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# taz.de -- Gefangen in Syrien: Ein Erfahrungsbericht: Schnupperkurs in Rechtlo…
> Ich wollte das Land mit den Augen seiner Bewohner sehen und flog hin. Nur
> fünf Tage später wurde ich verhaftet und blickte so wie Tausende Syrer
> auf die Wände einer Zelle.
Bild: Warten auf die Ausreise: Fabian Köhler in einer Zelle der Polizeiwache a…
DAMASKUS taz | Ein Betonquader – vier Schritte lang, drei Schritte breit.
Der gestreckte Arm berührt die Decke. Unterbrochen wird der Beton nur von
den vergitterten Neonröhren, die jede Tageszeit ersetzen. Ein Fladenbrot
liegt unbeachtet in der Ecke. Eine Filzdecke verdeckt ihren eigenen
fettigen Abdruck am Boden.
Und da ist dieses Loch am hinteren Ende des Raumes. Aus ihm dringt manchmal
die Stimme einer Frau. Selten singt sie. Meistens weint sie.
Ich liege in einer Gefängniszelle in Damaskus. Wo genau ich bin, sagt
niemand. Warum ich dort bin, weiß ich nicht. Wie lange ich dort bleiben
werde? Keine Ahnung! „In fünf Minuten“ werde man mich „zum Schutz vor
Al-Qaida-Terroristen“ zum Hotel eskortierten, kündigte der Soldat an der
Straßensperre an. „Eine halbe Stunde. Maximum!“, erwiderte der Polizist zu
Beginn des sechsstündigen Verhörs auf der Polizeiwache der südsyrischen
Stadt Daraa. „Morgen sind Sie wieder frei“, versprach mir der Fahrer, als
ich angekettet auf der Rückbank eines Polizeiwagens in den Gefängnishof
einbog.
## Gefängnis statt Sightseeing
Mein Tag besteht daraus, zu schlafen, von einer Wand zur anderen zu laufen
und auf die Tür zu starren. Manchmal sitze ich hinter ihr und spüre den
Luftzug, der aus einem Spalt strömt. Dort warte ich auf das Geräusch, das
ein Schlüssel macht, wenn er die Bolzen in die richtige Position drückt.
Meist warte ich vergebens, hoffe auf die Stimme aus dem Lüftungsschacht
oder einfach darauf, zu gähnen. „Los! Toilette!“, befiehlt zweimal täglich
der Wärter, und ich freue mich auf drei Minuten außerhalb meiner Zelle. Den
Höhepunkt des Tages begehe ich hockend in einer Lache aus Exkrementen und
Urin. Mein Klopapier rationiere ich sorgsam. Wer weiß, ob ich neues
bekomme.
Als Journalist kam ich Anfang April nach Syrien. Ein Touristenvisum klebte
in meinem Pass. „Die Gängelungen der Behörden werde ich so eher umgehen
können“, dachte ich mir. Syrien wollte ich unverfälscht erleben. Seit acht
Jahren fuhr ich immer wieder in ein Land mit Basaren und ritualisierten
Einladungen zum Tee; in ein Land, das jede klischeehafte Beschreibung aus
Reiseführern übertraf. Aber erst nachdem Polizisten mich in einen
fensterlosen Betonquader sperrten, ohne Pass, ohne Kontakt zur Außenwelt,
bekam ich eine Ahnung von Syrien.
## Al-Qaida ist überall
Die Frau hinter dem Lüftungsschacht scheint eingeschlafen zu sein, als das
Geräusch der Bolzen mich aufspringen lässt. Zwei Uhr nachts, verrät die
Wanduhr im Verhörraum. Ein Dutzend Männer erwarten mich. Sie stellen sich
vor als Übersetzer, Arzt und Techniker und bemühen sich jedoch vor allem um
Namen, Passwörter und Telefonnummern. In einer Hand entdecke ich mein
Handy. Eine andere blättert in ausgedruckten Fotos. Ein Dritter tippt auf
der Tastatur des Laptops, der mittlerweile aus meinem Hotelzimmer geholt
wurde.
Breitbeinig positioniert sich vor mir ein schnauzbärtiger Kraftprotz und
krempelt sich demonstrativ die Ärmel seines Kampfanzuges auf. Warum ich
al-Qaida unterstütze, will er schreiend wissen. Ein Mann im lockeren
Jackett entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten: „Helfen Sie uns,
Ihnen zu helfen.“ Später übernimmt er die Rolle des Anschreiers.
## Frage, Ohrfeige, Antwort
Im Gang vor dem Verhörraum pressen zwanzig arabische Gesichter gegen den
Putz. Auch sie sollen Al-Qaida-Anhänger sein. Sicher ist: Die meisten von
ihnen sind fast noch Kinder. Eine schwarze Augenbinde nimmt ihnen die
Sicht, nicht aber ihre Angst. Sie zittern oder wippen im Gebet vor und
zurück, bis ein Wächter sie einzeln ins benachbarte Zimmer brüllt: Frage,
Ohrfeige, Antwort, immer wieder. Dazwischen flehen sie oder listen
Familienmitglieder auf. Mitleid sollte ich empfinden, aber es steigt bloß
Erleichterung in mir auf: Selbst als Häftling muss ich Syrien nicht als
Syrer wahrnehmen.
