# taz.de -- Acta und der Streit ums Urheberrecht: King Kong gegen Godzilla | |
> Ist Label-Chef Stefan Herwig eine „unfaire Dampfwalze“ und Neupirat Bruno | |
> Kramm ein Nazi? Auswüchse eines bizarren Streits, bei dem es um mehr als | |
> Acta geht. | |
Bild: Was sie schon immer über Acta wissen wollten ... | |
„Bruno, du bist auf dem besten Wege, zum Joseph Goebbels der Netzkultur zu | |
werden“, twitterte neulich [1][//twitter.com/#!/StefanHerwig1:Stefan | |
Herwig], der Chef des Labels Dependent, das in den Bereichen Gothic und | |
Industrial aktiv ist. Adressat seiner Attacke war Bruno Kramm, der in einer | |
ähnlichen Nische zu Hause ist – als Labelmacher (Danse Macabre) wie als | |
Künstler (Das Ich). | |
Mit dem Nazivergleich war eine neue Eskalationsstufe im Streit zwischen | |
Herwig und Kramm erreicht. Der Streit zwischen den Musikmanagern rührt | |
daher, dass Kramm ein mittlerweile weit verbreitetes Anti-Acta-Video der | |
Gruppierung Anonymous übersetzt hat. | |
Ende Januar hat er dies bei YouTube hochgeladen. Herwig initiierte | |
daraufhin eine Petition gegen den Clip – und wetterte in einem Artikel für | |
das Branchenblatt Musikwoche, den später auch andere Medien | |
veröffentlichten, gegen Kramms „hanebüchene Desinformationen“. | |
Dessen Reaktion: ein offener Brief, in dem er darlegt, er habe das Video | |
übersetzt, obwohl er „nicht alle Positionen des Clips“ teile und wisse, | |
„dass vieles überspitzt beziehungsweise aus heutiger Sicht sogar falsch | |
dargestellt“ werde. Dass Acta in mancherlei Hinsicht gefährlich ist, muss | |
man in der taz nicht betonen. Auf einem anderen Blatt steht, wem es | |
mittelfristig nützt, wenn die Kritik auf falschen Behauptungen basiert. | |
Und davon wimmelt es in dem Video: Zum Beispiel heißt es dort, Acta könne | |
zum „urheberrechtlichen Schutz einer Idee, einer Information oder eines | |
Begriffs eingesetzt werden“. Doch das Urheberrecht gilt weder für Ideen | |
noch für Informationen noch für Begriffe. Wer in Acta-Zeiten „geschützte | |
Zeitungsartikel“ in Mails zitiere, dem drohe Gefängnis, heißt es – als ge… | |
es kein Zitatrecht. | |
## Krumwiedes Faktotum | |
Angesichts derlei Unfugs hat nicht nur die „unfaire Dampfwalze“ Herwig – | |
Kramm nennt ihn so – die Nerven verloren, sondern offenbar auch ein | |
„hochrangiger Musikwirtschaftsfunktionär“ (erneut Kramm). Der warf dem | |
Danse-Macabre-Mann in einer als privat deklarierten Mail Stürmer-Stil vor. | |
Bezeichnend für die inhaltliche Qualität des Anti-Acta-Films ist auch, dass | |
ein Jurastudent, der selbst Acta-Kritiker ist, ein Gegenvideo ins Netz | |
gestellt hat. Seit Anfang dieser Woche ist davon eine professionellere | |
Version online, die der Verband Unabhängiger Tonträgerunternehmen (VUT) | |
produziert hat. In der Debatte geht es nicht nur um Acta: „Künstlern ist | |
längst der multiplikatorische Werbeaspekt der Downloads klar geworden. | |
Die eigentliche Wertschöpfung geschieht auf den Konzerten, dem | |
Merchandiseverkauf und Auftritten im Rahmen großer Medienevents“, schreibt | |
Kramm in der Replik auf Herwig. Abgesehen davon, dass sich dummerweise „der | |
multiplikatorische Werbeaspekt“ nicht finanziell auszahlt, sollte Kramm | |
auch wissen, dass es Musik gibt, die sich live nicht umsetzen lässt, | |
Künstler, die aus anderen Gründen keine Konzerte geben, und Zielgruppen, | |
die gar keine Musik-Merchandising-Artikel kaufen. | |
Kramm fühlt sich von Herwig als „Nestbeschmutzer“ dargestellt, es passe der | |
Musikbranche nicht, dass er den Piraten beigetreten sei. Es war ein | |
fliegender Wechsel: Bei den Grünen habe er sich nicht mehr wohlgefühlt. Bei | |
[2][//twitter.com/#!/brunogertkramm:Twitter pöbelt der Neupirat] | |
mittlerweile: „Das Faktotum @LoSo314 der grünen MdB Krumwiede aka Frau | |
Verwerterlobby geht mir permanent mit unreflektierten Tweets auf die Eier.“ | |
Agnes Krumwiede ist die kulturpolitische Sprecherin der Grünen, das | |
„Faktotum“ ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Lukas Schneider. | |
## Ausbaufähiges Debattenniveau | |
Wenn die eine Seite in abstrus pauschalisierender Form vermeintliche | |
Wertschöpfungsmodelle preist und die andere mit Nazivergleichen hausieren | |
geht, ist das ein Indiz dafür, dass das Debattenniveau in der Musikbranche | |
ausbaufähig ist. | |
Immer öfter hat man den Eindruck, dass die Qualität der Diskussionen, die | |
in zahlreichen Ecken des Netzes über das Urheberrecht und die Zukunft der | |
Musik stattfinden, die „abstruse Mischung aus peinlichem Halbwissen, | |
unterirdischen Beschimpfungen und der ewigen Wiederholung von vagen | |
Allgemeinaussagen ohne Lösungsansätze“ ([3][Spreeblick-Blogger Johnny | |
Häusler]) auf die Branche abfärbt. | |
Was selten zur Sprache kommt, ist, dass es sich bei der Debatte um das | |
Urheberrecht und die Forderungen nach Freiheit des Datenverkehrs um eine | |
Auseinandersetzung handelt zwischen altem und neuem Kapitalismus, zwischen | |
etablierten Giganten (gern als „Verwerter“ beschimpft) und relativ neuen | |
Giganten (die es geschickt verstehen, ihre Interessen als die der Nutzer zu | |
verkaufen). | |
Oder um es mit dem Journalisten Wolfgang Michal zu sagen: zwischen King | |
Kong und Godzilla. Kramm sagt dagegen Sätze wie: „Das Internet gehört | |
allen.“ Bei Redaktionsschluss waren die großen Webfirmen allerdings noch | |
nicht in der Hand des Volkes. | |
29 Mar 2012 | |
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## AUTOREN | |
René Martens | |
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