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# taz.de -- Restaurieren im Altonaer Museum: Die Scherbenflüsterer
> Als Altona noch dänisch war, stellte die Manufaktur Meve Gebrauchskeramik
> her. Bis heute lagern Reste davon im Keller des nahen Museums. Jetzt
> kommen Ruheständler zum Sortieren, Zeichnen und Kleben.
Bild: Puzzle-Schätze im Keller: Altonaer Museum.
HAMBURG taz | Es gibt Türen, hinter denen ist eine Welt. Im Altonaer Museum
ist so eine. Treppen hoch, schön Museum überall. Noch eine Treppe hoch,
immer noch viel Museum. Und dann, hinter einer unscheinbaren Türe, steht
ein Mann mit einer zerbrochenen Kumme in der Hand, die Brille auf der Nase
ein Stück nach vorne geschoben, leicht über Kisten gebeugt, die auf Tischen
stehen.
In den Kisten liegen Scherben. Viele Scherben. Hätte Spitzweg das alles
gemalt – es hinge im Museum. Passt, was in den Kisten ist, zu der Schale in
seiner Hand?, fragt sich der Mann. Hmm. Tja. Mal sehen. Neben ihm steht
eine Frau, auch eine Kumme in der Hand, die Unterlippe über die Oberlippe
geschoben. Was ist denn hier los?
In Altona, als es noch nicht Teil von Hamburg, sondern dänisch war, gab es
in der Catharinenstraße – heute Struenseestraße –, Hausnummer 126, von 17…
bis Ende 1803 die Fayencen-Manufaktur Meve. Sie erlebte ihre Blütezeit 1779
mit zwölf Beschäftigten, 1803 waren es noch drei. Der dänische König
Christian VII. (1749–1808) gestattete den Meves die Herstellung von
Fayencen, eine Kopie des Briefs hängt an der Wand, unter der Auflage, die
Arbeiten zu signieren. Die Meves entschieden sich für die Altonaer Burg mit
ihren drei Türmen, die, je länger, desto stilisierter, alle Stücke zieren.
Ein Unterscheidungsmerkmal für die verschiedenen Epochen der Geschichte der
Manufaktur.
Ähnliche Manufakturen gab es in Stockelsdorf, dort war die berühmteste, in
Eckernförde, Itzehoe und Kiel. Die Manufaktur Meve, die ihre Keramik ins
Ausland lieferte, also auch nach Hamburg, ging insolvent, als die Engländer
mit billigerem Steingutgeschirr auf den Markt drängten. Steingut war,
einmal gebrannt, wasserdicht. Fayencen waren es, auch nach dreimaligem
Brennen, erst durch die Glasur.
Das Gelände, auf dem die Manufaktur stand, wurde an das Altonaer
Unterstützungsinstitut verkauft, ein Vorläufer der Hamburger Sparkasse. So
kam erst mal niemand an den Boden mit den Scherben ran, bis die Bank
abgerissen und stattdessen 1962 eine Schule gebaut wurde.
Gezielt graben ließ 1964 Gerhard Wietek, von 1959 bis 1977 Direktor des
Altonaer Museums: Weil er wusste, dass es in Altona eine Manufaktur für
Gebrauchskeramik gegeben hatte, für Teller, Tassen, Kacheln, Nachttöpfe,
Kummen und Schalen. Der Ort, an dem diese Manufaktur einmal stand, wurde
gefunden. 50 Kisten mit mehr oder weniger großen Scherben wurden gesammelt,
in jede Kiste ein halber Kubikmeter gepackt.
Restauriert wurden nur die schönsten Stücke: drei Kachelöfen, der
allerschönste – aus dem Rokoko – steht im Jenisch Haus, einer Außenstelle
ein kleines Stück die Elbe runter. Der Rest, 46 Kisten, kam in den Keller
des Altonaer Museums. Und wartete.
Auf Wolfram Schleif, 72, Ethnologe, Anthropologe, also quasi vom Fach. Der
fragte im April 2007 im Museum an, ob er irgendwie helfen könne. Man führte
ihn in den Keller. „Wir standen vor einem Scherbenhaufen“, sagt Schleif.
Und: „Da die Museen für so was kein Geld haben, besorgen das Puzzeln
Ehrenamtliche.“
Die Ehrenamtlichen, das sind zurzeit elf Ruheständler, die mit sicherer
Hand ein Mal pro Woche von 11 bis 15 Uhr hier ihre Zeit verbringen. Sie
arbeiten, aber sie schwatzen auch und trinken Kaffee dabei. Schleif kommt
vier Mal die Woche. Eine der Damen, Geschichtslehrerin Karen Rüffer, hat
sich mit der Literaturrecherche beschäftigt, Anneliese Wurch zeichnet – und
alle puzzeln. Insgesamt hat das Altonaer Museum 250 Freiwillige.
Der Mann mit der Brille ist Rainer Manthey, 73, technischer Angestellter,
von Anfang an dabei. Er hat sich ausgedacht, wie gesucht wird: „Die
Systematik der Sortierung“, erklärt Schleif, „ist die Grundlage dafür,
zusammengehörende Scherben überhaupt finden zu können.“ Schleif und Manthey
haben nicht gleich alle Kisten ausgepackt, ein paar stehen noch im Keller.
Wer einen geübten Blick hat, sieht, ob eine Scherbe zu einer Kumme, Tasse
oder einen Nachttopf gehört, und aus welcher Schaffensperiode des Hauses
Meve sie stammt. Das Design hat sich nicht groß verändert, aber ein wenig
schon: Die Blumen wurde filigraner.
In einer Ecke liegt der von Meve produzierte Ausschuss. Die braunen und
rosafarbenen Töne sind durch falschen Brand entstanden. Hier liegen
Scherben, die ihre Glasur verloren haben, weil sie in saurem Boden lagen,
vielleicht in einer Grube hinter der Werkstatt. Schleif, der sich eine
Ausstellung und eine Publikation wünscht, mit der die Arbeit der Gruppe
gewürdigt werden, zeigt uns einen Spruchteller aus dem Jahr 1766: „O Jesu
Du mein Breutigam der Du aus Lieb am Kreutze stam“, steht drauf. Das stammt
aus einem Kirchenlied von Johann Heermann (1558–1657).
Marlies Peters ist seit einem halben Jahr dabei, deshalb findet sie im
Moment mehr zusammengehörende Teile als die anderen: Sie sieht
vorurteilsfreier hin. „Es kommt aber auch vor, dass ich vier Stunden suche
und nichts finde“, sagt sie. „Das ist frustrierend.“ Hinten, aus der Ecke,
seufzt es: „Oh Manno.“ Da geht es um ein ganz kleines Stück. „Das isses
nicht“, sagt eine Stimme. „Nee“, eine andere.
Einen anständigen Kleber für die Fayencen hat Schleif übrigens bis heute
nicht gefunden. Tesafilm ist zu aggressiv, macht die Glasur kaputt. Die
Scherben werden nur provisorisch zusammengeklebt und dann – unverklebt – in
Kisten verpackt und inventarisiert. „Ja!“ – Marlies Peters hat einen
Treffer, „der erste an diesem Tag“. Alle gucken: Ja, passt. Und alle freuen
sich.
24 May 2012
## AUTOREN
Roger Repplinger
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