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# taz.de -- Wer meint was mit welcher Maske?: Die sichtbaren Unsichtbaren
> Eigentlich heißt demonstrieren Gesicht zeigen – bis Anonymous,
> Nazi-Flashmobs und all die anderen Gruppen kamen. Ein Blick hinter die
> Masken.
Bild: Der Horror für Leute mit Clownsangst: Modell „Diabolisches Grinsen“.
## Modell „Diabolisches Grinsen“
Vor der Maske: Das popkulturell verspulteste, was der Politprotest zu
bieten hat. Sie geht zurück auf den Comic „V for Vendetta“, den Zeichner
Alan Moore Anfang der Achtziger veröffentlichte – und der 2005 verfilmt
wurde. Darstellen soll die Maske das Gesicht der historischen Figur Guy
Fawkes – ein britischer Katholik, der am 5. November 1605 versuchte, das
Londoner Parlamentsgebäude in die Luft zu sprengen.
Hinter der Maske: Anonymous. Die machten sich die Maske zu eigen, als sie
2006 begannen, als anonyme Masse gegen die Wirtschaftssekte Scientology zu
protestieren. Seitdem beschert der Maskenverkauf Hersteller Time Warner
satte Profite und wird von Anonymous auf Demos gegen Acta ebenso getragen
wie bei brandgefährlichen Aktionen gegen das mexikanische Drogenkartell -
oder auch, um am Erscheinungstag des letzten Harry-Potter-Bandes Fans in
Buchläden per Megafon das Ende zu spoilern.
Bedrohlichkeitsfaktor: Der Horror für Leute mit Clownsangst.
Tragekomfort: Plastik ist natürlich nichts für sensible Gesichtshaut. Aber
es hat ja auch niemand behauptet, dass das Leben eines Hackers ein
Spaziergang ist!
## Modell „Guerilla-Knitting“
Vor der Maske: Die Hasskappe oder auch Sturmhaube ist ein
Multifunktionsstrickwerk, das wahlweise zum Kälte- und Feuerschutz, zur
Innenhelmhygiene beim Motorradfahren oder zur Verschleierung der Identität
ihres Trägers dient. Letzteres gerne auch vor dem unangenehmen Teil von
Polizei und Militär.
Hinter der Maske: Der Wollmob ist das wohl beliebteste terroristische
Verschleierungsaccessoire des 20. Jahrhunderts. Fest in der
No-Bullshit-dagegen-Folklore wurde sie schon vor Jahrzehnten etabliert – am
prominentesten von den irischen Befreiungsterroristen der IRA und den
korsischen Extremisten von der FLNC. Endgültig zum Pop machte sie der
zapatistische Subcomandante Marcos Mitte der Neunziger. Das Blöde daran:
Weil sich jeder an ihn als pfeiferauchendes Mützenphantom erinnert, ist
sein eigentliches Anliegen, das mit dem Bauernaufstand in Mexiko, irgendwie
in den Hintergrund gedrängt worden.
Bedrohlichkeitsfaktor: Mäßig – schließlich hat jeder schmerbäuchige
Harley-Fahrer so ein Ding in der Schublade. Und weil die
Bombenwerfer-Ikonen von damals höchstens noch als Posterboys in WG-Küchen
rumhängen.
Tragekomfort: Kratzig.
## Modell „Schwitzhütte“
Vor der Maske: Diese Masken leben. Ob nun beim Duk-Duk-Kult in
Papua-Neuguinea oder bei verschiedenen afrikanischen Geheimbünden – das
holzgeschnitzte Vermummungsutensil wird beim Benutzen lebendig und
verkörpert einen Geist der Ahnen oder andere übernatürliche Mächte. Für
Nichtmitglieder gilt die Maske als gefährlich. Das Zugucken auch. Früher
bestraften die Duk-Duk heimliches Linsen beim Ritual mit dem Tod.
Hinter der Maske: Deutsche wissen, dass Politik und Religion
zusammengehören („Wir sind Papst“, Sarrazin, CSU). Andere Gesellschaften
verfolgen dieses Prinzip noch konsequenter. Geheimbünde, bei denen meist
nur Männer mitmachen dürfen, beraten den herrschenden Autokraten oder
regieren gleich selbst, sprechen Gerichtsurteile und erheben auch mal
Steuern. Bestimmte Rituale garantieren dabei den Segen der lokalen
Götterclique oder der Ahnen.
Bedrohlichkeitsfaktor: O Gott, ein riesiger Truthahn!
