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# taz.de -- Piraten und Geschlechterpolitik: Jenseits der Quote
> Nichtquoten, Extrawürste und nachhaltige Geschlechterpolitik: Die Piraten
> sind postgender und überwiegend gegen die Quote. Nun denkt die Partei
> nach, was das eigentlich heißt.
Bild: Wo ist postgender? Berliner Piraten posieren für den Girls Day mit Schü…
BERLIN taz | „Weißt du, was du willst? Du willst Sexismus! Ja, genau! Du
willst dauernd dein Geschlecht hervorheben, gesondert behandeln,
Extrawürste bekommen und so weiter. Das ist Sexismus pur!“ So und ähnlich
schallt es PiratInnen entgegen, wenn die meinen, der piratische
Frauenmangel müsste durch politisches Handeln bekämpft werden.
Sobald jemand Geschlechterpolitik zugunsten von Frauen fordert, kommt der
Dampfhammer: Wer Frauen fördern oder gar eine Quote, vom Berliner Piraten
Gerwald Claus-Brunner kürzlich nicht ganz zufällig als „Tittenbonus“
etikettiert, einführen möchte, ist sexistisch gegenüber Männern.
Beliebtester Satz: „Wir sind postgender.“ Geschlechter spielen keine Rolle.
Aber die Piraten, diese permanente Diskussionsmaschine, wären nicht die
Piraten, blieben sie bei diesem Stand der Debatte hängen. Denn was für eine
Politik folgt eigentlich aus „postgender“?
## Postgender und „Pascha des Monats“
Zuerst sah es so aus: Postgender heißt, wir machen die Einteilung in zwei
Geschlechter nicht mit, und das bedeutet: keine Geschlechterpolitik. Prompt
kritisierten Feministinnen: „Den Piraten sind Frauen egal“, die Zeitschrift
Emma verlieh ihnen den Antipreis „Pascha des Monats“. Das machte die Partei
nicht glücklich, zumal sie nicht postgender, sondern sehr männlich
aussieht.
Seither aber haben sich geschlechterpolitisch Interessierte und Versierte
aufgemacht, eine Postgender-Politik zu formulieren, die unbewusste
Diskriminierungen durch Rollenfestlegungen nicht leugnet. Im Parteiprogramm
heißt es, man wolle solche Strukturen abbauen. Das Ehegattensplitting soll
weg, Krippenplätze sollen her. Weitere Diskriminierungen der Geschlechter
werden dort allerdings nicht genannt.
Einen Schritt weiter sind inzwischen einige Berliner Piraten, die mit Simon
Kowalewski sogar einen ersten frauenpolitischen Sprecher haben. Die
Berliner Fraktion beteiligte sich etwa am Girls’ Day und hat damit eine
geschlecherpolitischen Quantensprung vollzogen.
Hatte sich die genderpolitische Wurstigkeit zuvor noch in Sätzen wie „Die
Frauen haben eben keine Lust auf Technik“ oder „Unsere Frauen arbeiten
lieber im Hintergrund“ ausgedrückt, so bedeutet die Teilnahme am Girls’
Day, dass auch die Piraten anerkennen, dass Menschen als Frauen oder Männer
in unterschiedlichen Rollen sozialisiert sind und dies thematisiert werden
muss, wenn man diese Rollen „dekonstruieren“ möchte. So formuliert nun auch
das genderpolitische Programm der Berliner Fraktion, dass sie vor allem
„Strategien zur Minimierung, Kompensation und Dekonstruktion vorhandener
Gender-Role-Prägungen“ erarbeiten wolle.
## Lösungsansatz Gender Mainstreaming
Als sinnvoll erachten dabei auch die Piraten die Methode des Gender
Mainstreaming. Dabei wird erhoben, ob Frauen und Männer von einer
politischen Maßnahme unterschiedlich betroffen sind, und dann wird
versucht, einen Ausgleich zu finden. Gender Mainstreaming ja – aber nicht
um jeden Preis, macht Simon Kowalewski deutlich. „Wenn Gender Mainstreaming
bedeutet, dass in Berlin eine Sporthalle nur für Mädchen gebaut wird,
lehnen wir das ab. Da werden die Mädchen auf ihr Geschlecht festgelegt. Wir
wollen stattdessen, dass alle Geschlechter in allen Sporthallen aktiv sein
können“, erläutert er der taz.
