# taz.de -- Kostenlose Ressource Ehrenamt: Arbeit für 0,00 Euro | |
> Die Trennung zwischen männlichen „Ehrenamts-Beamten“ und weiblicher | |
> Wohlfahrtspflege zieht sich durch die Geschichte - bis heute. Ein Besuch | |
> bei der Historikerin Gisela Notz. | |
Bild: Es sind nicht nur die Bereiche Altenheim und Kindererziehung, in denen Eh… | |
„Vor einigen Jahren wurde berechnet, dass die Ehrenamtlichen in Deutschland | |
weit über viereinhalb Milliarden Stunden pro Jahr an Arbeit investieren. | |
Wenn man dabei nur einen durchschnittlichen Stundenlohn von 7,50 Euro | |
zugrunde legt […], dann kommt man auf eine Summe von 35 Milliarden Euro. | |
Was für eine Zahl! Beeindruckend! Aber was sie tagtäglich an unzähligen | |
Orten unserer Gesellschaft leisten, ist nicht in Euro und Cent zu beziffern | |
[…], ihr Einsatz ist unbezahlbar.“ | |
Frank-Walter Steinmeier zum „Tag des Ehrenamtes“ 2011 | |
Dr. phil. Gisela Notz, Sozialwissenschaftlerin u. Historikerin. 1942 in | |
Schweinfurt/Main geboren, die Eltern waren Arbeiter. 1958 Ausbildung und | |
Arbeit als Stenotypistin, dann zweiter Bildungsweg und Studium der | |
Industriesoziologie, Arbeitspsychologie und Erwachsenenbildung, TU Berlin. | |
1966 Geburt der Tochter. 1970–1977 WG-Bewohnerin in Berlin. Seit 1978 | |
Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten: Schwerpunkte u. a. bezahlte | |
und unbezahlte Frauenarbeit; Alternative Ökonomie; Historische | |
Frauenforschung. 1979-2007 Arbeit am Friedrich-Ebert-Institut, | |
Forschungsabteilung für Sozial- und Zeitgeschichte. 1985–87 nebenbei und | |
unbezahlt Redakteurin der Zeitschrift „Beiträge zur feministischen Theorie | |
und Praxis“. Promotion 1986,TU Berlin. Von 2004–2010 Bundesvorsitzende von | |
Pro Familia. Sie ist im Stiftungsrat der Bewegungsstiftung. Sie ist Autorin | |
zahlreicher Texte und Bücher, u. a. von: „Warum flog die Tomate?“ (2006); | |
„Feminismus“ (2011); „Theorien alternativen Wirtschaftens“ (2011). | |
Gisela Notz lebt im berühmten Frauenwohnprojekt Beginenhof in Berlin | |
Kreuzberg. Schon von Weitem schimmert die lang gestreckte Wohnanlage mit | |
ihren großen Balkonen und Fenstern durch die Bäume der Parkanlage hindurch. | |
Die großzügig geschwungene und farbenfrohe Fassade steht beim Nähertreten | |
in seltsamem Kontrast zu einem abweisenden, streng vergitterten | |
Eingangsbereich, zur Fischaugenkamera am Klingelbrett. Hinter der | |
schubweise sich öffnenden Automatiktür liegen ein blühender Garten, der | |
Aufzug und die persönlich gestalteten Laubengänge zu den Wohnungen. | |
Frau Notz empfängt uns an ihrer Wohnungstür und sagt auf unsere Frage zur | |
Verbarrikadierung lächelnd: „Ja, neulich hatte ich mal Handwerker | |
reingelassen, die bei mir klingelten, und da habe ich über die | |
Gegensprechanlage gehört, wie einer sagte: ’Das ist ja ein | |
Hochsicherheitstrakt hier!’ Ganz so ist es natürlich nicht, aber wir sind | |
schon ein wenig abgeschottet.“ Frau Notz bewohnt eine Maisonettewohnung im | |
5. Stock mit Blick über die Dächer. Sie erzählt: „Das Konzept war ’Eigen… | |