Tragekomfort: Wohnung auf 30 Grad heizen. Einen dieser orangefarbenen Kegel
von der Baustelle klauen und aufsetzen. Körper in eine Daunendecke wickeln,
diese mit einem Gürtel festzurren. Und langsam anfangen zu tanzen…
## Modell „Gelochter Zipfel“
Vor der Maske: Sieht aus wie eine Zipfelmütze, ist aber wohl eher eine
Nachfolgerin des Gugel. Dieser auf dem Kopf getragene Strickstrumpf galt
unter Männern im 14. Jahrhundert als der letzte Schrei – bevorzugt getragen
von Narren mit Zipfel und Glöckchen. Eine bayerische Geheimgesellschaft
ruft sich danach „die Guglmänner“. Die selbsternannten Monarchieschützer
fallen bis heute vor allem mit wilden Theorien zum Tod König Ludwig II. –
ja, der mit Neuschwanstein – auf.
Hinter der Maske: Ein Sack, Löcher rein, fertig ist die Haube. Dieser
kleinste gemeinsame Nenner des Inkognito zwingt von sich aus weder
Bekenntnis noch Entscheidung auf. Es steckten dementsprechend schon alle
möglichen Köpfe drunter – die Rassisten des Weihnachten 1865 gegründeten
Ku-Klux-Klan-Ordens ebenso wie die sich einstmals marxistisch verstehenden
Separatisten der baskischen ETA. Als die am 20. Oktober 2011 die
„definitive Beendigung ihrer bewaffneten Aktivitäten“ proklamierte, setzten
die Verkünder fürs Foto noch eine Baskenmütze oben drauf, so dass die
Zipfeligkeit ihres Maskenwerks nicht feststellbar war. Merke dennoch:
Sackgesichter gibt es rechts wie links.
Bedrohlichkeitsfaktor: Es tanzt ein Bi-ba-Butzemann / In unserm Haus herum,
dideldum.
Tragekomfort: Kommt ganz auf die Feinheit des Leinens an.
## Modell „Fielmann“
Vor der Maske: Eine Augenbinde. Gesehen sowohl auf dem Karneval in Venedig
als auch im Fetischregal des nächsten Sexshops. Eine Variante ohne Löcher
trägt auch seit dem 16. Jahrhundert die personifizierte Gerechtigkeit
Justitia. Eigentlich als Symbol des Richtens ohne Ansehen der Person
gedacht, wurde schon früh über die Blindheit der Justiz gespottet. Wer das
nicht hinnehmen will, macht einfach Löcher rein.
Hinter der Maske: Steckt in Zorros speziellem Falle ein Adeliger im
Kalifornien des 19. Jahrhunderts, der nachts in schwarzer Montur gegen das
Regime der spanischen Kolonialherren aufbegehrt. Ähnlichkeiten mit einem
gewissen Batman – tagsüber Millionär, nachts dunkler Rächer – sind nicht
zufällig: Sein Erfinder ließ sich 1939 von Zorro inspirieren. Wie die
meisten Superhelden sind sie Antipolitiker, eine possierliche Variante der
Lynchjustiz, wollen die Welt an staatlichen Institutionen vorbei verändern.
Was wiederum diverse US-Bürger inspirierte, selbst nachts maskiert
Verbrecher zu jagen. Oder die, die sie dafür halten.
Bedrohlichkeitsfaktor: Nicht hoch. Nicht mal für Spanier.
Tragekomfort: Als Schlafbrille im Flieger völlig unbrauchbar.
## Modell „Blanco“
Vor der Maske: Die perfekte Projektionsfläche – eine weiße Plastikmaske mit
grob stilisierten menschlichen Zügen, absolut ausdruckslos.
Hinter der Maske: Deutsche Aktivisten diverser politischer Couleur. Anfang
der nuller Jahre protestieren damit Praktikanten gegen ihre Ausbeutung und
Prekarisierung, Mitte der Nuller veranstalteten Kapitalismuskritiker, die
sich beleidigt „die Überflüssigen“ nannten, in Deutschland Aktionen hinter
der Maske – und aktuell ziehen die rechtsextrem-deutschnationalen
„Unsterblichen“ sie regelmäßig über, um überall hierzulande vermummt
nächtliche Fackelmärsche oder Flashmobs zu veranstalten – zuletzt beim
Essener Karnevalsumzug. Ziemlich billig von den Hipster-Hackern Anonymous
abgekupfert.
Bedrohlichkeitsfaktor: Als perfekte Visualisierung einer gesichtslosen
Masse ziemlich hoch. Besonders für alle, die den gruseligen Tom Cruise
hinter der noch gruseligeren Maske in „Vanilla Sky“ gesehen haben.
Tragekomfort: Gleiches Plastik-auf-Haut-Problem wie beim Modell
„Diabolisches Grinsen“.
13 Mar 2012
## AUTOREN
M. Laaff
D. Schulz
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