# taz.de -- Freitagscasino: Die Panik der Babyboomer | |
> Wenn 2025 der demografische Wandel vollzogen ist, gibt es Jobs für alle. | |
> Bloß die alternden Babyboomer haben das nicht verstanden – und machen die | |
> falsche Politik. | |
Bild: Vom Babyboom zum Altenboom: 2025 ist das Wirklichkeit. | |
So schön können Prognosen sein: Die Vollbeschäftigung naht. Spätestens ab | |
2025 gibt es für jeden eine Stelle. Denn die demografische Uhr tickt. Die | |
Babyboomer wechseln in die Rente, während kaum noch Jugendliche | |
nachwachsen. Da wird jeder gebraucht. | |
Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat es | |
kürzlich ausgerechnet: Zwischen 2008 und 2025 sinkt das „Angebot an | |
potentiellen Arbeitskräften“ um 6,7 Millionen, bis 2050 sind es 18 | |
Millionen. Dieser Einbruch lässt sich selbst dann nicht mehr kompensieren, | |
wenn fast alle Frauen arbeiten und die Rente später beginnt. Es werden | |
Millionen an Arbeitnehmern fehlen. | |
Auch Zuwanderer können die vakanten Stellen nicht mehr füllen. Denn es | |
müssten jährlich 400.000 Menschen nach Deutschland kommen, damit die Zahl | |
der Arbeitskräfte konstant bleibt. So viele Einwanderer wurden noch nicht | |
einmal in den 60er Jahren verzeichnet, als europaweit „Gastarbeiter“ | |
angeworben wurden. | |
## Eltern könnten entspannen | |
Die strukturelle Massenarbeitslosigkeit ist also demnächst vorbei, und | |
damit endet eine Epoche, die 1975 mit einem Schock begann. Damals wurden | |
eine Million Arbeitslose registriert. Nichts hat die Gesellschaft so | |
geprägt. Denn viele hatten nun Angst, dass sie ihre Stelle und damit ihren | |
sozialen Status verlieren könnten. | |
Spätestens ab 2025 ist diese Sorge überflüssig – so dass sich Jugendliche | |
und Eltern schon jetzt entspannen könnten. Jeder wird eine Stelle finden. | |
Doch diese gute Nachricht ist noch nicht eingesickert. Unverändert fürchten | |
viele Eltern, dass ihre Kinder nicht wettbewerbsfähig sein und auf dem | |
Arbeitsmarkt versagen könnten. | |
Noch nie haben so viele Schüler Nachhilfe erhalten, noch nie war | |
frühkindliche Förderung so populär. Und noch nie haben gerade Akademiker so | |
strikt darauf geachtet, dass ihr Nachwuchs in Schule und Freizeit nicht mit | |
den unteren Schichten in Berührung kommt. Denn diese Kontakte erscheinen | |
nutzlos oder gar bedrohlich, weil sie – in der Fantasie der Eltern – den | |
mühsam erarbeiteten Bildungsvorsprung wieder erodieren könnten. | |
Dieser Distinktionswettlauf ist völlig überflüssig. Es ist egal, ob der | |
Nachwuchs später als Pfleger oder Arzt arbeitet – sie alle werden sehr | |
ordentlich verdienen, denn sie werden ja alle gebraucht. Doch offenbar | |
können die Babyboomer nicht von ihrer eigenen Generationserfahrung | |
abstrahieren. Sie selbst waren überall zu viele – und deswegen glauben sie, | |
dass auch ihre Kinder überzählig sein könnten. Die Babyboomer haben nicht | |
bemerkt, dass sie die letzten Babys waren. | |
## Wer soll meine Rente bezahlen? | |
Es mag psychologisch zu verstehen sein, dass eine Generation ihre eigenen | |
Erfahrungen verabsolutiert. Aber politisch hat dies fatale bis bizarre | |
Folgen. Fast jede Debatte in Deutschland wird falsch geführt – ob bei der | |
Bildungspolitik, der „Herdprämie“, der Rente oder beim Immobilienmarkt. | |
Bei der Bildung ist es offensichtlich: Wenn demnächst die Beschäftigten | |
