| # taz.de -- SELBSTBESTIMMUNG: Intersexuelle alleingelassen | |
| > Die Grünen fordern den Senat dazu auf, sich für Menschen einzusetzen, die | |
| > sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. | |
| Bild: Eindeutig klassisch schön: Schlafender Hermaphrodit, 2. Jh. u.Z. | |
| Vor einem Jahr haben alle Fraktionen der Bürgerschaft die Landesregierung | |
| aufgefordert, sich für bessere Lebensbedingungen von Menschen einzusetzen, | |
| die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuordnen | |
| lassen. Seitdem sei nichts geschehen, kritisiert jetzt die | |
| gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Doris Hoch. Bei Intersexuellen | |
| gehe es um eine Minderheit, „die den besonderen Schutz des Staats braucht“, | |
| sagt sie. Es sei ärgerlich, dass „ein Jahr Zeit vergeudet wurde“. | |
| Fünf Arbeitsaufträge erteilt der Parlamentsantrag dem Senat. Dabei geht es | |
| um die Fortbildung von LehrerInnen sowie von medizinischem Personal. | |
| Außerdem solle eine Beratung von intersexuellen Kindern und ihren Eltern | |
| sichergestellt werden. | |
| Diese Forderung teilt der Deutsche Ethikrat, der im Auftrag der | |
| Bundesregierung eine Stellungnahme zur Lebenssituation von intersexuellen | |
| Menschen gegeben hatte. In seinen vor drei Wochen veröffentlichten | |
| Empfehlungen heißt es: „Selbsthilfegruppen und Verbände sollten öffentlich | |
| finanziell gefördert werden“. Und: Es brauche unabhängige Betreuungsstellen | |
| „in räumlich ausgewogener Verteilung“, in denen eine Beratung durch | |
| Betroffene angeboten wird. | |
| Fragt man jetzt beim Senat nach, ob es ein solches Angebot in Bremen gibt, | |
| kommt die Antwort: „Qualifizierte Beratungen können sowohl vom Rat und Tat | |
| Zentrum und von der Anlauf- und Beratungsstelle Mädchenhaus durchgeführt | |
| werden.“ Bernd Thiede, Berater im Rat und Tat Zentrum, weiß davon nichts. | |
| Sie würden zwar helfen, wo sie könnten, sagt Thiede, seien aber als | |
| Schwulen- und Lesbenberatung gar nicht qualifiziert. Dasselbe gilt für das | |
| Mädchenhaus. | |
| Der Hintergrund für dieses Missverständnis ist wohl, dass Intersexualität | |
| für eine Form sexueller Orientierung gehalten wird. Überraschend ist das | |
| nicht, da erst seit rund 15 Jahren über das Thema gesprochen wird. Dass | |
| sich der Ethikrat damit befasst hatte, ist ein Erfolg von | |
| Selbsthilfegruppen und Einzelpersonen, die dafür ihre Leidensgeschichten | |
| öffentlich gemacht haben. Darin schildern sie, wie sie häufig erst als | |
| Erwachsene erfahren haben, was ihnen als Kind angetan wurde. Wie etwa ihre | |
| Geschlechtsorgane so operiert wurden, dass sie äußerlich eindeutig sind – | |
| mit oft qualvollen Folgen für Körper und Psyche. | |
| Solche geschlechtsangleichenden Operationen an Unmündigen werden zwar nicht | |
| verboten, wie es Selbsthilfegruppen fordern, weil nicht alle Eltern das | |
| „Dazwischen“ eines intersexuellen Kindes aushalten. Aber selbst die seit | |
| 2011 gültigen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und | |
| Jugendmedizin warnen vor vorschnellen Therapie-Entscheidungen. | |
| Und wie die Bremische Bürgerschaft hält der Ethikrat mehr Fortbildung von | |
| ÄrztInnen zum Thema für angebracht. Die Gesundheitssenatorin, so sagte | |
| deren Sprecherin gestern, wolle dies jetzt anregen. Die Bremer Ärztekammer | |
| sieht allerdings dafür keine Notwendigkeit, wie ihr stellvertretender | |
| Geschäftsführer, Franz-Josef Blömer, gestern sagte. In den Geburtskliniken | |
| sei bekannt, dass es in Lübeck am Uniklinikum ein Expertenteam gebe, an die | |
| man Eltern verweisen solle. Außerdem trete ein solcher Fall in Bremen nur | |
| „alle zwei bis drei Jahre“ auf. Tatsächlich ist nach Einschätzung von | |
| WissenschaftlerInnen – etwa denen in Lübeck – eins von 5.000 Neugeborenen | |
| intersexuell. Im Jahr 2010 wurden im Land Bremen 5.599 Kinder geboren. | |
| Die Stellungnahme des Ethikrats unterstützt eine weitere Forderung der | |
| Bürgerschaft: Danach soll sich der Senat auf Bundesebene für den Abbau | |
| rechtlicher Diskriminierung einsetzen – wie dem Zwang, sich nach der Geburt | |
| auf ein Geschlecht festzulegen. Der Ethikrat schlägt vor, neben „männlich“ | |
| und „weiblich“ eine dritte Kategorie „anderes“ einzuführen – und zu … | |
| ob diese Festlegung überhaupt noch notwendig ist. | |
| 6 Mar 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Eiken Bruhn | |
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