in Frauenhand‘, das ist jetzt nicht mein Konzept, es war schon fertig, als | |
ich kam. Es gefällt mir sehr gut hier, aber mir wäre es lieber, wenn | |
Eigentum vergemeinschaftet, eine Genossenschaft gegründet würde. | |
Dann wäre die Sozialstruktur auch ein bisschen gemischter bei uns. Ich | |
treffe oft Frauen, die hätten auch gerne hier gewohnt, hatten aber das Geld | |
nicht. Also das muss man sich schon leisten können. Ich hätte mir die | |
Wohnung mit 40 Jahren auch nicht kaufen können, weil ich das Geld gar nicht | |
hatte und weil ich auch nix geerbt habe. Aber ich habe in den letzten | |
Jahren relativ gut verdient. Damals gab es auch noch einige Arbeitsstellen | |
für Akademikerinnen“, fügt sie sarkastisch hinzu. | |
„Es gibt übrigens drei Männer im Haus, einer davon ist 102. Da gibt es | |
keine Exklusion. Gekauft haben aber nur Frauen. 53 Frauen haben die | |
Wohnungen erworben. Es gibt vier große Wohnungen mit 104 qm – so wie diese | |
hier – und die anderen sind zwischen 56 qm und 76 qm groß. Einige der | |
Käuferinnen haben vermietet, das bringt auch eine Mieterinnenstruktur rein, | |
das ist schön. Aber andererseits wird dabei Geld gemacht, mit dem ’Besitz | |
in Frauenhand‘. Also wenn man eine Wohnung kauft, für sich selber, das ist | |
okay, aber … na ja, das kann jede selbst bestimmen. Hier in Kreuzberg ist | |
das schon sehr privilegiert, so zu wohnen.“ | |
Sie schenkt uns Tee ein und sagt: „ Aber wir wollten ja über das Ehrenamt | |
reden. Ich dachte, ich gehe auch ein bisschen auf die Geschichte des | |
Ehrenamtes ein, dann wird es anschaulicher. Die Ehrenämter des Mittelalters | |
in Gilden und Bruderschaften, waren lange Zeit ein Privileg von Fürsten und | |
Adelsherren. Später durfte dann auch die wohlhabende Bürgerschaft | |
Ehrenämter bekleiden. Frauen waren von den bürgerlichen Ehrenämtern (z. B. | |
Schöffen, Laienrichter, Kirchenvorsteher, Armenpfleger) ausgeschlossen. Sie | |
wurden erst so ab 1896 sehr zögernd zugelassen, und auch nur zu bestimmten | |
Ämtern. Solche sozialen Arbeiten allerdings wie die Pflege und Versorgung | |
der verwundeten Krieger wurden auch schon lange vorher von Frauen | |
übernommen. | |
Auch das Kochen und Verteilen der Armensuppe übernahmen wohlhabende Frauen, | |
ebenso die unmittelbare barmherzige Arbeit in den Hospizen der Klöster und | |
Gemeinden, in denen Kranke, Sterbende, Alte, Obdachlose und Behinderte | |
aufgenommen und versorgt wurden. Ihre Tätigkeit wurde erst später als | |
ehrenamtlich’ bezeichnet. Die Trennung zwischen männlichen | |
’Ehrenamts-Beamten“’ und ’freiwilliger‘, unmittelbarer sozialer | |
Wohlfahrtspflege, die hauptsächlich durch Frauen geleistet wurde, zieht | |
sich durch die ganze Geschichte hindurch, und sie gilt im Grunde bis heute. | |
## Bismarcks Gesetze | |
Die Zeit zwischen den Befreiungskriegen 1813 und dem Beginn des Ersten | |
Weltkriegs 1914 ist gekennzeichnet durch eine massive industrielle | |
Entwicklung und einen enormen Anstieg der materiellen, physischen und | |
psychischen Not der großstädtischen Arbeiterbevölkerung. Die Bismarck’sche | |
