# taz.de -- Syrische Flüchtlinge in der Türkei: Ausharren im Plastikzelt | |
> Bislang ist die Waffenruhe in Syrien nicht mehr als eine kleine | |
> Atempause. Die Flüchtlinge trauen dem Frieden nicht. Sie harren weiter in | |
> den Nachbarländern aus. | |
Bild: 25.000 Syrer sind in dem Lager vor Reyhanli untergebracht. | |
ANTAKYA/REYHANLI dpa | Mit leerem Blick schaut Moaz al-Dschaban (21) aus | |
dem Fenster des staatlichen Krankenhauses der türkischen Stadt Antakya. Der | |
blutige Konflikt zwischen der Protestbewegung und dem Regime von Präsident | |
Baschar al-Assad hat dem jungen Syrer den Glauben an das Gute genommen, die | |
Heimat und seine beiden Beine. | |
Er öffnet das Fenster des kleinen Zweibettzimmers, das er sich mit einem | |
anderen Kriegsversehrten aus Syrien teilt, und bläst den Rauch seiner | |
Zigarette aus dem Fenster. Zwei Besucher aus Syrien sind gekommen. Die | |
jungen Männer sind sich einig: Die Waffenruhe, die Assad verkündet hat, | |
kann nicht mehr als ein weiteres Täuschungsmanöver sein. | |
Al-Dschaban bemüht sich, ihrem Gespräch zu folgen. Doch seine Gedanken sind | |
zuhause im Dorf - in Kafr Nabl, einem Dorf in der Provinz Idlib. Hier | |
begann vor knapp acht Monaten sein ganz persönlicher Alptraum. „Es war | |
Freitag, der 26. August. Ich wollte vom 6. Stockwerk eines halbfertigen | |
Hauses mit dem Handy fotografieren, wie die Armee mit Gewalt gegen | |
Demonstranten vorgeht. Da sah mich einer der Soldaten vom Panzer aus. Kurz | |
darauf war das Gebäude voller Soldaten. Sie nahmen mich mit.“ | |
Es folgten Schläge, Beschimpfungen und Dinge, über die der Student lieber | |
nicht sprechen will. Ungefähr 4000 US-Dollar (3050 Euro) habe die Familie | |
bezahlt, um ihn knapp zwei Wochen später aus dem Zentralgefängnis von Idlib | |
herauszuholen, berichtet sein Onkel Ahmed. | |
## Zivilisten als Schutzschild | |
Der schmale Student mit dem Sechs-Tage-Bart, der von einem bescheidenen | |
Leben als Grundschullehrer und Familienvater träumte, kehrt zurück in sein | |
Dorf. Die Armee rückt immer wieder ein. Manches Mal zwingen sie gefangene | |
Zivilisten, vor ihren Panzern herzulaufen, wie Al-Dschaban berichtet, | |
„damit die Deserteure nicht aus den Gassen das Feuer auf sie eröffnen“. | |
Vor dreieinhalb Wochen - es gab wegen der vielen Straßensperren kaum noch | |
Brot und Benzin im Dorf - stieg Al-Dschaban zusammen mit zwei Freunden auf | |
ein Motorrad, um zur Bäckerei zu fahren. Eine Granate traf die drei | |
Freunde. Einer von ihnen starb, zwei wurden schwer verletzt. Al-Dschaban | |
sieht den Horror von damals vor sich wie in Zeitlupe. Er spricht jetzt mit | |
Mühe: „Ich bin damals nicht ohnmächtig geworden. Ich wollte sogar noch | |
aufstehen, da sah ich meine Beine, sie lagen auf dem Boden vor mir. Dann | |
hat man mich weggeschleppt.“ | |
Bevor Al-Dschaban in das Krankenhaus in Antakya gebracht wurde, wo man | |
seine Beinstümpfe zum ersten Mal richtig versorgt, schaffte ihn sein Onkel | |
Ahmed in eine einfache Klinik in dem türkischen Grenzort Reyhanli. Vor den | |
Toren von Reyhanli liegt auch eines der Flüchtlingslager, in denen die | |
türkische Regierung rund 25.000 Syrer untergebracht hat. | |
## Warten auf Waffen | |
Leise rascheln an diesem kühlen Frühlingsabend die Plastikplanen der Zelte | |
des Türkischen Halbmondes im Wind. Eine Gruppe von Männern diskutiert mit | |
den Wächtern, die keine Besucher in das Lager lassen wollen. Kinder laufen | |
zwischen den Zelten hin und her. Vier Frauen kommen zurück von den | |
Wasch-Einrichtungen. | |