knapp werden, wäre es rational, die verfügbaren Kräfte möglichst gut | |
auszubilden. Aber nein, noch immer werden vor allem die Migrantenkinder | |
nach unten durchgereicht. Erst kürzlich hat ein bundesweiter | |
„Chancenspiegel“ ergeben, dass die Aussichten für Kinder aus besseren | |
Schichten, ein Gymnasium zu besuchen, je nach Bundesland zwei- (Berlin) bis | |
siebenmal (Bayern) so hoch sind wie für Kinder aus ärmeren Familien. | |
Mitleidlos sorgen die Babyboomer der Mittelschicht dafür, dass ihre Kinder | |
keine Konkurrenz von unten bekommen. | |
Diese Sorge vor unerwünschtem Wettbewerb dürfte allerdings demnächst von | |
einer neuen Panik abgelöst werden, die schon jetzt latent schwelt: Wer soll | |
meine Rente bezahlen?! Sobald die Arbeitskräfte sichtbar knapp werden, | |
dürfte es daher zu einer Art „Militarisierung“ der Bildung kommen, die | |
umfassende Kontrolle des Lernfortschritts verspricht. Es wird die Angst | |
grassieren, dass die zukünftigen Arbeitskräfte nicht zum Arbeitsmarkt | |
passen könnten. Also wird jedes Kind in die Krippe müssen und bei | |
Sprachproblemen schon früh ein rigides Förderprogramm einsetzen. | |
Völlig abseitig ist auch die „Herdprämie“, mit der die CSU Mütter belohn… | |
will, die ihre Kleinkinder zu Hause betreuen. Denn schon bald wird allen | |
auffallen – selbst den Bayern –, dass die Frauen als Arbeitskräfte | |
gebraucht werden. Die „Herdprämie“ ist ein Auslaufmodell, noch bevor sie | |
eingeführt wurde. | |
## Immobilien: unverkäuflich | |
Bei der Rente wiederum gehört es zu den großen Mythen, man könne „privat | |
vorsorgen“. Diese Hoffnung hat zwar durch die Finanzkrise einen kleinen | |
Dämpfer bekommen, aber das eigentliche Hindernis wird nicht gesehen. Wenn | |
die Arbeitnehmer knapp werden, steigen ihre Löhne. Höhere Gehälter bedeuten | |
aber – prozentual – niedrigere Gewinne. | |
Dies schmälert dann die Zinsen und Dividenden, die die private Vorsorge | |
finanzieren sollen. Niemand kann sich den neuen Fronten im Verteilungskampf | |
entziehen, wenn Vollbeschäftigung herrscht: Die Erwerbstätigen | |
erwirtschaften das Volkseinkommen – und mit ihnen wird man aushandeln | |
müssen, wie viel davon an die Kapitaleigner und also an die fleißig | |
sparenden Rentner der Zukunft fließt. | |
Vor allem eine Variante der privaten Vorsorge ist weitgehend sinnlos: die | |
eigene Immobilie. Momentan ist es sehr populär, eine Wohnung oder ein Haus | |
zu kaufen – auch weil viele glauben, dass die Eurokrise zwingend zur | |
Inflation führen muss. Doch hat eine Immobilie ja nur Wert, wenn sie wieder | |
verkäuflich ist. Und damit sieht es längerfristig schlecht aus. Das | |
Statistische Bundesamt prognostiziert, dass ab 2025 die Zahl der Haushalte | |
fällt, eben weil die Bevölkerung zurückgeht. Dies bedeutet: Spätestens ab | |
2025 beginnt der Leerstand, der die Immobilienpreise nach unten drückt. | |
Zusammengefasst: Die Babyboomer verfolgen die falsche Anlagestrategie. Sie | |
erwerben am liebsten Immobilien – dabei müssten sie in die Ausbildung der | |
heute benachteiligten Kinder investieren. Denn nur diese Arbeitskräfte von | |
morgen können jenen Reichtum erwirtschaften, den sich jetzt schon alle | |
sichern wollen. | |
23 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
Ulrike Herrmann | |
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Beamte | |
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