Sozialgesetzgebung reagierte darauf, aus Angst vor Aufständen. Sie brachte | |
1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung, 1891 die | |
Rentenversicherung, mit Rentenanspruch ab dem 71. Lebensjahr. Und erst 1927 | |
wurde die Arbeitslosenversicherung eingerichtet. | |
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden immer mehr wohltätige bürgerliche | |
Frauen in die freiwillige, unbezahlte soziale Arbeit zur Versorgung | |
Hilfsbedürftiger eingebunden. Ein wichtiges Motiv zur Aufnahme unbezahlter | |
sozialer Arbeit war damals der Ausschluss bürgerlicher Frauen von der | |
Erwerbsarbeit, während für viele proletarische Frauen die Teilnahme an der | |
Erwerbsarbeit, und zwar in einem zwölfstündigen Arbeitstag, gang und gäbe | |
war. | |
Durch ihre ’freiwillige‘ Hilfe sollten die bürgerlichen Frauen aber nicht | |
nur das aus den Klassengegensätzen entstandene Elend lindern, sie sollten | |
auch dazu beigetragen, die drohende soziale Revolution der verarmten und | |
ausgebeuteten Arbeiterschaft abzuwenden. Es ist natürlich immer auch ein | |
Stück Kontrolle und Erziehung in dieser Arbeit. Sozialarbeit richtet ja | |
immer auch die Betroffenen dafür her, für dieses System zu funktionieren. | |
Erst in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es in der | |
Sozialarbeit eine Bewegung, die gesagt hat: Wir wollen die Betroffenen | |
stark machen im Kampf gegen dieses System! Jedenfalls die sozialistischen | |
Frauen und Arbeiter konnten die bürgerliche Fürsorge nicht leiden, sie | |
bauten ihre eigenen Arbeiter-Selbsthilfe-Organisationen auf – von Arbeitern | |
für Arbeiter – wie 1888 den Arbeiter-Samariter-Bund. | |
Wichtig ist noch, dass sich während des Ersten Weltkrieges die bürgerlichen | |
Frauenvereine zusammengetan haben, um die Vaterländischen Hilfsdienste zu | |
gründen; dabei haben auch Sozialistinnen mitgewirkt. Da waren natürlich | |
Clara Zetkin und Rosa Luxemburg schwer dagegen! Durch die Vaterländischen | |
Hilfsdienste sind damals viele Frauen reingekommen in die ehrenamtliche | |
Arbeit. | |
Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden dann | |
die religiös und weltanschaulich gebundenen Wohlfahrtsverbände. Die | |
unmittelbare soziale Arbeit wurde in allen Verbänden weiterhin ehrenamtlich | |
und vor allem von Frauen geleistet. Auch bei der Arbeiterwohlfahrt, die | |
1919 von Maria Juchacz gegründet wurde. Sie war übrigens die einzige Frau | |
im MSPD-Vorstand und hat 1919, als erste Frau in Deutschland, eine Rede im | |
Parlament gehalten bzw. halten ’dürfen‘. Da war das Frauenwahlrecht grade | |
mal etwa ein Jahr alt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dann bald klar, dass | |
das Ehrenamt nicht mehr reicht. | |
Ausbildungsstätten ’für soziale Wohlfahrt‘ entstanden, Sozialreformerinnen | |
gründeten ’Soziale Frauenschulen‘, zugleich auch um den Frauen den Weg in | |
die Erwerbsarbeit und zu den Universitäten zu ebnen, zunächst mal, um die | |
Hilfe zu professionalisieren. Sie wurden zu einer Art ’Fürsorgerin‘ bzw. | |
