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# taz.de -- Piratin über Geschlechterrollen: „Kinder haben keine freie Wahl�…
> Jungs tragen Blau, Mädchen Rosa? Manuela Schauerhammer will ihre Kinder
> ohne Geschlechterklischees erziehen – doch das ist anstrengend. Da können
> selbst die Piraten nicht helfen.
Bild: Wem gehört welcher Rucksack? Geschlechterklischees dominieren – noch.
taz: Frau Schauerhammer, wie oft mussten Sie in der Schwangerschaft
beantworten, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?
Manuela Schauerhammer: Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich weiß aber,
dass es für mich ein echter Schock war, zu merken: Mir ist gar nicht egal,
ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Auch der Versuch, damit bewusst
neutral umzugehen, ist ziemlich schnell fehlgeschlagen.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn man von Leuten Besuch bekommt, die dann sagen: Ach, es
wird ein Junge. Einfach weil man es dem Kleiderschrank wohl doch angesehen
hat. Es ist ziemlich schwer, Dinge zu kaufen, die geschlechtsneutral sind.
Schon für Babys gibt es fast nur einordnende Mädchen- und Jungs-Sachen. Auf
den blauen ist ein kleines Monster, ein kleiner Helikopter oder so etwas.
Und auf den rosafarbenen eine Prinzessin oder ein kitschiges Pony.
Was war der Auslöser, zu sagen, Sie wollen Ihre Kinder bewusst
geschlechtsunabhängig erziehen?
Mein Partner und ich haben unsere Kinder während des Studiums bekommen.
Schon damals haben wir uns mit solchen Themen auseinandergesetzt - zum
Beispiel habe ich meine Diplomarbeit zu den Gleichstellungsrichtlinien in
Deutschland und Frankreich geschrieben. Weil die Sensibilität da war,
dachten wir, dass es für uns relativ einfach werden würde, Klischees eben
nicht zu reproduzieren.
War es dann aber nicht?
Nein. Mir fiel zum Beispiel auf, dass ich es mitunter schön fand, wenn
Leute auch wahrnahmen, ob mein Baby ein Mädchen oder ein Junge ist. Das war
für mich schon überraschend und hat einiges an Auseinandersetzung
gebraucht, bis sich das geändert hat.
Sie sind Mitglied der Piratenpartei, auch die will erreichen, dass die
Geschlechterzugehörigkeit eine geringere Rolle spielt. Erziehen viele
Piraten-Eltern so wie Sie?
Das kann ich gar nicht so genau sagen. Ich glaube aber, dass es in
alternativen Kreisen recht verbreitet ist, sich kritisch mit herkömmlichen
Strukturen und Stereotypen auseinanderzusetzen, und das betrifft dann auch
Erziehungsfragen.
Und wie reagieren Sie, wenn Ihr Sohn in rosa Kleidung auf die Straße will?
Wenn er meint – kein Problem. Als er aber mit drei, vier Jahren mal
Haarspangen tragen wollte, musste ich mich schon erst mal fragen: Warum
fällt mir das jetzt überhaupt auf? Und wie gehe ich mit meiner
Aufmerksamkeit um, so dass sie ihn nicht beeinflusst? Denn schon in dem
Moment, wo er merkt, dass mir das auffällt, wird ihm natürlich klar, dass
hier irgendetwas nicht der Norm entspricht.
Haben Sie ihn auf diskriminierende Kommentare vorbereitet?
Ich hatte damals das Gefühl, ich müsste das besprechen. Aber heute glaube
ich nicht mehr, dass das unbedingt der beste Weg ist. Denn damit zeige ich
natürlich, dass ich dem Rest der Gesellschaft nicht zutraue, cool damit
umzugehen.
Ist die Gesellschaft denn gelassen genug, mit einem Rosa tragenden Jungen
umzugehen?
Unser Bekanntenkreis ist aufgeschlossen und lebt teilweise recht
unkonventionell, die Kinder sind ziemlich frei. Im Freundeskreis meiner
Kinder scheint es mir eher unwichtig, wer was anzieht, Rollenbilder sind
nicht so stark präsent. Aber das ist nicht der gesellschaftliche
Durchschnitt und dessen bin ich mir bewusst. Es gibt natürlich Gegenden und
gesellschaftliche Spektren, in denen Geschlechterklischees noch viel
stärker verankert sind. Und in denen diese Klischees gar nicht hinterfragt
werden, weil andere Probleme viel drängender sind.
Sind Sie nie angeeckt mit Ihrer Position?
Man darf da nicht missionieren. Nur weil die Forderungen nach
geschlechtsneutraler Erziehung für mich nicht radikal sind, heißt das
nicht, dass andere das auch so sehen.
Es gibt immer wieder Studien, die nahelegen, unterschiedliche
Verhaltensweisen seien zumindest teilweise genetisch bedingt …
… und es gibt andere Studien, die das Gegenteil zeigen. Das Problem ist,
dass die Fixierung auf vorgegebene Geschlechterrollen diskriminiert. Ja,
unsere Gesellschaft ist heute in vielen Punkten offener als noch vor 50
Jahren. Aber ich glaube, dass ganz viel davon nur eine theoretische
Offenheit ist. Selbst wenn heutzutage jede und jeder sich eigentlich geben
und anziehen kann, wie er, sie oder es möchte - ganz viele tun es eben doch
nicht. Und warum? Weil es einen Konsens gibt, was als normal gilt. Menschen
tendieren dazu, gesellschaftskonform zu handeln.