Von Mitgefangenen erfahre ich später den Namen des Gefängnisses: Far
Falestin. Als geheimes Verhörzentrum tauchte es vor einigen Jahren in
Medien auf. Der Deutschsyrer Mohammad Zammar wurde hier gefoltert, ebenso
Dutzende, die den USA als Terrorverdächtige gelten. Für Syrer ist es gerade
deswegen ein gewöhnliches Stadtgefängnis.
## Primitive Einschüchterung
„Los, hinein ins Auto!“ Vor zwei Stunden hatte ich die syrisch-türkische
Grenze überquert. Vier Tage blieben noch bis zu meiner Inhaftierung, als
mit dieser Aufforderung und einer vorgehaltenen Kalaschnikow meine
Neuentdeckung des Landes begann, über welches seine Bürger aus Angst vor
Aufforderungen wie dieser ungern berichten. Die erzwungene Autofahrt endete
in einem Verhör im Geheimdienstgebäude der nordsyrischen Stadt Aleppo.
Zwei Stunden später bin ich wieder frei. Zwei weitere Male wurde ich in den
folgenden Tagen festgenommen, nie dauerte meine Befragung länger als einige
Stunden. Ein Polizist ließ mich zurück, weil er auf dem Sitz seines
Motorrades schon ein Huhn transportierte. „Dilettantische
Einschüchterungsversuche“ beschwichtigte ich besorgte Freunde und mich
selbst.
Nun unterstütze ich Terroristen, weil man den arabischen Begriff für
regimekritische Demonstrationen in meinen Notizblock findet. Ein Link zum
israelischen Innenministerium in meinem Internetbrowser zeugt von meiner
Arbeit für den Mossad. Eine Rechnung für eine staatliche finanzierte
Studentenorganisation macht mich zum Agenten der Bundesrepublik.
## 31 Varianten systematischer Folter
Die Vorwürfe sind mal skurril, mal besorgniserregend, aber immer
willkürlich. „Sagen Sie die Wahrheit, dann sind Sie in einer Stunde frei“,
beginnt jedes Verhör mit etwas Hoffnung. Einige Stunden und etwas
Verzweiflung später stellt sich dies als Lüge heraus. Trotzdem ist meine
Zeit in Haft bestenfalls ein Schnupperkurs in jener Rechtlosigkeit, die 20
Millionen Syrer ein Leben lang ertragen. 31 Varianten systematischer Folter
weist Amnesty International für Syrien aus. Ich hingegen verbringe die
VIP-Version der Haft, in die laut Human Rights Watch Zehntausende Syrer
seit Beginn der Unruhen gebracht wurden.
„Für immer“, ruft mir ein Wärter triumphierend hinterher, als die Tür ins
Schloss und mein Körper auf die Decke fällt. Jede anfängliche
Widerspenstigkeit habe ich aufgegeben. Beim letzten Verhör sank meine
Forderung vom Telefonanruf auf einen Schokoriegel. Der liegt nun versteckt
unter meiner Decke. Die wimmernde Gesellschaft aus dem Lüftungsschacht
macht mich noch resignierter. Ich ziehe die Filzdecke über den Kopf und
hoffe, bald einzuschlafen, damit die Zeit vergeht, bis sich das Schloss
umdreht.
## Ohne Grund auf freiem Fuß
Mein dreiseitiges „Geständnis“ sehe ich fünf Sekunden. So lange brauchen
zwei Gefängniswärter, um meinen Daumen erst auf das Stempelkissen und dann
auf das Blatt Papier zu pressen. Wieder baut sich der Mann im Kampfanzug
vor mir auf. In der Nacht meiner Ankunft hatte er meinen Versuch, die
Notrufnummer des Auswärtigen Amtes zu wählen, noch mit einem Schlag in den
Unterleib unterbunden. Jetzt gratuliert er freudig, dass ich nach Hause
fahren könne.
Ohne Begründung wurde ich eingesperrt, ohne Begründung werde ich zehn Tage
später wieder freigelassen. „Willkommen in Deutschland“, verabschiedet sich
der Kapitän der Syrian Airlines am Frankfurter Flughafen und drückt mir
meinen Pass in die Hand. Ich bin zu Hause – zum Glück. Menschen, deren
Stimme nur bis zum anderen Ende des Lüftungsschachtes reicht, sind es
leider auch.
Fabian Köhler war vom 30.3. bis zum 14.4. 2012 in Syrien. Der 29-jährige
Journalist studierte in Jena und Damaskus Politik- und Islamwissenschaft.
Er arbeitet u. a. für die Nachrichtenagentur dapd und für Zenith –
Zeitschrift für den Orient.
22 Apr 2012
## AUTOREN
Fabian Köhler
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Schwerpunkt Syrien
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