’Wohlfahrtspflegerin‘ ausgebildet, und von den bürgerlichen Frauenvereinen | |
wurde nun ganz offen die Umwandlung von ehrenamtlicher Sozialarbeit in | |
Erwerbsarbeit gefordert. | |
## Kaum Widerstand | |
Während der Weimarer Republik setzte sich die Überzeugung durch, dass | |
soziale Arbeit ohne Berufskräfte nicht mehr zu bewerkstelligen ist. Eine | |
daraus folgende Hierarchisierung und Entsolidarisierung zwischen bezahlten | |
und unbezahlten Sozialarbeiterinnen hat sich jedoch als problematisch | |
erwiesen, denn sie erlaubte einen Zugriff auf die jeweilige Gruppe, je nach | |
Bedarf und Wirtschaftslage. Das zeigte sich dann erstmals in der | |
Weltwirtschaftskrise. Staat und Wohlfahrtsverbände griffen zu Sparmaßnahmen | |
und riefen zu umfangreicher ehrenamtlicher Hilfsbereitschaft auf. 1931 | |
wurde im Rahmen der Notverordnungen der ’Freiwillige Arbeitsdienst‘ | |
eingeführt. | |
Vom Faschismus wurde natürlich der staatliche Zugriff auf die unbezahlte | |
soziale Arbeit übernommen und perfektioniert. Mit einer Massenaktivierung | |
wurden Mitglieder für die einzelnen Organisationen rekrutiert, für HJ, BDM, | |
NS-Frauenschaft bis hin zum Reichsarbeitsdienst. Die sozialistischen | |
Frauenverbände wurden verboten, die bürgerlichen gleichgeschaltet, oder sie | |
haben sich aufgelöst. Da war kaum Widerstand. | |
Gleichzeitig wurde mit gesetzlichen Regelungen gegen berufstätige Frauen | |
als ’Doppelverdienerinnen‘ vorgegangen. Das hatte zur Folge, dass man | |
vorher entlohnte soziale Arbeit nun wieder von ’freiwilligen‘, unbezahlten, | |
ehrenamtlichen Kräften verrichten lassen konnte. Man muss leider sagen, | |
dass neben bezahlten Kräften auch viele dieser ehrenamtlichen | |
Sozialarbeiterinnen bei der ’Auslese‘ und ’Ausmerze‘ mitgeholfen haben.… | |
ist viel zu wenig bekannt. | |
Arbeiter-Samariter-Bund und Arbeiterwohlfahrt wurden 1933 verboten, und die | |
übrigen Wohlfahrtsverbände hat man stark zurückgedrängt zugunsten der | |
NS-Volkswohlfahrt. Sie übernahm nach und nach die Kontrolle über die | |
gesamte freie Wohlfahrtspflege. 1938 hatte sie eine Million ehrenamtliche | |
Mitarbeiter, zu Kriegsbeginn waren es elf Millionen. Die | |
Arbeitslosenversicherung wurde 1939 übrigens abgeschafft. Die Unterstützung | |
hing nun vom Nachweis der Bedürftigkeit der Erwerbsarbeitslosen ab. | |
Sie wurden der Kontrolle durch die Fürsorgeinstanzen unterstellt und zu | |
Pflicht- und Notstandsarbeiten gezwungen oder zum Reichsarbeitsdienst. Der | |
ganze Reichsarbeitsdienst war ja Zwangsarbeit. Und die Frauen haben dann | |
während des Zweiten Weltkrieges wiederum die übliche Unterstützungsarbeit | |
geleistet.“ (Darüber hinaus gab es u. a. 500.000 Wehrmachtshelferinnen, die | |
Hälfte davon meldete sich freiwillig, und es gab die SS-Helferinnen, die u. | |
a. auch in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ihren Dienst | |
verrichteten. Anm. G.G.) | |
„Und nach dem Krieg haben die Frauen ja alles wiederaufgebaut, die Häuser, | |
die Parteien, die Verbände, haben die Witwen und Waisen versorgt, die | |
