# taz.de -- Hilde Schramm über ein schwieriges Erbe: Kontaminiertes Geld | |
> Versuch, zurückzugeben: Hilde Schramm, die Tochter von Hitlers | |
> Chefarchitekt Albert Speer, über ihr lebenslanges Engagement von AL bis | |
> zur Stiftung „Zurückgeben“. | |
Bild: Aus der Bildersammlung Albert Speers: Arnold Böcklins Darstellung der Ca… | |
Dr. Hilde Schramm, Erziehungswissenschaftlerin, studierte Germanistik, | |
Latein, Soziologie u. Erziehungswissenschaften. Sie arbeitete nach dem 2. | |
Staatsexamen als Soziologin u. habilitierte Erziehungswissenschaftlerin i. | |
d. Lehrerbildung a. d. Freien Universität Berlin. 1961 heiratete sie den | |
späteren FU-Germanistikprofessor Ulf Schramm (er starb 1999), bekam 2 | |
Kinder. 1968 Gründung der Großfamilien-Hausgemeinschaft in Lichterfelde | |
West (zur strikten Vermeidung der üblichen Kleinfamilienstrukturen). | |
Für die AL war sie mehrere Jahre Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses | |
und 1989/90 dessen Vizepräsidentin. Im Lauf ihres Lebens initiierte und | |
unterstützte sie viele Projekte, vor allem solche, die sich auf vergessene | |
Nazi-Opfer beziehen (auf Zigeuner, Homosexuelle, sog. Asoziale u. a.). 1994 | |
Mitbegründerin der STIFTUNG ZURÜCKGEBEN zur Förderung jüdischer Frauen in | |
Kunst und Wissenschaft. Anlass war eine Erbschaft. 2004 wurde sie | |
Vorsitzende des Vereins KONTAKTE/KOHTAKbI e.V. Gemeinsam mit dem Gründer | |
Eberhard Radczuweit setzte sie sich ein für ehemalige sowjetische | |
kriegsgefangene Zwangsarbeiter, die keinerlei Ansprüche geltend machen | |
konnten. (Sie ist noch heute im Beirat). | |
2004 erhielt sie von der Stadt Berlin den Moses-Mendelssohn-Preis (für ihr | |
Lebenswerk). Ihr Preisgeld von 10.000 Euro gab sie KONTAKTE e. V. und der | |
STIFTUNG ZURÜCKGEBEN. Sie ist Herausgeberin und Verfasserin mehrerer | |
Bücher, zuletzt „Meine Lehrerin Dora Lux“ (Hamburg 2012). Hilde Schramm | |
wurde 1936 in Berlin geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie von 1938–1945 | |
auf dem Obersalzberg (innerhalb des „Führersperrgebietes), 1946–1955 lebte | |
sie mit der Mutter und den 5 Geschwistern zusammen im Heidelberger Haus | |
ihrer Großeltern väterlicherseits. | |
Ihr Vater, Albert Speer, war Hitlers Chefarchitekt u. ab 1942 der Manager | |
d. deutschen Kriegswirtschaft u. Rüstungsproduktion. Er hat das | |
Zwangsarbeitersystem perfektioniert und benutzte fast 8 Millionen | |
Zwangsarbeiter, um die Rüstungsproduktion um das 3- bis 6fache zu erhöhen. | |
(1946 wurde er im Nürnberger Prozess gegen d. Hauptkriegsverbrecher zu 20 | |
Jahren Haft verurteilt und saß im Spandauer Kriegsverbrechergefängnis d. | |
Alliierten bis zur Entlassung 1966.) | |
Hilde Schramm wohnt quasi bei uns um die Ecke, in einer dieser großen alten | |
Villen mit Ziegelornamenten und Kutscherhäuschen im Garten hinter dem Haus. | |
Das repräsentationslüsterne, in der Gründerzeit reich gewordene Bürgertum | |
hat sich diese Häuser zwischen 1860 und 1900 in der Lichterfelder | |
Villenkolonie bauen lassen. Sie war übrigens die erste durchgeplante | |
Villenkolonie des Deutschen Reiches und zeichnet sich durch eine derartige | |
architektonische Vielfalt aus, dass man sich heute fragen muss, wo | |
eigentlich der Einfallsreichtum und die Originalität der Architekten | |
geblieben ist. | |
Im düsteren Flur riecht es nach Weihrauch und Myrrhe. Wir folgen Frau | |
Schramm eine gewundene Holztreppe hinauf in die seitliche erste Etage, wo | |
