# taz.de -- Opposition im Kosovo: "Unsere Regierung ist korrupt" | |
> Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert, Armut ist verbreitet. Albin | |
> Kurti, kosovo-albanischer Oppositionspolitiker, geht nach vier Jahren | |
> Unabhängigkeit mit dem Kosovo hart ins Gericht. | |
Bild: Albin Kurti bei einer Demosntartion an der Grenze zu Serbien. | |
taz: Herr Kurti, am 17. Februar begeht das Kosovo den Jahrestag der | |
Unabhängigkeit. Wie sieht die Bilanz für Ihr Land nach vier Jahren aus? | |
Albin Kurti: Bei der Anerkennung durch andere Staaten gibt es Fortschritte, | |
bei der internen Konsolidierung sieht das anders aus. Die wirtschaftliche | |
Entwicklung stagniert, Armut und Arbeitslosigkeit sind weit verbreitet. Die | |
Stadt Mitrovica im Norden ist immer noch geteilt; Prishtina kontrolliert | |
ein Viertel des Territoriums nicht. Verantwortlich dafür ist unsere | |
Regierung, die korrupt ist. | |
Woran macht sich das fest? | |
Vor allem an der Wirtschaft. Die Regierung verkauft Privatisierungen als | |
mathematische Wahrheiten, so als ob alle volkseigenen Betriebe nur zum Wohl | |
unserer Wirtschaft privatisiert worden wären. Das ist nicht passiert. Und | |
jetzt setzt man auf Investitionen in die Infrastruktur. Nehmen Sie nur den | |
Vertrag mit Bechtel und Enka, einem US-türkischen Joint Venture, das für | |
eine Milliarde Euro eine Autobahn im Kosovo baut. Das liegt dreifach über | |
dem Marktpreis. Zudem hatten wir im Dezember 2010 die unfairsten Wahlen | |
seit Jahren … | |
Bei denen Ihre Bewegung auf dem dritten Paltz landete … | |
Wir bekamen die Simmen, die wir vor dem Betrug gerettet hatten. Das wissen | |
auch die Vertreter der internationalen Gemeinschaft im Kosovo nur zu gut. | |
Brüssel bezeichnete die Wahlen als ruhig, nicht als ehrlich, frei und | |
demokratisch. Sie vergleichen uns mit den Krisengebieten in der Welt. Und | |
wenn wir da etwas besser abschneiden, dann reicht das aus. | |
Wie beurteilen Sie die Arbeit etwa der EU-Rechtsstaatsmission Eulex? | |
Die internationale Herrschaft über das Kosovo setzt auf eine kurzfristige | |
politische Stabilisierung. Wenn die Situation ruhig bleibt, wird das schon | |
als Erfolg gewertet. Die EU-Rechtsstaatsmission Eulex gibt eine Million | |
Euro pro Tag im Kosovo aus. Dort sind 2.000 Polizisten, Richter und | |
Ermittler im Einsatz, die Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung | |
genießen und unbegrenzte Exekutivvollmachten haben. Wenn sie von | |
Rechtsstaat reden, meinen sie damit Sicherheit und Stabilität. Die Eulex | |
benutzt den Kampf gegen Korruption nur, um unsere Politiker zu | |
disziplinieren und die Stabilität aufrechtzuerhalten. | |
Sollte Eulex das Kosovo verlassen? | |
Nein, aber wir sollten den Charakter der Mission ändern. Wir brauchen | |
Experten aus dem Ausland zum Beispiel in der Landwirtschaft. Und nicht mehr | |
Polizisten, um uns zu disziplinieren. | |
Sie haben schon die zwischen Kosovaren und Serben geteilte Stadt Mitrovica | |
erwähnt … | |
Das Hauptproblem liegt hier bei den Serben. Präsident Boris Tadic hat | |
gesagt, dass er die Unabhängigkeit Kosovos niemals anerkennen wird. Serbien | |
hat sich seit der Milosevic-Zeit kaum verändert. Belgrad unterstützt die | |
Republika Srpska in Bosnien, um den Staat unregierbar zu machen. Das | |
Gleiche wird im Kosovo versucht. So finanziert Belgrad die Machtstrukturen | |
im Nordkosovo jährlich mit einer halben Milliarde Euro. Die Drohung einer | |
Destabilisierung der Region soll Brüssel dazu bringen, gegenüber Serbien | |
Konzessionen zu machen. | |
Wie könnte eine Lösung des Problems aussehen? | |
Wir müssen die territoriale Integrität mittels sozialer und | |
wirtschaftlicher Maßnahmen herstellen. Die serbische Finanzierung der | |
Machtstrukturen muss unterbunden werden, den Serben muss der Erwerb | |
albanischer Immobilien verboten werden, weil sich dadurch eine schleichende | |
ethnische Säuberung vollzieht. | |
Sie haben wiederholt Demonstrationen an der Grenze zu Serbien organisiert. | |
Wir sind eine politische Bewegung, die institutionelle Mittel mit | |
friedlichen Protestaktionen verbindet. Demokratie sollte nicht auf ein | |
repräsentatives System reduziert werden sollte. Serbien überschwemmt | |
unseren Markt mit Waren, erkennt unsere Pässe, Autokennzeichen oder | |
Zolldokumente aber nicht an. Es geht um den Grundsatz der Gegenseitigkeit, | |
der ist der Kern von Gleichheit. Und dafür werden wir weiter kämpfen. | |
16 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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