# taz.de -- Serbiens EU-Beitritt: Kosovaren über den Tisch gezogen | |
> Serbien ist der Status eines Beitrittskandidaten zur EU praktisch in die | |
> Hand versprochen. Das sorgt im Kosovo für Proteste gegen die eigene | |
> Regierung. | |
Bild: Im Kosovo wird der Jahrestag der Unabhängigkeit mit Flaggen, aber ohne d… | |
SPLIT taz | Tausende Kosovo-Albaner haben gestern unter Führung der | |
Oppositionspartei Vetevendosje (Selbstbestimmung) gegen die eigene | |
Regierung demonstriert. Sie werfen der Regierung unter Hashim Thaci vor, | |
die "hart erkämpfte Souveränität des Landes" bei den Verhandlungen mit | |
Serbien aufs Spiel gesetzt zu haben. | |
Grund für die Proteste ist das Verhandlungsergebnis, auf das sich die | |
Delegationen Kosovos und Serbiens am Freitag geeinigt haben. Demnach tritt | |
das Kosovo künftig bei allen regionalen Konferenzen unter dem Namen | |
"Kosovo" und nicht, wie von Prishtina gefordert, unter dem Namen "Republik | |
Kosovo" auf. | |
Kosovo kann damit selbst auf regionaler Ebene internationale Abkommen | |
schließen – bisher war dies der UN-Mission im Kosovo vorbehalten. Doch der | |
Name Kosovo wird mit einem Sternchen versehen. In der entsprechenden | |
Fußnote heißt es: "Dieser Name präjudiziert nicht den Status Kosovos und | |
steht im Einklang mit der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates und der | |
Meinung des Internationalen Gerichtshofs über die Unabhängigkeitserklärung | |
des Kosovos." | |
Der internationale Gerichtshof hatte die Unabhängigkeitserklärung Kosovos | |
2010 zwar für rechtens erklärt, in der UN-Resolution 1244 von 1999 wird | |
Kosovo jedoch nach wie vor als Teil Jugoslawiens definiert. | |
## Diplomatischer Erfolg für Belgrad | |
Damit steht Prishtina praktisch als Verlierer des von der EU vermittelten | |
Verhandlungsmarathons zwischen Serben und Kosovaren fest. Wenn morgen die | |
EU-Außenminister offiziell das Verhandlungsergebnis gutheißen, woran | |
niemand mehr zweifelt, wird Serbien den Status eines Kandidaten für die | |
Aufnahme in die EU erhalten. Damit hätte Belgrad einen großen | |
diplomatischen Erfolg erzielt. | |
In Belgrad wurde die Nachricht über die Einigung mit Jubel aufgenommen. | |
Serbien, das sich als Rechtsnachfolger Jugoslawiens sieht, hat es mit | |
dieser Formulierung vermieden, den Status Kosovos als unabhängigen Staat | |
anzuerkennen. | |
Die Konzession, dass Kosovo auf regionalen Konferenzen auftreten darf, ist | |
keine gravierende. Denn faktisch hat das Land schon bisher an den | |
Konferenzen teilgenommen, wenngleich Unterschriften unter die Abkommen noch | |
von der UN-Mission geleistet wurden. | |
## Ungeheurer Druck | |
Noch vor wenigen Tagen hatte die Kosovo-Regierung einen derartigen | |
Kompromiss kategorisch abgelehnt. Dass sie eingeknickt ist, kann nur durch | |
die Haltung der EU erklärt werden. "Wir standen unter ungeheurem | |
diplomatischem Druck", erklärte am Montag ein prominentes | |
Regierungsmitglied, das nicht genannt werden will, gegenüber unserer | |
Zeitung. "Es gibt nicht einmal Fortschritte für das Problem Nordkosovo." | |
Diese Fortschritte hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei | |
einem Besuch in Belgrad Anfang September 2011 kategorisch eingefordert. Die | |
im Kosovo stationierten Eufor-Truppen hatten daraufhin mehrmals vergeblich | |
versucht, die von der serbischen Bevölkerung in Nordkosovo errichteten | |
Barrikaden beiseite zu räumen. | |
Bei Zusammenstößen war sogar auf die Eufor-Truppen mit scharfer Munition | |
geschossen worden, es gab Verletzte und einen Toten. Zwar stimmten jetzt | |
beide Seiten einer Regelung zur Verwaltung der gemeinsamen Grenze sowie zur | |
Reisefreiheit endgültig zu, doch diese stammt noch vom Dezember und wurde | |
bisher durch Serbien nicht umgesetzt. | |
Wie gespannt das Verhältnis derzeit ist, zeigt die Festnahme von sechs | |
serbischen Polizisten im Kosovo. Wie die EU-Rechtsstaatsmission Eulex am | |
Montag in Prishtina mitteilte, wurden die Männer am Wochenende in Gnjilane | |
in der serbischen Enklave Partes im Südwesten des Kosovo festgenommen. Sie | |
sollen – auf Anordnung aus Belgrad – die Einwohner gedrängt haben, die | |
Institutionen im Kosovo nicht anzuerkennen. | |
Die Kanzlerin hatte zuletzt mit ihrem klaren Standpunkt in der Frage der | |
Souveränität Kosovos über den Norden Aufsehen erregt. Nach Informationen | |
aus der CDU soll sie noch zögern, der EU-Linie voll zuzustimmen. | |
27 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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