sie drei ineinander übergehende, große Räume bewohnt. Einer dient mehr der | |
Repräsentation, der mittlere ist Arbeitsraum mit Bücherregalen, Ordnern und | |
rundem Tisch, und nebenan, im hellsten, hat sie ihr privatestes Reich und | |
auch einen Balkon zum Garten hin. Wir werden an den runden Tisch gebeten, | |
mit Tee und Süßem bewirtet und fragen, ob die WG noch existiert. | |
## Ungleichheit ruiniert jedes Zusammenwohnen | |
„Im Prinzip ja, aber nicht mehr in der alten Konstellation natürlich. | |
Einige sind gestorben, eine bekam Alzheimer – die haben wir hier gepflegt | |
bis zum Tod, was sehr schwierig war, aber wir haben durchgehalten. Man kann | |
sagen, unser Konzept hat funktioniert, auch mit anderen Bewohnern später. | |
Wir haben von Anfang an gesagt: Kein Zwang, keine Ideologie. Und wir waren | |
uns klar, Ungleichheit ruiniert jedes Zusammenwohnen. | |
Ungleichheit in der Art, dass die einen, denen das Haus gehört, die es | |
gekauft haben, keine Miete zahlen – insofern Nutzen bzw. Profit aus dem | |
Haus ziehen –, während die anderen, denen nichts gehört, dadurch auch noch | |
eine höhere Miete zahlen müssen. Wir haben uns entschlossen, dass die, die | |
dieses Haus besitzen, gleich viel an Miete zahlen wie die anderen auch. | |
Damals hatten wir noch die Formel: Wir haben Privateigentum und wir | |
vergesellschaften es. Aber das hat sich gehalten bis heute, wo das Haus mir | |
alleine gehört und andere Mieter hier wohnen. Es hat sich bewährt! | |
Wir haben ausgesprochen bezahlbare Mieten, 3,34 Euro mit allen | |
Betriebskosten, also bruttokalt. Leider steigen die Heizkosten wieder im | |
Moment. Ich liege so bei insgesamt 600 Euro warm im Moment. Wir haben jetzt | |
eine ökologische Sanierung der Fenster gemacht und wir wollen unsere | |
Heizung umstellen auf Kraft-Wärme-Koppelung, wenn sich wieder Geld | |
angesammelt hat. Und, was uns noch sehr nützlich war, wir hatten immer | |
mehrere Küchen, so dass man sich ausweichen kann, wenn man das möchte, oder | |
wenn andere Leute nachziehen. | |
## Ungeheures Privileg | |
Also das war ein ungeheures Privileg, dass mir dieses Erbe zugekommen ist, | |
schon in so jungen Jahren. Nein, nicht von meinem Vater! Es stammt von den | |
Eltern meines Vaters, die sehr wohlhabend waren, ein großes Haus in | |
Heidelberg hatten, Gründerzeit – nicht geerbt, sondern selbst gebaut. Mein | |
Großvater war Architekt. Aber das Erbe hat mein Vater – der ja im Gefängnis | |
war – nicht bekommen. Er wurde übersprungen nach dem Krieg, damit es nicht | |
konfisziert wurde. Es ging gleich an uns und wir haben relativ früh | |
ziemlich frei drüber verfügen können, so dass wir vorzüglich studiert haben | |
und ich auch einen Teil in das Hausprojekt stecken konnte. So ein Haus, das | |
ist doch was Gescheites?! | |
Als mein Vater dann wieder da war, hatte er erst mal keine Einnahmen, das | |
Vermögen seiner Eltern hatten ja wir, und eine Pension hat er aus | |
verständlichen Gründen nicht erhalten. Wir hätten ihm ja was gegeben? Aber | |
er hat dann bald von seinem Buch, den ERINNERUNGEN gelebt, sehr gut, sehr | |
komfortabel gelebt. Das geht uns aber nichts an.“ (Er war einer der | |
bestverdienenden Bestsellerautoren der Nachkriegszeit, alleine die 1969 | |
erschienen „Erinnerungen“ wurden in 16 Sprachen übersetzt. Ähnlich die 19… | |
erschienenen „Spandauer Tagebücher“, Anm. G. G.) | |
„Ich will es mal kurz darstellen, so gut ich es kann: Er hat sich ein Haus | |
