# taz.de -- Japanische Dokumentarfilme auf Berlinale: Fukushima, mon amour | |
> Drei Filme aus Japan zeigen, wie die Gesellschaft auf die Katastrophe in | |
> Fukushima reagiert: mit Trauer und Resignation, weniger mit Wut. | |
Bild: "Nuclear Nation" zeigt die dichteste Dokumentation der Katastrophe. | |
Ein bedächtiger Panoramaschwenk zeigt eine Küste, die zu einer | |
Mülllandschaft geworden ist. Man soll die Trümmerberge, die der Tsunami am | |
11. März 2011 hinterlassen hat, genau anschauen können. Dann sieht man | |
blühende Kirschbäume. Ein Bild wie ein Stilleben. Man hört | |
Vogelgezwitscher, die Inszenierung lässt viel Zeit, um Bild und Töne wirken | |
zu lassen. Und zu verstehen, was fehlt: Menschen. Es ist Frühling, aber | |
niemand wird diesen Frühling in der geräumten 20-Kilometer Zone um | |
Fukushima erleben. | |
Mit diesem Kontrast von Katastrophe und scheinbarem Idyll beginnt der | |
Essayfilm "No Man`s Zone", eine kluge Reflexion über Bilder von sichtbaren | |
und unsichtbarem Unglück. Lange sieht man verlassenen Landschaften und | |
leere Straßen, mal eine Kuhherde neben einem Strommast. Dazu sind im off | |
Geschichten von Evakuierten zu hören. Stimmen ohne Körper, wie von | |
Geistern, dazu Bilder von Geisterstädten. Mit dem Fall-out ist etwas | |
auseinander gefallen. | |
Die Bilder zeigen die Gefahr nicht mehr. Darauf antwortet Fujiwara mit | |
Montagen und mit einem reflektierenden off-Kommentar. "No Man`s | |
Zone"erinnert an Chris Markers Essayfilme, ohne deren intellektuelle | |
Prägnanz zu erreichen. | |
## Wer ist Schuld? | |
Der erste Mann, der nach dieser langen Ouvertüre im Bild erscheint, hat | |
früher in dem Atomkraftwerk gearbeitet. Nur deshalb hatte er Arbeit, nur | |
deshalb konnte er heiraten. Alle waren glücklich, weil es das Atomkraftwerk | |
gab, sagt der Mann. Man ahnt, dass Japans Aufstieg aus den Trümmern von | |
1945 zur Industrienation eng mit der Atomkraft verklammert war, viel | |
stärker als in den USA, Frankreich oder Deutschland. | |
Im Off-Kommentar heißt es später: "Wir suchen Verantwortliche für das | |
Desaster. Aber es gibt keinen Feind, keine Terrorist, den man | |
verantwortlich machen kann. Wer ist Schuld, die Regierung, die | |
Elektrizitätsgesellschaft, die Wissenschaftler? Wir brauchen einen | |
Schuldigen, wir wollen auf der richtigen Seite stehen". Das ist eine | |
reflexive, selbstkritische Lesart der Katastrophe, aber auch eine typisch | |
japanische Sichtweise. Schuld spielt eine viel kleinere Rolle als in | |
westlichen Kulturen. | |
## Merkwürdiger Zwitter | |
"Friends after 3.11" ist ästhetisch das Gegenteil von "No Man`s Zone": | |
keine Komposition, sondern ein holprig improvisierter Interviewfilm. Shunji | |
Iwai befragt Wissenschaftler, Schauspieler, Journalisten, Regisseure, | |
Banker, Ingenieure, Freunde und Internetbekannte, was der 11. März | |
bedeutet. Das klingt beliebig, und abgesehen davon, das alle | |
Atomkraftgegner sind, ist es das auch. Ein Professor hält den Klimawandel | |
für eine Erfindung und daher Kohle- statt Atomkraftwerke für eine prima | |
Idee. Ein Ingenieur, der Atomkraftwerke baute, weiß, dass es verheimlichte | |
Fast-Unfälle gab. | |
"Friends after 3.11" ist ein merkwürdiger Zwitter, nicht subjektiv genug | |
für ein Tagebuch, zu wenig journalistisch für eine Reportage, zu unbeholfen | |
für einen Dokumentarfilm. Mag sein, dass sich noch in dieser Formlosigkeit | |
das Erschrecken spiegelt. | |
Auffällig ist, dass es kaum Bilder der Wut, der Hysterie, des Aufbegehrens | |
gibt. In "No Man`s Zone" ertragen die Bauern die Zerstörung ihrer Existenz | |
fast stoisch. Auch in "Friends after 3.11", einer Art visuellem Flugblatt, | |
ist das Affektniveau seltsam niedrig. | |
## Zerfallende Illusion | |
Gesten des Schmerzes, auch zaghaften Aufbegehrens zeigt "Nuclear Nation", | |
die dichteste Dokumentation der Katastrophe. Funahashi Atsushi folgt von | |
Frühling bis Winter (im Zeit-Rhythmus der Bauern, die die Region Fukushima | |
prägen) dem Schicksal von Futaba. Die Kleinstadt ist vom Fall-out | |
kontamiert. Mehr als Tausend Bewohner hausen nun in einer Schule bei Tokio. | |
Der Tenno besucht die Exilierten zwecks Tröstung. Eine Militärkapelle rückt | |
an und spielt das Lied "Wir lieben Fukushima". In der Turnhalle treten | |
drittklassige Wrestler zwecks Bespaßung der Heimatlosen auf, trostloser hat | |
man Wrestling nie gesehen. Die Hoffnung, in die vom Tsunami verwüstete und | |
von Strahlung vergiftete Heimat zurückzukehren, schwindet mit jedem Tag. | |
"Nuclear Nation" zeigt in ruhigen, genau kadrierten Bildern wie eine | |
Illusion zerfällt - der Traum von der sicheren Atomkraft, die Futuba und | |
Japan reich gemacht hat. Held dieser Tragödie ist der Bürgermeister, ein | |
bedächtiger Herr mit randloser Brille. Er ist ein Bürgermeister ohne Stadt | |
- und am Ende, als sich die Schule leert und die Vertriebenen sich | |
andernorts ansiedeln, auch ohne Bürger. Einst war er Atomkraft-Fan, nun ist | |
er ein bitterer Gegner. | |
Einmal dürfen die Exilierten für zwei Stunden zurück nach Futaba. In weißen | |
Schutzanzügen geistern sie durch die verwüstete Stadt, um Habseligkeiten zu | |
suchen. Ratlos stöbern sie in den Ruinen ihres Leben, gehetzt legen sie | |
Blumen für in Fluten getötete Angehörige nieder. | |
Man sieht einen Torbogen, dahinter die endlose Mülllandschaft. "Die | |
Atomenergie garantiert den Wohlstand unserer Gesellschaft", ist in großen, | |
verwitterten Lettern darauf zu lesen. Ein Satz, wie eine sozialistische | |
Parole nach 1989, ein falsches, böses Versprechen. | |
10 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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