| # taz.de -- Polen nach der EM: Der neue Stolz | |
| > Nach der Fußball-EM hat der historische Opfer- und Heldenmythos endgültig | |
| > ausgedient. Die Polen können ganz entspannt sich selbst und ihre eigenen | |
| > Erfolge feiern. | |
| Bild: Noch nie war Polen Gastgeber bei einem so bedeutenden Sportereignis. | |
| WARSCHAU taz | Polen sind so stolz wie lange nicht mehr. Stolz auf die EM, | |
| stolz auf sich selbst, stolz auf das überwältigende Lob aus dem Ausland. | |
| Drei Wochen Fußballparty mit vielen Fans aus ganz Europa haben ein ganz | |
| neues Gefühl in Polen geweckt. Plötzlich kann jeder einen weiß-roten Wimpel | |
| ans Autofenster hängen und lauthals „Pol-ska“ skandieren, ohne gleich den | |
| Zorn der „echten Patrioten“ oder den anderer Nationen auf sich zu ziehen. | |
| In den fünf Jahren EM-Vorbereitungszeit mussten die Polen so viel Häme und | |
| Kritik einstecken, dass sie nun jedes gute Wort wie Honig aufsaugen. „Polen | |
| ist prima. Die Deutschen loben uns“, zitierte die Wochenzeitschrift Forum | |
| nicht nur einen Artikel im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, sondern | |
| dekorierte ihn auch auf der Titelseite mit einem Stück Schokoladentorte, | |
| Sahnehäubchen und Kaiserkirsche. Schlagzeilen aus der Financial Times, wie: | |
| „Die EM zeigt, dass Polen ein normales, europäisches Land ist“, werden | |
| ebenso gern zitiert wie die Prophezeiung des Economist, der Polen als | |
| künftiges „wirtschaftliches Schwergewicht in Europa“ sieht. | |
| Andererseits kommen Polen mit Kritik nur schwer klar. Insbesondere wenn sie | |
| von Ausländern formuliert wird. Da wird häufig schweres Geschütz | |
| aufgefahren. Kurz vor Beginn der EM erklärte die auflagenstarke Zeitschrift | |
| Uwazam Rze die meisten der in Polen akkreditierten Korrespondenten aus | |
| Deutschland zu „Feinden“ Polens. Sie würden in erster Linie primitive | |
| Propaganda betreiben, um eines nicht allzu fernen Tages die Verantwortung | |
| für den Holocaust zwischen Deutschen und Polen aufteilen zu können. | |
| Dabei prangen noch immer an vielen Bahnhöfen und Flughäfen freundlich-bunte | |
| „Feel like at home!“-Transparente. Zwar monierten Sprachpuristen, dass es | |
| „Feel at home“ heißen müsste, aber wen kümmert das. Ein Werbefilm, in dem | |
| sich Menschen in Rom, Dublin und Moskau an den wunderbaren Sommer 2012 in | |
| Polen erinnern, richtete sich mit dem Slogan „Wir alle sind Gastgeber der | |
| EM 2012“ an die Polen. Zudem halfen Tausende Volontäre den Gästen bei der | |
| Orientierung. Für Polen sind dies völlig neue Erfahrungen. Noch nie waren | |
| sie Gastgeber bei einem so bedeutenden Sportereignis. Und noch nie | |
| leisteten so viele Polen ehrenamtliche Arbeit. | |
| ## Plötzlich ist da Fröhlichkeit | |
| Die allgegenwärtige weiß-rote Flagge hat nun als Symbol des Nationalstolzes | |
| eine ganz neue Aufladung bekommen. Nicht nur pathetisch-traurig, in | |
| Erinnerung an all die Kriege, Heldentode und verlorenen Aufstände, sondern | |
| auch mit dem fröhlich-unbeschwerten und zugleich stolzen Gefühl „Wir sind | |
| wieder wer in der Welt!“. | |
| Wirklich schäbig behandelt haben die Polen allerdings die Russen und | |
| Ukrainer. Zurück blieben ein paar hässliche Flecken auf Polens weißen | |
| Gastgeberweste. Als in Warschau russische Fans erklärten, sie wollten am | |
| Tag des Matchs „Polen gegen Russland“ in den roten Hemden ihrer Mannschaft | |
| zum Nationalstadion in Warschau marschieren, lud Monika Olejnik vom | |
| Privatsender RadioZet den für seine russophoben Äußerungen bekannten | |
| Politiker Adam Hofman ins Studio ein. „Man stelle sich nur mal vor, dass | |
| die Deutschen ihren Nationalfeiertag in Tel Aviv mit Flaggen und | |
| Hakenkreuzen abhalten würden. Denn genau das ist die Analogie“, hetzte er | |
| erwartungsgemäß. | |
| Dann gaben sich im Radiosender Eska Rock zwei bekannte polnische | |
| Journalisten ihren Fantasien von der Vergewaltigung ukrainischer Putzfrauen | |
| hin. Kuba Wojewodzki und Michal Figurski fanden das lustig. Als das | |
| Außenministerium der Ukraine eine offizielle Entschuldigung forderte, | |
| erklärte Figurski, er würde keine ukrainische Putzfrau vergewaltigen. Er | |
| habe sich nur in einen „Durchschnittspolen“ eingefühlt. | |
| Wojewodzki rückte sich selbst in die Nähe des polnischen Dichterpantheons | |
| mit Slawomir Mrozek und Witold Gombrowski an der Spitze. Dort gebe es | |
| keinen Ausländerhass. Wer ihm nun mit der Schere des Zensors komme, mache | |
| sich lächerlich. Der Radiosender nahm die Sendung aus dem Programm. Für den | |
| Kulturwissenschaftler Roch Sulima aber hat Polen mit der EM seine | |
| Volljährigkeit im Kreis westeuropäischer Staaten erreicht. „Wir haben den | |
| historischen Helden- und Opfermythos überwunden. Wir können nun uns selbst | |
| feiern. Uns und unsere Erfolge.“ | |
| 1 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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