gekauft im Allgäu, weil ihm der Trubel um seine Person oft zu viel wurde, | |
und er hatte den Heidelberger Hausstand, dafür brauchte er auch Geld und | |
für viele andere Dinge … er hatte einen sehr hohen Lebensstandard gehabt. | |
Keine Frage. Er hat verschwenderisch gelebt, aber das ist ein anderes | |
Thema. Und ja, es stimmt, er hat viel Geld gespendet, auch an jüdische | |
Wohlfahrtsorganisationen, regelmäßig, anonym! Und er hat auch viele Leute | |
unterstützt, auch seinen Bruder. Er hat viel Geld weggegeben, Summen kann | |
ich nicht nennen, aber ich weiß, dass er großzügig war. Es wurde allmählich | |
aber weniger und weniger, es gingen auch die Auflagen zurück. Ich denke, er | |
hat es verbraucht, von Resten abgesehen. | |
Aber wie dem auch sei. Ich habe von meinem Vater, also aus dem, was er | |
während der NS- Zeit erworben hat – Vermögen oder was immer –, nur die | |
Bilder geerbt. Nachher kam noch Geld aus dem Haus im Allgäu – das hat mein | |
Bruder übernommen – und meinen Anteil habe ich voll und ganz an KONTAKTE | |
gegeben. Das Geld kam aus dem Buch und damit wollte ich nichts zu tun | |
haben. Mit den Bildern war es so, mein Vater hatte damals, bis 1943, eine | |
Reihe von Bildern gekauft. Dann galten sie als im Krieg verschollen, | |
verbrannt. Nachdem sie wieder aufgetaucht sind – vorher waren sie ja bei | |
Herrn Frank ’untergetaucht‘ –, hat mein Vater dann auch verkaufen lassen, | |
anonym, über das Auktionshaus Lempertz in Köln. Und was dann übrig blieb … | |
das einzig richtig wertvolle Bild war ja eins von Böcklin, davon hatte ich | |
auch einen Anteil … Ach, es war alles sehr kompliziert …“ | |
Anhand meiner Recherchen, versuche ich mal die Geschichte der | |
Bildersammlung – die hier ja eine zentrale Rolle spielt – kurz zu | |
skizzieren: A. Speer kaufte zwischen 1937 und 1943 eine stattliche Anzahl | |
von Gemälden (vor allem aus der Frühromantik) bei HABERSTOCK, dem | |
Hauptkunsthändler des NS (Lieferant für Hitler, Goebbels, Göring, Bormann, | |
und Beschaffer für das „Führermuseum Linz“. Er profitierte von den | |
jüdischen Zwangsverkäufen und war ab Kriegsbeginn auch als „Aufkäufer“ in | |
den überfallenen und besetzten Ländern unterwegs. Bilder, die durch seine | |
Hände gegangen waren, trugen eine Kennzeichnung auf der Rückseite des | |
Rahmens. 1943 allerdings fiel er in Ungnade und trat aus der Partei aus). | |
## Recherchen in Mexiko | |
In den letzten Kriegstagen übergab Speer seine Sammlung zu treuen Händen an | |
Robert Frank (Jahrgang 1879 und von 1927 bis 1933 Generaldirektor der | |
Preußischen Elektrizitätswerke. Er war ihm so eine Art väterlicher Freund). | |
Frank und seine Frau Marguerite wanderten nach dem Krieg mit den Bildern | |
nach Mexiko aus. Er hat die Sammlung später als verbrannt und verschollen | |
erklärt. Franks lebten später wieder in Deutschland, in Bad Honnef. Dort | |
starb er 1961, seine Frau starb 1978. Der Testamentsvollstrecker fand bei | |
der Durchsicht zufällig regelmäßige jährliche Überweisungen an ein | |
Speditionshaus in Mexiko, Mietzahlungen für 2 Container. | |
Bei seinen Nachforschungen in Mexiko fand er die Bildersammlung Speers in | |
diesen Containern (u. a. Böcklins Campagna-Landschaft, Gemälde seines | |
Lehrers Schirmer oder auch von Architekten wie Schinkel und Klenze). Es gab | |
dann 1979 zwischen Franks Erben und Speer (er hatte keinen | |
Eigentumsnachweis) eine private Vereinbarung, die inzwischen nach | |
Deutschland geholte und beim Auktionshaus Lempertz gelagerte Sammlung zu | |
