# taz.de -- Ein Syrer erzählt: Fürs Foltern wurde extra bezahlt | |
> Ein Syrer in einem südtürkischen Flüchtlingslager gibt sich als | |
> geflohener Scherge des Militärgeheimdienstes des Assad-Regimes zu | |
> erkennen. Eine Begegnung. | |
Bild: Ahmet hat einen Geheimdienstausweis und will seinen Nachnamen nicht gedru… | |
REYHANLI taz | Auf den ersten Blick wirkt er wie einer von vielen Syrern, | |
die in den Flüchtlingslagern auf Journalisten zugehen, um der Welt von dem | |
Horror zu erzählen, der sie zur Flucht in die Südtürkei zwang. Aber Ahmet | |
ist anders. | |
Der ungepflegte junge Man wirkt, als wolle er seine Augen hinter den | |
Brillengläsern verstecken. Ahmet war nicht nur Zeuge von Gräueltaten, er | |
war auch selbst an ihnen beteiligt. Er gehörte zur Sektion Palästina des | |
syrischen Militärgeheimdienstes Mukhabaraat. Als Beweis zeigt er seinen | |
Dienstausweis. | |
Die Sektion Palästina ist berüchtigt dafür, Assads Regime aggressiv zu | |
verteidigen. Wenn die Polizei in arabischen TV-Sendungen jemandem droht, | |
ihn zur „Ferah Filisteen“ zu bringen, wird sein Gesicht blass. Er ist in | |
großer Gefahr. | |
Ahmet, der wegen seiner Verwandten in Syrien nicht möchte, dass sein | |
Nachname veröffentlicht wird, behauptet, am 19. April letzten Jahres – | |
etwas mehr als einen Monat nach Beginn der Aufstände – desertiert zu sein. | |
„Wegen dem, was ich im Foltern der Menschen sah.“ Er sagt, dass er und | |
seine Kollegen Gefangenen Elektroschocks zufügten, sie mit kaltem Wasser | |
begossen und zwangen, sich nackt aufzustellen, was in der arabischen Kultur | |
noch verletzender ist als im Westen. | |
Offiziere seiner Sektion vergewaltigten Frauen, Männer und auch Kinder: | |
„Ich habe alles gesehen!“ Auf die Frage, ob er als Offizier für das | |
Aufnehmen erzwungener Aussagen zuständig war, antwortete er, ohne zu | |
zögern: „Nein, das wurde vom Beamten erledigt.“ Ahmet musste die | |
Drecksarbeit machen. Für das Foltern wurde extra gezahlt, sagte er. Je mehr | |
Opfer sie quälten, um so höher war ihr Gehalt. | |
## Die anderen Flüchtlinge waren anfangs skeptisch | |
Ahmet glaubt nicht an den von dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan | |
ausgehandelten Waffenstillstand. „Hält Assad sich an die Waffenruhe, wird | |
die ganze Nation gegen ihn protestieren und sein Regime bedrohen“, sagt er | |
auf der Veranda der türkischen Polizeistation im Lager. | |
Von dem Lager aus sind die steinigen Hügel Syriens zu sehen, die Grenze ist | |
nur 2 Kilometer entfernt. Ab und zu sieht man Syrer die Hügel | |
herunterkommen oder hinaufsteigen, zurück nach Syrien. Ahmet sagt, er sei | |
nach seiner Desertion noch öfter in Syrien gewesen. So brachte er Verwandte | |
in die Türkei. Mit seinem Mukhabaraat-Ausweis konnte er die Checkpoints des | |
Militärs passieren. Die Flüchtlinge zeigten ihm anfangs die kalte Schulter. | |
Aber das änderte sich, als sie sahen, dass er mit Journalisten über seine | |
Vergangenheit redet. Er wird nun als Überläufer zur Opposition gesehen. | |
Gefragt nach Schwächen des syrischen Militärs, antwortete Ahmet, dass die | |
Armee nur noch wenig Munition habe und gezwungen sei, Gefängnisinsassen als | |
Soldaten zu verpflichten. | |
Seine Aussagen sind nicht verifizierbar, da Syrien seine Grenzen für | |
unabhängige Journalisten geschlossen hat. Einige seiner Aussagen sind auch | |
nicht schlüssig. Es war kein Problem für ihn, von einem deutschen | |
Fotografen abgelichtet zu werden. Vor der Kamera eines arabischen | |
TV-Senders bestand er aber darauf, seinen Kopf mit einem Palästinensertuch | |
zu verdecken, und zeigte nur seine Augen. Als der Fotograf sich | |