Kowalewski, lange braune Haare, Bart, fröhliche Stimme, laut
Selbstbeschreibung „Radikalfeminist“, hat durchaus eine Vorstellung davon,
wie eine Politik mit dem Ziel „Postgender“ aussehen kann. „Wir arbeiten a…
eine diskriminierungsfreie Gesellschaft hin – aber nicht mit den Mitteln
der Diskriminierung.“ Als ein solches betrachtet er die Quote, die das
Geschlecht in den Vordergrund rückt. „Das ist ein brachiales Mittel“,
urteilt Kowalewski, „das an der grundlegenden Ungleichheit nichts ändert.“
Er verweist auf die Grünen: „Wenn die Grünen die Quote wieder abschaffen
würden, dann wäre die Partei bald wieder männlich geprägt. Die Quote ist
nicht nachhaltig.“
Dass die Quote eine unschöne Krücke ist, würden wohl auch BefürworterInnen
dieses Mittels einräumen. Allein, eine Alternative hat sich noch nicht
gefunden. Doch genau die zu suchen, seien die Piraten angetreten, meint
Kowalewski: „Wir setzen uns zum Beispiel für anonyme Bewerbungen ein. So
kann man Diskriminierung verhindern und hat niemanden auf sein Geschlecht
festgelegt“, erklärt der Sprecher. Die Piraten bereiten einen Antrag vor,
der den Senat auffordert, bei der Besetzung von Stellen nur noch anonyme
Bewerbungen zu verlangen.
Die vielbeklagte Abstinenz von Frauen in der politischen Arbeit meint er
ebenfalls auf piratige Art und Weise ändern zu können: „Das ist die große
Chance der Netzpolitik, weil alle hier sehr viel einfacher partizipieren
können. Da könnte etwas Neues entstehen.“ Wirklich? Gerade Piratinnen, so
zeigt eine parteiinterne Umfrage, fühlen sich vom rüden Ton und den
häufigen „Shitstorms“ in der Netzkommunikation abgestoßen. Immerhin, es
gibt zwei AGs, die die Umgangsformen verbessern möchten.
„Wir haben keine gläserne Decke, sondern eine gläserne Eingangstür“,
analysiert Lena Rohrbach, Philosophiestudentin, Mitglied der
genderpolitischen Parteigruppe „Kegelklub“ und Mitautorin des
Gender-Kapitels im Parteiprogramm. „Deshalb brauchen wir nicht unbedingt
eine Quote, sondern Angebote zum Parteieintritt.“ Einige Landesverbände
laden deshalb etwa gezielt Frauen zu ihren Stammtischen ein.
## Die Nichtquote und fehlende Alternativen
Der „Kegelklub“ diskutiert darüber hinaus eine „Nichtquote“ für die P…
Alle, die nicht weiße männliche heterosexuelle Mittelschicht sind, würden
damit gefördert, stellen einige Klubmitglieder sich vor. Doch auch die wird
von der Partei nicht goutiert. „Wir haben generell nicht viele Regeln in
der Partei“, erklärt Rohrbach, „Piraten lassen ihre Wahlfreiheit ungern
durch Regeln einschränken.“
Schießen sich die Piraten damit beim genderpolitisch am heißesten
diskutierten Thema in der deutschen Politik, der Quote für die Wirtschaft,
ins Aus? Wollen sie zusammen mit der FDP und Frauenministerin Kristina
Schröder (CDU) als Frauenverhinderer in die Geschichte eingehen? Noch
nicht. Denn die Debatte tobt.
Und es gibt auch Meinungen wie die von Lena Rohrbach: „In unserer Partei
wird man von unten gewählt. Aber in der Wirtschaft gibt es die gläserne
Decke, da suchen weiße heterosexuelle Männer von oben jüngere Männer aus,
die ihnen möglichst ähnlich sind. Das passiert in der Regel unbewusst. Eine
Quote kann das durchbrechen“, sagt sie.
Mit dieser Haltung steht sie nicht ganz allein: Bei einem Liquid Feedback
kam eine knappe Mehrheit für Quoten in der Wirtschaft zustande. Aber nur
als „Brückentechnologie“. Und Simon Kowalewski, der Frauenpolitiker aus
Berlin, hat sogar den überparteilichen Quotenaufruf der „Berliner
Erklärung“ unterschrieben. „Ich sehe keine schnelle Alternative dazu“,
erklärt der Pragmatiker schlicht.
29 May 2012
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Mädchen
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