teilen. Speer bestand u. a. auf dem Böcklin. Die Erben verkauften sofort. | |
Speer ließ peu à peu und in aller Diskretion einige Bilder über Lempertz | |
verkaufen, wobei das Auktionshaus vorsichtshalber prüfte, ob die Bilder | |
„restitutionsverdächtig“ sind. Albert Speer starb 1981. Seine Frau | |
Margarete starb 1987. Danach wurden die verbliebenen Bilder, bzw. deren | |
Erlös, unter seinen 6 Kindern aufgeteilt (darunter der von Böcklins | |
Campagna-Landschaft von 1859). | |
Hilde Schramm sagt: „Ich habe das Bild nie gesehen. Es hängt jetzt irgendwo | |
im Museum, als Stiftung. Ich selbst habe auch damals noch mal | |
nachgeforscht, bei den Bildern jedenfalls, die ich hatte, ob da nicht doch | |
ehemaliges jüdisches Eigentum mit dabei ist, aber im Berlin-Museum konnte | |
mir auch niemand weiterhelfen. Es war mir dann auch egal. Ich hätte es | |
gerne gewusst. Keine Frage, aber das war nicht mein Kriterium. Selbst wenn | |
es stimmen sollte, dass diese Bilder und alles, was mein Vater sonst noch | |
an Antiquitäten und Stoffen usw. erworben hat, nun zufällig nicht aus | |
jüdischem Besitz stammen sollte, dann hat er dennoch das Geld dafür | |
’verdient‘, indem er einem Unrechtsstaat gedient hat. | |
## Mein Vater, der Hauptkriegsverbrecher | |
Mein Vater war einer der Hauptkriegsverbrecher. Das war für mich | |
entscheidend. Ich wundere mich allerdings manchmal, dass ich vorher nie | |
über die Bilder nachgedacht hatte. Aber die gingen mich ja nichts an. Ich | |
lebte ja nicht mehr in Heidelberg. Und wie mein Vater sein Leben bestritt, | |
das war doch nicht mein Thema. Und nach seinem Tod wollte ich mit seinem | |
ganzen Erbe nichts zu tun haben! Auch als dann nach dem Tod meiner Mutter | |
das plötzlich mit seinen Bildern kam, saß ich da und sagte: Nein, davon | |
will ich nichts! Aber da hat mein Bruder Albert gesagt: ’Nimm’s, du kannst | |
doch was anderes daraus machen!‘ Und ich muss sagen, er hat Recht gehabt. | |
Es waren dann so etwa 150.000 Mark, die ich aus dem Verkauf bekam. Im | |
Grunde kein großes Vermögen. Aber mir war klar, ich will es nicht | |
verbrauchen, nicht verkonsumieren, nicht vererben. Ich will damit etwas | |
Vernünftiges machen! Damals war dieser Krieg in Jugoslawien – ich war | |
ziemlich aktiv in der Friedensbewegung, sobald der Krieg losging, gleich am | |
Anfang – und ich hatte zusammen mit einer Frau, Bosiljka Schedlich (macht | |
seit 1991 den Verein Südost-Europa-Kultur e. V. in Berlin, Anm. G. G.) und | |
Leuten aus Ex-Jugoslawien und mit Leuten aus der Friedensbewegung eine | |
Initiative gegründet, zur Unterstützung der Friedensbewegung dort. | |
Auf alle Fälle habe ich dann Faltblätter gemacht und Geld eingeworben, das | |
hat alles hier stattgefunden“, sie pocht auf die Tischplatte, „an diesem | |
ehemaligen Kinderladentisch. Und im Niemöller-Haus. Wir haben | |
Veranstaltungen gemacht, Geld hin geschickt – ich habe mein eigenes auch | |
immer dazugegeben. Das waren keine riesigen Summen, aber es war der | |
richtige Weg. Damals dachte ich, warum gebe ich nicht das ganzes Geld da | |
rein?! | |
Dann habe ich aber, bevor ich diesen Entschluss gefasst habe, mit ein paar | |
Freundinnen zusammengesessen – wieder hier an diesem Tisch! Ich sagte, | |
helft mir, sagt mir, wie ich mein Geld sinnvoll verwenden kann. Es war | |
Birgit Rommelspacher dabei, Marlis Dürkop, Christine Holzkamp war, glaube | |
ich, auch dabei. Und da kam dann von Birgit die Idee für solch eine | |