Mit Anbruch der Dunkelheit wird das Tor zum Lager geschlossen. Anwar (25) | |
schlüpft vorher noch schnell hinaus. Er ist seit fünf Monaten hier und hat | |
Kontakt zu einer Gruppe von Aktivisten, die in der Kleinstadt Reyhanli ein | |
Haus gemietet hat. Dort schläft er gelegentlich auch. „Es ist mein | |
Freiheitsdrang, der mich aus dem Lager treibt, sonst nichts“, sagt er. „Das | |
Essen ist erträglich, wir haben keinen Grund, uns zu beklagen.“ | |
An den Erfolg des Friedensplans von UN-Sonderbotschafter Kofi Annans glaubt | |
er nicht. Das hat, so sagt er, weniger mit Annans Vorschlägen zu tun, als | |
mit der Natur des Regimes, das „erst dann aufgeben wird, wenn die | |
Assad-Familie um ihr Leben bangen muss“. Die Frage, wann er nach Syrien | |
zurückkehren werde, beantwortet der schlaksige Mann mit einem tiefgründigen | |
Lächeln: „Sobald wir endlich Waffen bekommen.“ | |
13 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Anne-Beatrice Clasmann | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ein Syrer erzählt: Fürs Foltern wurde extra bezahlt | |
Ein Syrer in einem südtürkischen Flüchtlingslager gibt sich als geflohener | |
Scherge des Militärgeheimdienstes des Assad-Regimes zu erkennen. Eine | |
Begegnung. | |
Konflikt in Syrien: Reden über einen Militäreinsatz | |
Die US-Außenministerin Clinton fordert schärfere Sanktionen gegen Syrien. | |
Rebellen berichten, das Assad-Regime habe neue Truppen und Panzer in die | |
Rebellenprovinz Homs verlagert. | |
UN-Beobachter in Syrien: Nach Homs darf niemand | |
Die Beobachter der Vereinten Nationen dürfen nicht in die Stadt Homs – die | |
Sicherheitsrisiken seien zu hoch, sagt die syrische Führung. Aus der Stadt | |
werden weiterhin Kämpfe gemeldet. | |
Brüchige Waffenruhe in Syrien: Gegenseitige Beschuldigung | |
Von Waffenstillstand keine Spur: Kurz vor der Ankunft von | |
UN-Militärbeobachtern gehen die Gefechte in mehreren Orten des Landes | |
weiter. | |
UN schickt Beobachter nach Syrien: Der Annan-Plan läuft an | |
Der UN-Sicherheitsrat hat die erste Beobachtermission für Syrien per | |
entsprechender Resolution bestätigt. Im Krisengebiet gab es währenddessen | |
trotz Waffenruhe erneut Tote. | |
Deutsches Schiff auf dem Weg nach Syrien: Aktivisten stoppen Waffenlieferung | |
Angeblich war ein Schiff mit Waffen für das Regime Assads auf dem Weg nach | |
Syrien. Aktivisten stoppten das Schiff eines deutschen Eigentümers, es soll | |
abgedreht haben. | |
Waffenruhe in Syrien: Tote und viele Zweifel | |
Es ist die erste große Bewährungsprobe für die Feuerpause: Tausende gingen | |
in Syrien auf die Straße. Mindestens elf Menschen wurden getötet, und die | |
Zweifel am Friedensplan bleiben. | |
UN wollen Beobachter nach Syrien schicken: Lage ist „relativ ruhig“ | |
Kofi Annan ist vorsichtig optimistisch, was den Waffenstillstand in Syrien | |
angeht. Laut der oppositionellen Freien Armee gehen die Razzien gegen | |
mutmaßliche Regimegegner weiter. | |
Gewalt in Syrien: Waffen schweigen, Armee bleibt | |
Nach Ablauf der Frist für eine Waffenruhe kommt es nur noch vereinzelt zu | |
Gewalt. Die Opposition bleibt skeptisch. Denn für einen Abzug gibt es | |
zunächst keine Anzeichen. | |
Friedensplan für Syrien: Annan gibt noch nicht auf | |
Die syrische Regierung kündigt an, die Militäraktionen einzustellen, hält | |
sich aber eine Hintertür offen. Der UN-Sicherheitsrat äußert seine | |
Bedenken. | |
Was kommt nach dem Annan-Plan?: Kein Plan B in Reserve | |
Ist der Kofi-Annan-Plan gescheitert, müssten sich die fünf UN-Vetomächte | |
eigentlich neu einigen. Doch danach sieht es derzeit gar nicht aus. |