Lässt sich als EinzelneR etwas dagegen tun?
Wir sollten immer mal hinterfragen: Was von meiner Entscheidung kommt
eigentlich von mir? Und was von einem gesellschaftlichen Bild?
Wie schwer fällt es Ihnen, sich diesem Bild zu widersetzen?
Das wird um so schwieriger, je stärker der Druck ist. Wenn Kinder ständig
von Klischees umgeben sind, kann man nicht mehr behaupten, dass sie eine
wirklich freie Wahl hätten. Wenn beispielsweise ein Kind morgens sagt, ich
möchte heute ein Junge sein, damit ich im Kindergarten Bauarbeiter spielen
kann, dann muss man sich fragen, woher das kommt. Ist das innovativ, weil
das Kind sich seine Geschlechterrolle einfach aussucht und damit was ganz
Neues macht? Oder ist das tradiert, weil das Kind schon verinnerlicht hat,
dass in unserer Gesellschaft nur bestimmte Menschen bestimmte Berufe
ausüben? Ich glaube, es schadet, wenn auf jedem Spielzeug mit Bausachen ein
Junge drauf ist. Das gibt starre Rollenbilder vor und diskriminiert in der
Auswahl dessen, was man sein kann.
Die Einflüsse kommen ja aber nicht nur von den Eltern, sondern auch von
Verwandten, dem Kindergarten, aus der Werbung.
Ja, die Kinder sind immer Teil ihrer Umwelt, das lässt sich nicht
ausblenden. So hatte unser Sohn eine Bauarbeiterphase, unsere Tochter eine
Prinzessinnenphase. Ganz klassisch. Da ist dann die Frage: Inwieweit lässt
man das unkommentiert zu, inwieweit diskutiert man das oder denkt sich, das
geht schon vorbei.
Und?
Wir haben eine Zeit lang versucht, die Kinder solche Phasen ausleben zu
lassen. Aber irgendwann haben wir gemerkt, dass wir sie mit diesen
Eindrücken nicht allein lassen sollten - sie werden sonst einfach
überflutet. Kinder frei aufwachsen zu lassen kann nicht heißen, sie ihrer
Umwelt auszuliefern.
Was heißt das?
Immer wieder reden, Sachen erklären. Unsere Kinder erleben das
praktischerweise auch in ihrem Umfeld, und ich nehme selbst auch gerne eine
Bohrmaschine in die Hand. Bücher, in denen Rollenstereotype ganz
selbstverständlich durchbrochen werden, gibt es leider zu wenige, daher
habe ich manchmal selbst gemalt und geschrieben.
Klingt anstrengend.
Es ist wahnsinnig anstrengend. Ein besonders absurdes Beispiel, das mir
kürzlich bei einer Recherche untergekommen ist, sind Windeln. Es gibt
Windelslips - das sind quasi Windeln für Kinder, die nicht mehr ganz klein
sind - inzwischen für Mädchen und Jungs. Ich dachte erst, vielleicht gäbe
es dafür physiologische Gründe, dass die Windeln besser angepasst sind oder
so. Aber die Herstellerfirma hat mir ausdrücklich versichert, dass
ausschließlich das Design unterschiedlich ist.
Eigentlich kämpfen Sie als Eltern auf verlorenem Posten, oder?
Ich kann meinen Kindern Werte mitgeben. Die ganze Gesellschaft lässt sich
damit nicht gleich umkrempeln.
Was soll die Piratenpartei da ändern können?
Eine komplett geschlechtsneutrale, also nicht einordnende Gesellschaft ist
noch Utopie. Aber es würde schon helfen, eine Gesellschaft so zu
organisieren, wie die Piraten das in ihrem Programm fordern. Zum Beispiel,
dass das Geschlecht gar nicht mehr erfasst wird, etwa auf dem
Personalausweis.
So etwas wie eine Frauenquote kann man dann aber auch vergessen.
Das stimmt, das könnte ein Nachteil sein. Gerade deshalb ist mir auch die
Diskussion, wie sich Diskriminierungen stattdessen abbauen lassen, wichtig.
Ich glaube, es ist eine Chance, wenn eine jüngere Generation bestimmte
Normen hinterfragt, aktiv ablehnt und eine neue Form von Gesellschaft leben
will.
Glauben Sie, dass Stereotype verschwänden, wenn jeder Mensch
geschlechtsunabhängig aufwachsen würde?
Ich denke nicht, das Stereotype generell verschwinden. Sie gehören wohl zu
einer Gesellschaft dazu. Aber sie müssten sehr viel durchlässiger werden.
Eine Gesellschaft sollte zulassen, dass Menschen heute in einer Schublade
sein können und morgen in der anderen. Dann wären sie Möglichkeiten, aber
kein Zwang mehr.
14 Jun 2012
## AUTOREN
Svenja Bergt
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