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# taz.de -- Polen Wirtschaft im Tief: Jammer statt Jubel nach der EM
> Trotz Fußball-Europameisterschaft stürzt die Konjunktur in Polen ab. Eine
> Pleitewelle schockiert das Land. Betroffen sind Bau- und Finanzbranche,
> Entlassungen drohen.
Bild: Die fetten Jahre sind vorbei: Das EM-Stadion von Danzig, als es noch eine…
WARSCHAU taz | So viele Pleiten hat es in Polen lange nicht gegeben. Kurz
vor der Fußball-Europameisterschaft mussten bereits reihenweise Baufirmen
Konkurs anmelden, jetzt in der Ferienzeit sind es Reiseunternehmen, die
Finanzdienstleister Amber Gold und Finroyal sowie die Billigfluglinie OLT
Express. Die seit Jahresbeginn rund 800 bei Gerichten angemeldeten
Insolvenzverfahren großer Firmen ziehen tausende Subunternehmer mit in den
Konkurs. Polens Wirtschaftsexperten warnen nun vor einer „Pleite-Lawine“.
Allein in der Baubranche droht ein Verlust von 150.000 Arbeitsplätzen.
Die Stimmung in Polen ist schlecht. Daran konnte auch die kurze Euphorie
während der Fußball-Europameisterschaft im Juni nichts ändern. Rund 67
Prozent aller Polen sehen ihr einstiges Wirtschaftswunderland inzwischen
auf Talfahrt. Selbst die EU wird nicht mehr in so rosigen Farben gesehen
wie noch vor Jahren – auch wenn immer noch mehr als die Hälfte aller Polen
zu den Befürwortern der Mitgliedschaft gehört.
Vor wenigen Tagen erhielten viele Kreditnehmer in Polen irritierende Anrufe
von ihren Hausbanken. Wenn sie sich nicht mit einer erneuten Bewertung der
gekauften Immobilie einverstanden erklärten, müssten sie den in Schweizer
Franken aufgenommenen Kredit sofort in voller Höhe zurückbezahlen oder eine
zusätzliche teure Versicherungspolice kaufen. Die Währungsturbulenzen rund
um den Euro und den Schweizer Franken hätten den Wert ihrer vor zwei bis
drei Jahren gekauften Immobilie um ein Drittel sinken lassen, hieß es.
In Polen löste dies einen Schock aus. Selbst Immobilien, die bislang als
sichere Kapitalanlage galten, können mich in den Abgrund reißen?, fragten
viele. Mit der Argumentation der Geldinstitute geraten selbst Kreditnehmer,
die bis dahin regelmäßig und ohne Probleme ihre Raten zahlen konnten, in
die Bredouille. Mit einem derartigen Wertverfall auf dem Häusermarkt hatte
kaum jemand gerechnet.
## Zu knapp kalkuliert
Dabei hatte vor allem die Bauwirtschaft als Profiteur der EM gegolten. Doch
das war eine Fehlkalkulation. Da bei den Ausschreibungen grundsätzlich nur
der billigste Anbieter gewann, hatten viele Generalunternehmer die Preise
zu knapp kalkuliert. Sie konnten zwar noch das notwendige Baumaterial
kaufen, später aber oftmals die Subunternehmer nicht mehr bezahlen.
Als die Banken merkten, dass die Investitionen nicht solide durchgerechnet
waren, strichen sie die Zwischenfinanzierung mehrerer Projekte. Am Ende
gingen hunderte Firmen pleite, große Baulöwen rissen dabei oft eine ganze
Reihe kleinerer Firmen mit. Innerhalb von einem Jahr mussten knapp 60.000
Existenzgründer aufgeben – offiziell. Dabei werden viele Unternehmer von
der Insolvenzstatistik gar nicht erfasst. Sie verschwinden einfach vom
Markt.
Zu den internen Problemen kommt die Bedrohung von außen: Da Polen einen
großen Teil seines bisherigen Wirtschaftswachstums dem Export in die EU
verdankt, fürchten nun viele Analysten, dass die Finanz- und
Wirtschaftskrise in den anderen EU-Ländern übergreifen könnte. In der
wichtigsten Tageszeitung des Landes, der Gazeta Wyborcza, warnen fünf
Wirtschaftsexperten vor den „mageren Jahren, die Polen bevorstehen“, und
prognostizieren bereits für Jahresende 2012 einen Anstieg der
Arbeitslosigkeit auf bis zu 14 Prozent. Alle müssten nun den Gürtel enger
schnallen.
Den Experten gehen die Reformen in Polen zu langsam voran, das Land sei
zudem überbürokratisiert. Zwar erreichte Polen im vergangenen Jahr ein
Wirtschaftswachstum von 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aber schon
hat die US-amerikanische Bank Stanley Morgan ihre Prognose für 2013 von 3,6
Prozent auf 2,1 Prozent gesenkt. Immerhin: Noch ist Polen nicht in der
Gefahr, wie die Nachbarländer Ungarn und Tschechien in die Rezession
abzurutschen.
13 Aug 2012
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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