Flüchtlinge untergebracht. Sie sind aber zurückgepfiffen worden, als die | |
Männer dann mit ihren Verwundungen und verletzten Seelen wieder nach Hause | |
gekommen sind und die Macht wieder übernommen haben. Und dann hat sich die | |
Wirtschaft durch das ’Wirtschaftswunder‘ vorübergehend zum Wohlstand | |
entfaltet. In den 50er Jahren ging das Engagement für ehrenamtliche soziale | |
Arbeit zurück. | |
Viele Arbeiten sind damals noch bezahlt worden. Und die große | |
Familienideologie wurde propagiert, mit der Hausfrau und Mutter als | |
Leitbild. Es gab ja sieben Millionen mehr Frauen als Männer! Für | |
Unverheiratete war bezahlte Arbeit überall verfügbar. Es gab natürlich | |
weiterhin ehrenamtlich Arbeitende, bei den Wohlfahrtsverbänden war viel zu | |
tun. Aber in den 60ern standen sie dann den politisierten, professionellen | |
Sozialarbeitern im Wege. Professionalisierte Sozialarbeit wurde im Zuge des | |
Ausbaus des sozialen Rechtsstaats und der damit verbundenen Durchsetzung | |
von Rechtsansprüchen, etwa durch das Bundessozialhilfegesetz 1961 und den | |
Ausbau der Sozial- und Jugendhilfe, sowie durch die Reform der | |
Sozialarbeiterausbildung immer weiter vorangebracht. Bis zur nächsten | |
Krise. | |
Etwas möchte ich hier nicht unerwähnt lassen: Es gab auch großartige | |
Bestrebungen außerhalb der Verbände und staatlichen Institutionen, die | |
etwas wirklich anderes wollten. Beispielsweise die Selbsthilfebewegung der | |
70er Jahre. Und auch was die Frauenbewegung dann unter Selbsthilfe | |
verstanden hat, war etwas ganz anderes, ebenso bei den Bürgerinitiativen. | |
Das war wirklich freiwillige, unbezahlte Arbeit, politische Arbeit. Aber | |
das ist ein anderes Thema. | |
Zurück zur wirtschaftlichen Krise der 80er Jahre. Ihr folgten Kürzungen im | |
Sozialbereich, und es begann die großflächige Reprivatisierung der sozialen | |
Versorgung. Und natürlich gab es eine Renaissance der ehrenamtlichen | |
sozialen Arbeit. | |
Und noch etwas anderes muss ich an dieser Stelle unbedingt klarstellen, | |
nämlich zum Verständnis des Ehrenamtes: 80 Prozent der Ehrenamtlichen sind | |
Frauen, auch wenn Studien – auch meine eigenen – belegen, dass mehr Männer | |
als Frauen ehrenamtlich tätig sind. Es muss hier differenziert werden | |
zwischen den jeweiligen Tätigkeiten. Ein großer Teil der Männer engagiert | |
sich nebenberuflich in Vereinen – 47 Prozent ihres ehrenamtlichen | |
Engagements findet in Sport- und anderen Vereinen statt. Dazu kommen die | |
’politischen Ehrenämter‘, im Vorstand der Wohlfahrtsverbände, als | |
Aufsichtsräte, als Rundfunk- und Fernsehräte, in wissenschaftlichen und | |
kirchlichen Gremien oder in Gewerkschaften. Viele der Männer sind | |
freigestellt bei fortlaufenden Bezügen und erhalten oft auch noch eine | |
ansehnliche Aufwandsentschädigung. Während Frauen eher unsichtbar und | |
unbezahlt auf den unattraktiven Feldern, im sozialen Bereich arbeiten. Und | |
das auch noch in vollkommen ungeschützten Verhältnissen, teilweise neben | |
ihrem Beruf, neben der Hausarbeit, abhängig vom Verdienst des Ehemannes | |