Stiftung. Sie hatte damals grade ein Projekt Antirassismus, wohl auch mit | |
Frauen. Die Idee für die Stiftung wird immer mir zugeschrieben, aber das | |
ist falsch. Manches war in meinem Leben meine Idee, das mit Ex-Jugoslawien, | |
das war meine Idee. Und bei KONTAKTE, das | |
Kriegsgefangenen-Zwangsarbeiter-Projekt, das war, glaube ich, auch meine | |
Idee. | |
Aber die Stiftung ZURÜCKGEBEN war überhaupt nicht meine Idee! Beim | |
Jugoslawienprojekt wäre das Geld weg gewesen. Wir haben uns gesagt, wir | |
müssen was draus machen, was beständig ist. Etwas, das einen inhaltlichen | |
Bezug hat zur Herkunft des Geldes. Dann kam schon der Vorschlag mit der | |
Förderung jüdischer Frauen. Daraus entstand dann eine Initiativgruppe, aus | |
zum Teil sehr radikalen jüdischen Feministinnen und Nichtjüdinnen, es war | |
durchaus kompliziert – ich denke, ganz unterschwellig gab’s auch ein | |
Problem mit mir. Ich kann das ja verstehen. Es ist ja schwer, dieses Geld | |
anzunehmen, weil es kontaminiertes Geld ist. Den Namen ZURÜCKGEBEN hat dann | |
eine jüdische Frau eingebracht. | |
Wir haben es hingekriegt und die Stiftung 1994 gegründet, vier Frauen, | |
Irene Anhalt, Birgit Rommelspacher, ich – und eine Frau, die jetzt nicht | |
mehr genannt werden will. Mit dem, was ich eingebracht habe, und dem, was | |
auch andere noch eingebracht haben, hatten wir nachher 180.000 DM. Für ein | |
Stiftungskapital eigentlich viel zu klein. Wenn man es mal mit der | |
BEWEGUNGSSTIFTUNG vergleicht, die fingen 2002 mit 500.000 Stiftungskapital | |
an – junge Erben, mit hoher Professionalität – und sie sind jetzt bei 5 | |
Millionen. Soziale Bewegungen zu fördern, das spricht eben mehr an, | |
besonders die alten Linken, die Geld haben! | |
## Ethisch, sozial und ökologisch | |
Es ist wahnsinnig toll, was die Stiftung macht, wunderbar! Heute übrigens | |
feiern sie ihr 10-jähriges Bestehen. Wenn ich noch Geld hätte, es nicht | |
schon hergegeben hätte, ich hätte es da reingegeben, ganz sicher! Sie haben | |
uns auch schon beraten, es hat aber nicht viel genutzt. Es gehen viel zu | |
wenig Spenden ein. Unser Stiftungskapital ist den vergangenen 18 Jahren | |
auch nur mäßig angestiegen. Wir legen es ethisch, sozial und ökologisch an | |
– so haben wir wenigstens keine Spekulationsverluste gehabt. | |
Es bewegt sich jetzt bei 150.000 Euro. Es bleibt natürlich unangetastet, | |
aus den Kapitalerträgen bezahlen wir nur unsere Bürokosten, Miete usw. Also | |
bei uns wird niemand bezahlt, alle arbeiten ehrenamtlich. Wir haben eine | |
sehr gute Sponsorin für die Öffentlichkeitsarbeit, für die Flyer und alles. | |
Bei uns werden alle Spenden, ohne jeden Abzug ihrem Zweck zugeführt! Das | |
ist auch für die Spender wichtig, dass sie wissen, wo ihr Geld hingeht: Es | |
geht direkt in die Förderung jüdischer Frauen in Kunst und Wissenschaft. | |
Insgesamt wurden bisher 92 Frauen gefördert, davon einige mehrmals. Die | |
Gesamtsumme? In 18 Jahren waren das 282.450 Euro, bis Februar 2012. Unter | |
den Geförderten sind überwiegend freiberuflich tätige Frauen, | |
Berufsanfängerinnen, Migrantinnen aus Osteuropa. Es sind Musikerinnen, | |
Tänzerinnen, Filmemacherinnern, Künstlerinnen jeglicher Art oder auch | |
Wissenschaftlerinnen, die historische Sachen machen zum Thema. | |
Mehr als 90 Prozent der Projekte beschäftigen sich mit jüdischen Themen, | |
obwohl die Ausschreibung da keinerlei Vorgaben macht. Wir haben ein | |