verabschiedet, fragt Ahmet, ob er etwas Geld haben könne. Trotz ethischer | |
Bedenken gibt der Fotograf ihm 10 Lira (rund 4,20 Euro). Amerikanische und | |
arabische TV-Reporter berichteten, dass er von ihnen nach Interviews kein | |
Geld haben wollte. | |
Ahmet ist nicht stolz auf seine Taten. Seine Ausdrucksweise ist nicht | |
selbstbewusst oder bestimmt, sein Ton glaubwürdig. „Ich bereue, dass ich | |
nicht wiedergutmachen kann, was ich Menschen zugefügt habe.“ Vielleicht ist | |
das der Grund, warum er sich an Journalisten wendet: Er nutzt die Medien | |
als Beichtstuhl, als ob es ihm inneren Frieden gäbe, der Welt von seinen | |
Sünden zu berichten. | |
20 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Jasper Mortimer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
Schwerpunkt Syrien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Gewalt in Syrien: Tote bei Attentaten in Damaskus | |
Während landesweit demonstriert wird, sind in Damaskus Bomben detoniert. | |
Die Muslimbruderschaft fordert die UN auf, Syriens Mitgliedschaft | |
auszusetzen. UN-Beobachter treffen in Daraa ein. | |
Gewalt in Syrien: Schwere Explosion in Hama | |
In der Protesthochburg Hama ist laut Rebellen eine Rakete eingeschlagen und | |
hat über 70 Menschen getötet. Die syrische Regierung sagt, die Explosion | |
sei den Rebellen zuzuschreiben. | |
Syrische Kurden im Irak: Gegen Assad, gegen den Krieg | |
Mehrere tausend Kurden sind aus dem Nachbarland in den Nordirak geflohen. | |
Die Kurden misstrauen jedoch der arabischen Opposition und warten erst | |
einmal ab. | |
Lage in Syrien: Annan nennt Gewalt „alarmierend“ | |
Das Versprechen zur Beendigung der Gewalt in Syrien ist ein leeres: Die | |
Berichte über die Erschießung von Menschen dauern an. Nur die Nähe von | |
UN-Beobachtern sorge für etwas Ruhe. | |
Gefechte in Syrien gehen weiter: UN-Beobachter sind noch zu zehnt | |
In der Nähe von Damaskus kämpfen Armee und Rebellen. Die EU verbietet den | |
Export von Luxusgütern. Die Ankunft der 300 UN-Beobachter scheint sich | |
indes zu verzögern. | |
Gefangen in Syrien: Ein Erfahrungsbericht: Schnupperkurs in Rechtlosigkeit | |
Ich wollte das Land mit den Augen seiner Bewohner sehen und flog hin. Nur | |
fünf Tage später wurde ich verhaftet und blickte so wie Tausende Syrer auf | |
die Wände einer Zelle. | |
Gewalt in Syrien: UN schickt 300 Beobachter | |
Die Vereinten Nationen wollen 300 Beobachter nach Syrien schicken. Die | |
Gewalt dauert ungeachtet des Waffenstillstands an, Aktivisten berichteten | |
von Luftangriffen. | |
Appell an Assads Ehefrau: „Asma, was ist mit dir los?“ | |
Ein Brief ruft Asma al Assad dazu auf, ihrem Mann Einhalt zu gebieten. Die | |
Frauen der UN-Botschafter von Deutschland und Großbritannien sollen hinter | |
der Kampange stehen. | |
Kommentar UN-Resolution zu Syrien: Erster Erfolg für Kofi Annan | |
Die Entsendung der UN-Beobachter ist ein wichtiger Fortschritt. Auf die | |
Frage, was geschehen soll, wenn Kofi Annans Initiative scheitert, hat | |
niemand eine Antwort. | |
Brüchige Waffenruhe in Syrien: Gegenseitige Beschuldigung | |
Von Waffenstillstand keine Spur: Kurz vor der Ankunft von | |
UN-Militärbeobachtern gehen die Gefechte in mehreren Orten des Landes | |
weiter. | |
Syrische Flüchtlinge in der Türkei: Ausharren im Plastikzelt | |
Bislang ist die Waffenruhe in Syrien nicht mehr als eine kleine Atempause. | |
Die Flüchtlinge trauen dem Frieden nicht. Sie harren weiter in den | |
Nachbarländern aus. | |
Gewalt in Syrien: Waffen schweigen, Armee bleibt | |
Nach Ablauf der Frist für eine Waffenruhe kommt es nur noch vereinzelt zu | |
Gewalt. Die Opposition bleibt skeptisch. Denn für einen Abzug gibt es | |
zunächst keine Anzeichen. |