oder von Transferleistungen. Ohne ihre Arbeit aber würde das System der | |
sozialen Dienste zusammenbrechen! | |
## Abgewickelte Betriebe | |
Nach dem Zusammenbruch der DDR beschleunigte sich die Entwicklung durch die | |
Arbeitslosigkeit nach der Abwicklung der Betriebe, besonders auch durch die | |
hohe Frauenarbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern. Mit der Einführung | |
der ABM-Maßnahmen – und durch die freiwillige Fortführung der Arbeiten nach | |
Ablauf der Maßnahmen – kamen plötzlich Erwerbslose in Felder, in denen | |
bisher nur Ehrenamtliche gearbeitet haben. Bis zu den 90er Jahren war das | |
Ehrenamt ein Phänomen der Mittelschicht. Dass Erwerbslose ein Ehrenamt | |
machen, das ist erst seit der Wende so. | |
Und das hat sich dann noch mehr ausdifferenziert im Laufe der Zeit – in den | |
alten und in den neuen Bundesländern –, insbesondere durch die | |
systematische Aushöhlung der geschützten Arbeitsverhältnisse und des | |
Arbeitslosenversicherungssystems. Durch die Einführung von Hartz IV im Jahr | |
2005, die ein rigoroseres Arbeitsmarktregime mit sich brachte. In vielen | |
Bereichen der sozialen Arbeit gibt es zum einen die Arbeitsplätze der | |
bezahlten Kräfte, die Halbtagskräfte, die Midi-Jobber. Dazwischen sind die | |
unbezahlten Ehrenamtlichen. Und zum anderen kommen noch die Leute hinzu – | |
die ja eigentlich keine Arbeitskraft ersetzen dürfen – in 1-Euro-Jobs und | |
Minijobs, in Bürgerarbeit und seit vorigem Jahr im | |
Bundesfreiwilligendienst. | |
Es gibt inzwischen vielfältige Arbeitsbedingungen und zahlreiche Namen für | |
die ’bürgerschaftliche‘, die ’freiwillige‘ soziale Arbeit. Sie alle di… | |
aber nur dem einen Ziel: die soziale Versorgung – trotz massiver Kürzungen | |
– sicherzustellen und besonders die Lücken im Bereich der Altenhilfe zu | |
kitten. Eigentlich muss die Arbeit im Altenbereich regulär bezahlt werden. | |
Mit Tarifvertrag und Mindestlohn. Aber das wollen weder der Staat noch die | |
Unternehmen leisten. Ohne jede Not. Es ist ja nicht so, dass es nicht da | |
ist, das Geld!“ Gisela Notz schenkt Tee nach und holt eine Broschüre, die | |
sie uns mitgeben will. | |
(Zur besseren Übersicht fasse ich kurz zusammen: MINIJOB, für | |
Hartz-IV-Empfänger, 400 Euro monatl., keine Sozialversicherung. 1-EURO-JOB, | |
für Hartz IV- Empfänger, 30 Wochenstunden gemeinnützige Arbeit, für 1,50 | |
Euro Std., zusätzlich zum Regelsatz. Bestandteil des Hartz-IV-Konzeptes, | |
„Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Bei Ablehnung | |
Sanktionen. BÜRGERARBEIT, von Frau von der Leyen 2010 eingeführt, wird als | |
ideales Gegenmittel zum Schrumpfen der Erwerbsarbeit ausgegeben, besonders | |
geeignet für Hartz-IV-Empfänger, arbeitslose Jugendliche, Frauen, Rentner. | |
900 Euro brutto, 30 Wochenstunden, für drei Jahre. Bei Ablehnung | |
Sanktionen, BUNDESFREIWILLIGENDIENST, seit 1. Juli 2011 als Nachfolge des | |
Zivildienstes, in sozialen und kulturellen Bereichen, für alle offen, auch | |
