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# taz.de -- Freitagscasino: Die Dialektik des Kapitals
> Viel Kapital muss vernichtet werden, bevor sein Besitz wieder lohnt. Und
> es ist unklar, ob jemals bessere Zeiten anbrechen werden. Der
> Kapitalismus ist in seinem Kern getroffen.
Bild: Wie weiter mit dem Kapitalismus?
Was ist bloß an den Finanzmärkten los? Nie entwickeln sie sich so, wie man
es erwartet. Besonders bemerkenswert waren die Ereignisse rund um die
Entscheidung der US-Ratingagentur Standard & Poor's, die Zahlungsfähigkeit
der USA herabzustufen. Eigentlich hätte man damit rechnen müssen, dass die
Besitzer von amerikanischen Staatsanleihen in Panik geraten. Schließlich
bekamen sie amtlich bestätigt, dass sie ihr Geld eventuell nicht
wiedersehen.
Doch eine Panik war nicht zu erkennen. Die Anleger schienen bestens zu
schlafen. Jedenfalls verzichteten sie bereitwillig darauf, höhere Zinsen zu
verlangen, um wenigstens einen Gegenwert für das gestiegene Risiko zu
erhalten. Stattdessen warfen sie der der amerikanischen Regierung das Geld
sogar noch hinterher. Kaum hatte Standard & Poor's seine Warnung
hervorgestoßen, sanken die Renditen für 10-jährige US-Staatsanleihen – von
2,5 auf 2,3 Prozent.
Das ist seltsam. Noch seltsamer ist allerdings, dass die Investoren sogar
bereit sind, Verluste hinzunehmen, damit sie ihr Geld in den USA parken
können. Denn dort liegt die Inflation momentan bei 3,6 Prozent. Wer jetzt
in zehnjährige US-Staatsanleihen investiert, macht also einen jährlichen
Verlust von mehr als einem Prozent. So hatte man sich den Kapitalismus
eigentlich nicht vorgestellt, dass die Kapitalisten freiwillig ihr Kapital
vernichten.
## Drei Erklärungen
Drei Erklärungen für dieses Phänomen sind denkbar: Die Anleger spinnen, die
Anleger spinnen nicht, der Kapitalismus hat ein systemisches Problem. Um es
vorwegzunehmen: Die Investoren irren nicht. Sie folgen zwar gern dem
Herdentrieb, aber rechnen können sie trotzdem. Ihnen ist nicht entgangen,
dass sie mit US-Staatsanleihen momentan Verluste einfahren. Aber auch ein
Verlust ist eben relativ – er könnte ja anderswo noch größer sein.
Und danach sieht es aus. Die Aktienmärkte oszillieren sich in die Tiefe,
und auf den Rohstoffmärkten geht es ebenfalls nach unten, ein Ende ist
nicht abzusehen. Bei den US-Staatsanleihen dagegen sind die Verluste
wenigstens kalkulierbar.
Diese risikoscheue Verlustakzeptanz ist nicht nur bei Großinvestoren zu
beobachten: Die Kleinsparer verhalten sich genauso. Ängstlich parken sie
ihr Geld auf Festgeldkonten, die kaum Zinsen abwerfen, und warten auf
bessere Zeiten.
Allerdings ist unklar, ob diese besseren Zeiten jemals anbrechen werden. Es
stellt sich nämlich die "Systemfrage", wie es früher so schön hieß. Wobei
sich eine interessante Umkehrung zeigt: In den 70er Jahren wurde ständig
über die "Systemfrage" debattiert, ohne dass dies das System namens
Kapitalismus jemals näher tangiert hätte. Doch jetzt, wo die Systemfrage
längst aus dem Diskurs verschwunden ist, drängt plötzlich das System selbst
diese Frage auf: Ist der Kapitalismus am Ende?
## Wenn eine Superblase platzt
Auf jeden Fall scheint er in seinem Kern getroffen. Denn Kapitalismus meint
ja die Idee, dass man Geld investiert, um hinterher mehr Geld zu haben.
Doch neuerdings sind alle Renditen im Minus, so dass sich das Kapital nicht
mehr akkumuliert - sondern selbst vernichtet.
Sogar Konservative glauben inzwischen nicht mehr, dass dies nur eine
unglückliche Phase sei, die wie jede Konjunkturdelle in einem Aufschwung
mündet. Einmal mehr scheint der legendäre Hedgefonds-Manager George Soros
Recht zu behalten. Er prognostizierte schon vor Jahren, dass sich eine
"Superblase" aufgepumpt habe, die nun in mehreren Schüben platzt.
Aber was ist eine "Blase" oder gar eine Superblase? Diese Metapher erklärt
sich ja keineswegs von selbst, obwohl sie inflationär verwendet wird.
Beschrieben wird damit immer die dramatische Vermehrung von Vermögen. Beim
Gold ist momentan besonders eindrucksvoll zu sehen, wie sich eine Blase
bildet: Vor einem Jahr kostete die Unze etwa 1.200 Dollar, jetzt sind es
rund 1.800 Dollar. Dieser Anstieg wird gern als "Wertsteigerung" tituliert.
Doch tatsächlich handelt es sich um eine versteckte Inflation.
Dieser Gedanke mag stolzen Goldbesitzern nicht auf Anhieb einleuchten. Man
stelle sich aber die gleiche Entwicklung bei Nahrungsmitteln vor: Wenn ein
Brot erst 1,20 Euro pro Kilo kostet und ein Jahr später schon 1,80 Euro
verlangt werden, dann würde niemand von Wertsteigerung sprechen - sondern
eine Hyperinflation von 50 Prozent erkennen.
Übrigens ist der Run aufs Gold ein weiteres Indiz, dass der Kapitalismus in
der Krise steckt. Denn bekanntlich ist Gold kein Produktionsmittel und
wirft daher auch keine Zinsen oder Dividenden ab. Wer Gold kauft,
"investiert" nicht, obwohl dies immer wieder gern behauptet wird - sondern
verhält sich wie ein Fürst im Feudalismus, der eine Schatzkammer anlegt.
## Es ist zu viel Vermögen da
Doch nicht nur beim Gold gibt es eine Blase, auch Immobilien und Aktien
sind überbewertet. Überall hat eine Inflationierung des Vermögens
stattgefunden, die sich als "Wertsteigerung" maskiert. Diese heimliche
Inflation lässt sich auch messen. Im Jahr 1992 hatten die Deutschen ein
Vermögen von 7,26 Billionen Euro, wie sich beim Statistischen Bundesamt
nachlesen lässt. 2008 waren es schon 15,07 Billionen: Macht ein stattliches
Plus von nominal 107,6 Prozent.
In der gleichen Zeit legte die Wirtschaft aber nominal nur um 51 Prozent
zu. Das Vermögen wuchs also doppelt so schnell wie die Produktion. Das kann
nicht funktionieren, sondern bedeutet langfristig: Die Renditen müssen
sinken - oder das Vermögen. Diese Kapitalvernichtung läuft, wie die
fallenden Aktienkurse und die Verluste bei den Staatsanleihen zeigen. Aus
der "Superblase" wird Luft abgelassen.
Der Ausgang ist ungewiss. Bisher hat der Kapitalismus noch jedes Mal
überlebt, wenn sein Ende nah schien. Doch der Trend ist klar: Es wird noch
viel Kapital vernichtet werden müssen, bevor es sich wieder rentiert,
Kapital zu besitzen. Das ist Dialektik – noch eines dieser Worte, die
früher so populär waren.
12 Aug 2011
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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