Jahresbudget von etwa 20.000–25.000 Euro. Es hat sich jetzt so | |
eingependelt, dass jede Frau so etwa 3.000 Euro bekommt. Die jetzige Jury | |
tendiert dazu, möglichst viele Frauen zu fördern, es war schon mal anders, | |
damals hat eine Frau praktisch alles gekriegt. Das Problem ist eben, es | |
gehen leider weit mehr Anträge ein, als die Stiftung fördern kann, weil es | |
uns an Spenden fehlt. | |
Anfangs, als wir uns alle zusammentaten, da waren wir noch der Meinung, das | |
zündet! Kontaminiertes Geld ist ja in der ganzen Gesellschaft unterwegs und | |
interessiert auch die Enkel noch. Wir haben viel Aufklärungsarbeit gemacht | |
und die ’Nachwirkungen‘ immer sehr breit gefasst, absichtlich, es ging uns | |
nicht nur um ererbtes Geld oder Gegenstände, es ging uns auch um die ganz | |
alltägliche Vorteilsnahme. Um rasche Berufskarrieren, durch Berufsverbote, | |
Vertreibung und Deportation der Juden. Aufschwung bei den Geschäftsleuten, | |
durch den Ausschluss der Konkurrenz, um freie Wohnungen, Häuser, Läden, | |
Arzt- und Anwaltspraxen, um Geschäfte- und Geschäftsverbindungen. | |
## Immense Gewinne | |
Im Krieg bekamen Ausgebombte eine neue Ausstattung aus dem Fundus und so | |
weiter. Und auch nach dem Krieg war das ja mit der Währungsreform nicht zu | |
Ende, wie wir wissen. Auch die deutsche Nachkriegswirtschaft, der Staat, | |
die deutsche Bevölkerung, hat von der Vertreibung und Vernichtung der | |
jüdischen Bevölkerung durch die Nazis noch ganz erheblich profitiert. | |
Ganz wichtig, das will ich hier noch einschieben, sind auch die immensen | |
Gewinne, die mit der Ausbeutung der Arbeitskraft von Millionen von | |
Zwangsarbeitern im NS gemacht wurden. Das geht in der öffentlichen | |
Wahrnehmung immer unter. Wir haben damals bei KONTAKTE das ganze Elend der | |
alt gewordenen Zwangsarbeiter in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion | |
kennengelernt. Zu einer sog. Entschädigungsregelung kam es ja erst 60 Jahre | |
nach Kriegsende und die Auszahlungen dauerten 7 weitere Jahre, so dass | |
einige sie gar nicht mehr erlebt haben. Und diejenigen ehemaligen | |
sowjetischen Kriegsgefangenen, die zu den unmenschlichsten Bedingungen | |
Zwangsarbeit leisten mussten, gingen vollkommen leer aus. | |
Sie stellten vergeblich Anspruch auf Kompensation für geleistete | |
Zwangsarbeit in der deutschen Kriegswirtschaft und wurden abgewiesen. | |
Kriegsgefangene Zwangsarbeiter haben, so der Bescheid 2003, ’keine | |
Leistungsberechtigung‘ nach deutschem Recht. Wir kamen dann auf die Idee, | |
selbst die Initiative zu ergreifen, und haben angefangen Spenden | |
einzuwerben. Seither sammelt KONTAKTE sehr erfolgreich private Spenden und | |
vergibt 300 Euro an jede Person. Es ist nur, wenn überhaupt, ein Tropfen | |
auf einen heißen Stein. | |
Aber es ist wichtig für die Betroffenen, überhaupt mal wahrgenommen zu | |
werden. Es gibt viele erschütternde Briefe.“ (KONTAKTE/KOHTAKbI e.V. | |
veröffentlicht seit 2004 auf seiner Webseite die „Freitagsbriefe“ von | |
ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen. Briefe von 2004–2006 wurden als | |
Buch veröffentlicht: „Ich werde es nie vergessen“, Berlin 2007. Anm. G. G.) | |
„Was ich vorhin sagte, war: Alle diese Gewinne haben sich bis heute | |
entsprechend vermehrt und wurden Bestandteil des Reichtums in diesem Land, | |
den alle zu spüren bekamen. Die ’Wirtschaftswunder-Kinder‘ der gut | |
situierten Eltern bekamen ihre Ausbildung, ihr großzügiges Studium, ihre | |