für Hartz-IV-Empfänger. Mindestzeit sechs Monate, es gibt ein Taschengeld. | |
Anm. G.G.) | |
## Falsche Freiwilligkeit | |
„Es war auch die Rede davon“, sagt Frau Notz, „ob man ein ’Pflichtjahr�… | |
einführt. Aber das Grundgesetz steht dem entgegen, und wir müssen wirklich | |
alles tun, dass es nicht geändert wird! Die Bürgerarbeit ist schon schlimm | |
genug. Sie wurde verkauft als ’sinnstiftende‘ Tätigkeit. Arbeitslose | |
Frauen, hieß es, ’müssen nicht mehr zurück an den Herd‘, sondern ’Vorw… | |
in die Bürgerarbeit!‘. So der Soziologe Ulrich Beck, Erfinder der | |
Bürgerarbeit. ’Noch gebraucht zu werden‘ baue die ’erwerbslose Beiköchin | |
der Dresdner Tafel‘ auf. Anfangs war noch die Rede von ’freiwilliger | |
Arbeit‘. Aber Freiwilligkeit, die gibt es im Sozialgesetzbuch II gar nicht! | |
Inzwischen ist die Aufnahme von Bürgerarbeit für Hartz-IV-Empfänger | |
Pflicht. | |
Das Ziel ist: Vier von fünf Erwerbslosen sollen mindestens in Bürgerarbeit | |
gebracht werden. ’Keine Sozialleistung ohne Arbeitsleistung‘ ist das Motto. | |
Es geht um die flächendeckende Einführung einer 30-Stunden-Woche zum | |
Sozialhilfesatz. Auf die Idee muss man erst mal kommen! Es gibt einen | |
Bruttolohn von 900 Euro für 30 Wochenstunden, was deutlich unter dem | |
Mindest- bzw. Tariflohn liegt. 500 Euro kommen aus dem Etat der | |
Bundesagentur. 400 Euro aus dem Europäischen Sozialfonds. Und fertig ist | |
der Niedrigstlohn mit 720 Euro, rechnet man die selbst zu zahlende | |
Sozialversicherung ab. Eine Arbeitslosenversicherung ist natürlich nicht | |
vorgesehen. | |
Die Bürgerarbeiter werden aus der Arbeitslosenstatistik gestrichen – die | |
Statistik ist ja das A und O. Die sind weg! Der Bürgerarbeiter zählt nicht | |
mehr als Erwerbsloser, er ist Arbeitnehmer per definitionem, steht aber | |
weiterhin unter strenger Kuratel des Jobcenters, dem er regelmäßig | |
nachweisen muss, dass er sich um Arbeit auf dem Ersten Arbeitsmarkt bemüht; | |
andernfalls sind Sanktionen vorgesehen. | |
Das wird von sehr vielen Betroffenen als demütigende Zwangsarbeit | |
empfunden. In unserem Grundgesetz steht, zur Arbeit gezwungen darf nur | |
werden, wer eine Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Die Bürgerarbeit aber | |
wird erzwungen. Wer sie verweigert, verliert seinen Anspruch auf | |
Grundsicherung und alle staatlichen Leistungen. Das bedeutet eine Abkehr | |
vom Sozialstaatsgebot unseres Grundgesetzes! Der sozialstaatliche Auftrag | |
ist in Art. 20 und 28 des Grundgesetzes festgeschrieben. | |
Mithin sind auch die Bürgerarbeit und die Sanktionen gegen | |
Hartz-IV-Empfänger verfassungswidrig. Wir – also ein Bündnis verschiedener | |
gesellschaftlicher Gruppen – haben 2009, noch vor der Einführung der | |
Bürgerarbeit, einen Bündnisaufruf für ein Sanktionsmoratorium gemacht. Es | |
gab eine große Beteiligung, aber das hat leider nicht viel gebracht. Meine | |
Meinung ist: Sämtliche Sanktionen gegen Erwerbslose gehören abgeschafft! | |
Am liebsten würde man die Gratisarbeit von möglichst vielen Ehrenamtlichen | |
abschöpfen. Aber nicht nur die der Schulabgänger, Arbeitslosen und | |
