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# taz.de -- Freitagscasino: Loser mit Routinejob
> Die Wall-Street-Hierarchie: Oben die Investmentbanker – unten die
> Ratingagenturen. Wetten gegen Ratingagenturen sind an der Wall Street
> schon länger ein lukratives Geschäft.
Bild: Ratingagenturen wie S&P: Desaströse Bilanz in der Eurokrise.
Entmachtet die Ratingagenturen! Dieser verzweifelte Schlachtruf ertönt nun
überall. Unwillkürlich entsteht dabei das Bild, als säßen in den
Ratingagenturen globale Herrscher, die es vermögen, mit ihrem kleinen
Finger ganze Länder zum Einsturz bringen.
Die Realität ist trister. Wer bei einer Ratingagentur arbeitet, wird meist
verachtet. An der Wall Street gibt es eine klare und grausame Hierarchie:
Oben stehen die Investmentbanker – und ganz unten die Ratingagenturen. Denn
hartnäckig hält sich der Verdacht, dass bei ihnen nur anheuert, wer keinen
besseren Job gefunden hat.
Für diese böse Vermutung gibt es einen Grund: Es wird nicht gerade gut
gezahlt bei den Ratingagenturen. Selbst die Chefs müssen sich bescheiden.
Deven Sharma zum Beispiel ist der Boss von Standard & Poor's und verdient
trotzdem nur ganze 1,57 Millionen Dollar im Jahr – da sind die
Aktienoptionen schon eingerechnet. Für eine solche Mickermillion würde
Josef Ackermann niemals arbeiten, der bei der Deutschen Bank im vergangenen
Jahr fast das Zehnfache bekam.
## Mickermillion für Ackermann
Da die Wall Street nur eine Währung kennt – nämlich das Gehalt –, gelten
die Mitarbeiter der Ratingagenturen als Loser, die sich an ihren sicheren
Routinejob klammern. Das gleiche Schicksal erleiden übrigens die
Angestellten der Aufsichtsbehörden, deren Jahreslohn ebenfalls bescheiden
ist. Auch bei ihnen wird gern vermutet, dass sie zu dumm seien, um im
Investmentbanking Millionen zu scheffeln.
Jedenfalls ist es längst zu einem lukrativen Geschäftszweig an der Wall
Street geworden, gegen die Ratingagenturen zu wetten. Ganz nach dem Motto:
Die haben ja sowieso nur selten Ahnung. Bei Unternehmensanleihen, zum
Beispiel, wird systematisch gefahndet, wo die Agenturen bei ihren
Bewertungen danebenliegen. Dabei ist völlig egal, ob das Rating zu gut oder
zu schlecht ist. Wichtig ist nur die Differenz zwischen Bewertung und
Realität, um erfolgreich zu spekulieren.
Die Verachtung für die Ratingagenturen ist nicht völlig unbegründet, denn
einige ihrer Fehlurteile sind spektakulär. So wurde die Finanzkrise in den
USA nur möglich, weil die Ratingagenturen fast jede Kreditverbriefung mit
der besten Bewertung "AAA" versahen. Bankunterlagen wollten sie dafür nicht
sehen, wie sich später im Untersuchungsausschuss des US-Kongresses
herausstellte. Deswegen entging den Ratingagenturen auch, dass viele
Häuslebauer gar kein ausreichendes Einkommen hatten, um ihre Schulden
zurückzuzahlen.
Am Ende hatten 64.000 "strukturierte Wertpapiere" ein AAA-Rating - das aber
weltweit nur 12 Großkonzernen gewährt wurde. Dennoch blieb bei den
Ratingagenturen unbemerkt, wie seltsam es ist, dass überschuldete
Einfamilienhausbesitzer kreditwürdiger sein sollten als florierende
Unternehmen, die global agieren.
## Zeitungslektüre als Grundlage
Ähnlich desaströs fällt die Bilanz der Ratingagenturen aus, wenn es um die
Eurokrise geht. Dass Griechenland pleite sein könnte, entdeckten sie erst,
als es schon in der Zeitung stand. Überhaupt die Zeitungslektüre: Sie
scheint eine zentrale Informationsquelle der Ratingagenturen zu sein. So
bewertete Standard & Poor's das neue italienische Sparpaket, noch bevor die
Regierung es detailliert vorgestellt hatte. Dieses Vorgehen alarmierte die
italienische Börsenaufsicht, die den dringenden Verdacht hegt, dass sich
die Ratingagentur allein auf "Indiskretionen aus der Presse" stützt.
Der Spott über die Ratingagenturen fällt also leicht. Fragt sich nur: Wie
können derart windige Unternehmen eine solche Macht erlangen, dass nun alle
europäischen Politiker ihre "Entmachtung" fordern müssen?
Eine beliebte Erklärung – auch von Finanzminister Wolfgang Schäuble am
Mittwoch wieder vorgetragen - lautet: Die Agenturen hätten ein "Oligopol".
Diese Erkenntnis wird dann meist zu der Forderung erweitert, dass nun
dringend eine "unabhängige" europäische Ratingagentur gegründet werden
müsse. Dagegen ist nichts zu sagen, aber besonders viel bringen dürfte sie
nicht.
## Portugal ist trotzdem pleite
Erstens: Es haben ja nicht nur die US-Ratingagenturen versagt, sondern auch
die europäischen Aufsichtsbehörden. Weder Bundesbank noch Bafin haben die
Kreditblase in den USA rechtzeitig gesichtet oder vor der nahenden Pleite
Griechenlands gewarnt. Warum also sollte ausgerechnet eine europäische
Ratingagentur besser funktionieren?
Zweitens: Schäuble suggeriert mit seiner Kritik an den Ratingagenturen,
dass Griechenland oder Portugal nicht pleite wären, wenn es nicht diese
negativen Bewertungen gäbe. Das jedoch ist Unsinn. Die Finanzmärkte bilden
sich die Zahlungsschwierigkeiten in Südeuropa nicht ein – sie haben sie nur
spät bemerkt.
Drittens: Die Ratingagenturen haben ihre Macht nicht usurpiert – sie wurde
ihnen geschenkt. Dies verdanken sie der verqueren Idee, dass Banken ihr
Eigenkapital "risikogewichtet" vorhalten sollen. Der Grundsatz klingt noch
logisch. Hohes Risiko, viel Eigenkapital. Wenig Risiko, wenig Eigenkapital.
Aber wie schätzt man das Risiko all der millionenfachen Investitionen ein,
die eine Bank tätigt, um das Geld ihrer Kunden anzulegen oder aber auch auf
eigene Rechnung zu spekulieren? Genau. Dafür benötigt man unabhängige
Institutionen, die die Unternehmensanleihen, Staatsanleihen, Verbriefungen
etc. bewerten. Sie heißen Ratingagenturen.
Wer die Ratingagenturen entmachten will, muss daher die Finanzmärkte völlig
anders regulieren und den Banken vorschreiben, dass sie sehr viel mehr
Eigenkapital vorhalten müssen - egal, wie "riskant" ihre Anlagen sind. Dann
muss das "Risiko" auch nicht mehr extern bewertet werden. Diese Idee ist
keineswegs neu, bei den Banken aber verhasst. Denn sie könnten ihre Rendite
nicht mehr so stark "hebeln", indem sie vor allem mit fremdem Geld
spekulieren.
Die Ratingagenturen sind eigentlich uninteressant im großen Spiel an den
Finanzmärkten. Die Banker an der Wall Street haben das längst begriffen,
die EU-Finanzminister aber offenbar noch nicht.
8 Jul 2011
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
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