ganze Sicherheit bezahlt, quasi mit kontaminiertem Geld. Sie haben | |
sozusagen ihre gesamte soziale Struktur daraus bezogen. Daran sind sie | |
natürlich nicht schuld, aber man sollte es wissen. Die jüdischen Nachkommen | |
der Überlebenden hatten kein schützendes familiäres Netz, ihre Kinder und | |
Enkel müssen bis heute mit den spürbaren Folgen fertig werden. Und wir als | |
Stiftung ZURÜCKGEBEN appellieren an unsere Erben. Es geht ja eigentlich nur | |
um eine kleine Geste, um eine Geste der Anteilnahme. | |
## 10.100 Milliarden Dollar Reinvermögen | |
Man muss sich das mal klar machen: Insgesamt verfügen „die privaten | |
Haushalte“ in Deutschland über ein Reinvermögen von 10.100 Milliarden Euro. | |
Davon ist ein erheblicher Teil kontaminiert. Aber das ist nur sehr schwer | |
zu vermitteln. Mir ist in meinem Leben klar geworden, dass man immer | |
hingucken muss – gestern und heute –,wie verdienen Leute ihr Geld, durch | |
wessen Ausbeutung. Da bin ich stur, an dieser Stelle, und ich sage es noch | |
mal: Der ganze Reichtum, der heute erworben ist, der ist nicht unschuldig – | |
überhaupt nicht! Man sollte sehen, wie viele unterschiedliche Formen von | |
Vorteilsnahme auf Kosten anderer an unserer Geschichte hängen. | |
Sie und ich und unsere Nachgeborenen sind die Erben. Da gibt es natürlich | |
viel Abwehr. Schon allein beim Wort ’ZURÜCKGEBEN‘. Das ist mit Schulden | |
verknüpft, Geborgtes gibt man zurück. Bei zu Unrecht Genommenem kommt die | |
Schuld ins Spiel, für Geraubtes wird Rückgabe gefordert. Damit will niemand | |
was zu tun haben, das widerspricht dem Selbstbild der bürgerlichen | |
Ehrvorstellungen. Also das Spenden wird bei uns nicht leicht gemacht. Zu | |
wissen, man kann nichts ’wieder gutmachen‘, es gibt keine Freisprechung, | |
man kann nicht auf Dankbarkeit zählen, das motiviert nicht. | |
Man bekommt nichts zurück, weil man es ja bereits hat. Jeder, der spendet, | |
bekommt vielleicht das Gefühl, ich setze mich dem Verdacht aus, ’unrechtes | |
Gut‘ zu besitzen, ich bekenne mich jetzt sozusagen schuldig. Das Ganze | |
provoziert Abwehr. Keine Frage. | |
Ich möchte eben besonders auch die ansprechen, die zwar viel verstanden | |
haben, aber trotzdem ihr Erbe weiter so verwenden, als gäbe es den | |
Zusammenhang gar nicht. Und jetzt rede ich mal wieder von mir: Ich bin doch | |
heilfroh, dass ich das Zeug losgeworden bin. Dass ich damit auch noch was | |
Sinnvolles machen konnte.“ Ich werfe ein: „Und dann hatten sie auch noch | |
das Meiste davon. Es ist eine Tatsache, dass ’Wiedergutmachung‘ immer | |
übertroffen wird von der Wiedergutwerdung, ob man das nun so will oder | |
nicht.“ Sie sagt, ohne jede Erregung: „Keine Frage! Das habe ich auch | |
selbst schon so formuliert. | |
Was soll ich machen?! Es gibt auch reichere Erben mit kontaminiertem Geld. | |
Und es gibt auch andere Versuche, sich mit der Familiengeschichte | |
auseinander zu setzen. Also ich habe die Biographie ’Der Vater‘ gelesen, | |
von Niklas Frank.“ (Sohn von Hans Frank, dem Generalgouverneur im besetzten | |
Polen, auch genannt „der Judenschlächter“. Er wurde als | |
Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg zum Tode verurteilt, Anm. G. G.). „Er | |
macht eine gnadenlose Abrechnung und bleibt dann zurück in seiner Reinheit, | |
hat die weiße Weste an. Also ich habe keine weiße Weste. Meinem Gefühl nach | |
nicht. Das ist nicht mein Part, dieses Schädelspalten. Aber er hatte ja | |