Hausfrauen. Man hofft auch auf die fitten Alten, die Lese-Omas usw. Da habe | |
ich mich gestern mit frauenbewegten Frauen fast ’geprügelt‘. Ungefähr die | |
Hälfte der Frauen hier im Beginenhof war mal Lehrerin, und ungefähr die | |
Hälfte dieser Lehrerinnen liest in der Schule vor. Sehr nett. Ist doch | |
toll, dass sie das machen! Wenn sie es nicht machen würden, würde es | |
niemand machen. Damit wäre auch keinem geholfen. Nur: Es wird nicht darüber | |
nachgedacht, dass man damit jemandem im Prinzip die Arbeit wegnimmt. Früher | |
war diese Arbeit nämlich bezahlt, es gab auch bezahlte Nachhilfen usw. Und | |
offenbar fragen sie auch viel zu wenig, wie das zustande kommt, dass so | |
viele Kinder derartig viele Defizite haben. Das machen sie offenbar alles | |
nicht. | |
## Arme bleiben arm | |
Auch in Bezug auf die Suppenküchen und Berliner Tafeln habe ich das gesagt. | |
Die Ehrenamtlichen sind nicht gewillt, sich darüber Gedanken zu machen, wie | |
das alles wohl kommt. Die Antwort gibt’s bei Brecht: ’Und der Arme sagte | |
bleich: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.‘ Sie brauchen die Armen, | |
damit sie sich toll fühlen, noch was Nützliches tun können in ihrem Leben. | |
Sie reichen den Armen die Armensuppe, die Spenden von abgelaufenen | |
Lebensmitteln und fühlen sich gut. Es ist wie zu Beginn der | |
Industrialisierung. Das Schlimme daran ist: Die Armen bleiben arm, und das | |
Prinzip der Wohlhabenden wird gefördert. Die Armen bleiben die Bittsteller. | |
Man kann ihnen sogar den Suppenhahn zudrehen. | |
Ich habe nichts gegen das Ehrenamt, habe selber jahrelang nebenberuflich | |
ehrenamtlich gearbeitet. Gesellschaftlich nützliche, politische Arbeit zu | |
machen, die Spaß macht, das ist erstrebenswert. Aber so ist es ja nicht. | |
Und diese Rede: Ehrenamtliche brauchen kein Geld, das ist Quatsch! Sie | |
brauchen zuerst mal eine eigenständige Existenzsicherung. Erst wenn die | |
eigene Existenz gesichert ist und auch die Betreuten gut grundversorgt sind | |
– und zwar durch professionelle Kräfte –, erst dann kann Ehrenamt | |
funktionieren. | |
Stattdessen sieht es so aus, als würden immer mehr ’Ehrenämter‘ geschaffe… | |
Als wäre ein Ende des Sozialabbaus und der Reprivatisierung der | |
wirtschaftlichen Folgen all der Krisen noch lange nicht in Sicht. Das ist | |
sicher noch nicht ausgereizt. Man kann unmöglich voraussagen, was noch | |
alles kommt, was denen noch alles einfällt. Und es sind ja nicht nur das | |
Altenheim und der Bereich Kindererziehung, in denen Ehrenamtliche | |
unverzichtbar sind, es kommen immer neue Einsatzbereiche dazu. Ich hätte | |
nicht gedacht, dass das mal so ausgeweitet wird. Im Kulturbereich geht es | |
ja auch schon fast so zu wie im Sozialbereich. Die Museen, Theater, Opern, | |
Büchereien könnten zumachen, wenn die Ehrenamtlichen sich da nicht | |
engagieren würden.“ | |
4 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
## TAGS | |
Freiwilligendienst | |
Ein-Euro-Jobber | |
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