Liege und starrt in
den Nachthimmel. Paulsberg atmet laut aus: „Das verändert uns, oder?“ Sie:
„Wenn es dir keinen Spaß mehr macht, hören wir auf.“ Er: „Ich hab Angst,
dass wir uns verlieren.“ Paulsberg setzt sich auf die Liege. Sie: „Ich kann
auch alleine gehen.“ Er starrt sie aus seinen blauen Augen an.
Richtig, wir sind gerade Teil einer deutschen TV-Produktion. Leicht daran
zu erkennen, dass die Figuren an wichtigen dramatischen Wendepunkten noch
einmal das aussprechen müssen, was offensichtlich ist. Da macht die erste
Folge der ZDF-Serie „Schuld“ keine Ausnahme. Wie bei der Vorgängerreihe
„Verbrechen“ hat der Sender zusammen mit der Produktionsfirma von Oliver
Berben einen Kurzgeschichten-Band des Strafverteidigers und
Bestseller-Autors Ferdinand von Schirach verfilmt.
In der ersten Folge, „Der Andere“, erschlägt der introvertierte Paulsberg
im Hotelzimmer einen Mann brutal mit einem schweren Aschenbecher. Wie sich
herausstellt, war der besagte andere (Matthias Matschke) einer der
Mitspieler in den Dreierbeziehungen des swingenden Paares.
Trotz der angesprochenen Redundanz ist „Schuld“ eine der zeitgemäßesten
Serien im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Natürlich handelt es sich
formal gesehen um einen Krimistoff – jede Folge beginnt mit einem Mord und
endet mit einem Richterspruch. Aber statt der Suche nach den Mördern widmen
sich die Geschichten dem menschlichen Drama hinter der Tat.
Auch die visuelle Umsetzung, mit Animationen und ungewöhnlichen Schnitten,
ist man von hiesigen fiktionalen Produktionen nicht gewohnt. Sogar die von
amerikanischen Pay-TV-Sendern etablierten expliziten Sex- und
Gewaltdarstellungen werden – wenn auch sendeplatzverträglich – akzentuiert,
zudem sind die handelnden Charaktere in ihrer Ambivalenz selten
ausschließlich gut oder böse: die Grenzen verwischen; Grauzonen werden
zumindest angedeutet.
## Erst Mediathek, dann Fernsehen
Ein weiteres Zugeständnis an veränderte Sehgewohnheiten ist die
Entscheidung des ZDF, alle sechs Folgen der Serienproduktion zwei Wochen
vor Ausstrahlungstermin in der Mediathek zu veröffentlichen. So haben es
die verschiedenen Video-on-Demand-Plattformen vorgemacht und damit den
Trend zum Binge-Watching gefördert, also dem Anschauen mehrerer Episoden
oder sogar einer ganzen Serienstaffel am Stück.
Allerdings, und da zeigt sich, warum „Schuld“ eben doch kein adäquates
Pendant zu den herausragenden Pay-TV- und VoD-Serien ist, werden hier in 45
Minuten immer nur abgeschlossene Geschichten erzählt und keine
folgenübergreifende Erzählung etabliert, die den Wunsch zum Weitersehen
normalerweise auslösen würde.
Das liegt auch an der Hauptfigur, dem Anwalt Friedrich Kronenberg (Moritz
Bleibtreu), der die Folgen eigentlich zusammenhalten müsste, woran „Schuld“
allerdings nicht interessiert ist und so insgesamt einen recht
fragmentarischen Eindruck macht. Was schade ist, denn immerhin wurde mit
Bleibtreu ein Filmstar verpflichtet, der sonst nie in Fernsehproduktionen
zu sehen ist.
In Schirachs Vorlage übernimmt der Verteidiger die Rolle des Erzählers, in
der Serie hat er diese Funktion nicht inne und wirkt deshalb viel zu blass.
Erst im Laufe der Episoden wird sein Charakter zaghaft entwickelt und
erhält in der letzten Folge „Volksfest“, die rückblickend von seinem erst…
Fall, der Vergewaltigung eines jungen Mädchens durch die Mitglieder einer
Blasmusikkapelle, erzählt, etwas mehr Kontur. Schirach hat diese
aufwühlende Episode, die seinen Weg als Strafverteidiger ebnete, nicht ohne
Grund an den Anfang seines Bandes gestellt – sie manifestiert sein Rechts-
und Rollenverständnis als Anwalt der Täter.
## Ver- statt Entwirrung
Wo die Geschichten des Autors mit wenigen klaren Sätzen ganze Lebenswelten
und Abgründe der Protagonisten eröffnen können, traut sich die Serie
andererseits selten zu, genau dieses Angebot anzunehmen und sich als
Adaption die notwendige künstlerische Freiheit zu gönnen, um die
persönlichen Dramen weiter auszuleuchten. Zu nah hangeln sich die
TV-Episoden an den Erzählbögen der knapp bemessenen Short Stories von
Schirach entlang und scheitern meistens dann, wenn sie versuchen
verschiedene Zeit- und Handlungsebenen zusammenzubringen, wie die zweite
Folge „Schnee“ zeigt: Hier tragen die Rückblenden und parallelen
Handlungsstränge vor allem zu Ver- statt zur Entwirrung bei.
Für das deutsche Fernsehen ist „Schuld“ eine bemerkenswert außergewöhnli…
Produktion. Doch gerade deshalb führt das Format deutlich vor Augen, dass
seine Möglichkeiten noch lange nicht in dem Maße ausgeschöpft werden, wie
man es mittlerweile vom internationalen Serienfernsehen gewohnt ist. Um es
motivierender zu formulieren: In dieser Hinsicht ist das Glas hier aber
zumindest halb voll.
19 Feb 2015
## AUTOREN
Jens Mayer
## TAGS
Krimi
Verfilmung
Bestseller
Schuld
Ferdinand von Schirach
Ferdinand von Schirach
Dänemark
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