vielleicht wirklich Eltern, wo das eher geht. Bei meinen geht es nicht. | |
Mein Vater, meine Mutter haben gute Züge gehabt. Das ist das Problem. | |
## Ich will nicht über meinen Vater sprechen | |
Ich habe jedenfalls den anderen Weg gewählt und ich hatte das Glück, unter | |
diesem Dach der Stiftung untergekommen zu sein. Ich wollte mich eigentlich | |
im Hintergrund halten, gleichzeitig aber habe ich versucht, die Stiftung | |
über Fernsehauftritte und Interviews bekannt zu machen, nicht aus | |
Eitelkeit, sondern damit Geld dazukommt. Das ist ein Zwiespalt. Die Leute | |
wollen unbedingt eine Identifikationsfigur. Und natürlich musste ich immer | |
über meinen Vater reden und das transportiert aber was Falsches, denn es | |
entlastet die anderen, in einem gewissen Sinn, die keinen solchen Vater | |
haben. | |
Das mache ich jetzt nicht mehr, ich sage bei Interviews oder Diskussionen | |
immer, ich will nicht über meinen Vater sprechen! Und es gibt noch ein | |
anderes Problem: Jetzt, wo die Stiftung bekannt ist, besteht auch die | |
Gefahr, dass sie eine Alibifunktion bekommt, das wollen wir natürlich | |
nicht! Aber ich kann da nichts machen. Ich bin nur Beirätin – neben so | |
bekannten Frauen wie Margarete Mitscherlich, Adrienne Goehler, Christina | |
von Braun u. a. Aber ansonsten habe ich nichts zu sagen, war nie im | |
Vorstand – schon gar nicht in der Jury, die völlig autonom ist und nur aus | |
jüdischen Frauen besteht, und das finde ich auch richtig so … | |
Ich bin lediglich eine ganz gute Multiplikatorin. Eine Zeitlang waren alle | |
ziemlich allergisch gegen meine dauernde Präsenz in den Medien usw. Ich | |
habe mich dann immer mehr zurückgezogen. Aber nun sitze ich doch wieder | |
hier mit Ihnen, obwohl ich nur eine Mitgründerin bin, nicht die | |
Initiatorin, nicht die Mutter der Stiftung, die Seele auch nicht und schon | |
gar nicht die Sprecherin. Allenfalls so was wie die ’Graue Eminenz‘.“ „… | |
Geldgeberin“, sage ich, „das interessiert uns.“ „Ja, das war der Anlass… | |
ist ein Dilemma, aus dem man nicht raus kommt. Das Ganze … | |
Und wenn ich jetzt ehrlich bin, kommt noch was ganz Schlimmes. Ich habe | |
auch einen ehrgeizigen Zug. Und ich schmück mich dann auch mit der | |
Stiftung. Jedenfalls wird mir das zugetragen. Und ich bekomme Anerkennung | |
dafür. Habe viele Kontakte. Ich habe gern Politik gemacht, trete auch gerne | |
auf. Das ist so zwiespältig. Ich hätte vermutlich gut Karriere machen | |
können, wenn ich nicht immer im Kopf hätte: Bloß nicht wie dein Vater | |
ehrgeizig werden! Das ist überall? Alles lauert. | |
Ich glaub, ich hätte wirklich was werden können. Was? Na ja, es ist ja nun | |
egal. Immer, wenn ich wo dabei war, immer dann, wenn es gut wurde, bin ich | |
weg. Man springt über eine Kluft, damit man nicht reinfällt. Ich konnte | |
nichts werden! Obwohl es so einen starken Zug gibt in mir, der das auch | |
will, was werden. Aber der andere, nichts zu werden, der war stärker …“ | |
7 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
## TAGS | |
Medien | |
Köln | |
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Die Ärztin Dörte Siedentopf organisiert seit 20 Jahren Erholungsaufenthalte | |
für Tschernobyl-Kinder. Sie ist fassungslos über den Umgang mit Fukushima. | |
Besuch beim Physiker Sebastian Pflugbeil: Die Geldmaschine | |
Der Physiker Sebastian Pflugbeil ist ein radikaler Kritiker der | |
Atomindustrie. Seine Gesellschaft für Strahlenschutz sprach als Erste vom | |
Super-GAU in Fukushima. |