| # taz.de -- UN-Waffenhandelsvertrag: Unsichere Chancen | |
| > In New York beginnen die 193 UN-Mitgliedstaaten die Verhandlungen über | |
| > den internationalen „Arms Trade Treaty“. Er kann an vielen offenen | |
| > Streitfragen scheitern. | |
| Bild: Kalashnikov - die wahren Massenvernichtungswaffen. | |
| GENF taz | Dezember 2021: Im Mittelmeer wird ein Handelsschiff aufgebracht. | |
| An Bord: eine großen Ladung G-36-Gewehren der deutschen Firma Heckler & | |
| Koch. Zielort: Saudi-Arabien, wo die Sicherheitskräfte – wie zehn Jahre | |
| zuvor in Syrien – seit Monaten gewaltsam gegen friedliche Demonstranten | |
| vorgehen. Deshalb wird Deutschland vom UN-Sicherheitsrat verurteilt – wegen | |
| illegaler Rüstungsexporte in Konfliktregionen. | |
| Ein denkbares Szenario? Möglicherweise – wenn sich die internationale | |
| Staatengemeinschaft in diesem Jahrzehnt auf verbindliche und wirksame | |
| Maßnahmen zur Eindämmung des Waffenhandels einigt. Ein erster Schritt in | |
| diese Richtung könnte ab heute erfolgen. Dann verhandeln bis Ende des | |
| Monats die 193 UN-Mitgliedstaaten in New York über den Abschluss des Arms | |
| Trade Treaty (ATT). | |
| Ein erster Entwurf für dieses Abkommen wurde seit 2008 in vier | |
| Vorbereitungskonferenzen erarbeitet. Aber eine Reihe zentraler Fragen ist | |
| noch immer umstritten. Trotzdem ist es ein großer Erfolg der Friedens- und | |
| Menschenrechtsbewegung, dass der Verhandlungsprozess auf UN-Ebene überhaupt | |
| entstand. | |
| 2003 initiierte Amnesty International gemeinsam mit Oxfam und dem | |
| Internationalen Kleinwaffen-Aktionsnetzwerk Iansa die Kampagne Control Arms | |
| (Waffen unter Kontrolle). Ziel war ein rechtlich verbindliches UN-Abkommen, | |
| das völker- und menschenrechtsverletzende Waffengeschäfte verbietet. Der | |
| erste Durchbruch gelang 2006. Die UN-Generalversammlung beschloss – bei 25 | |
| Enthaltungen und einem Nein der USA – einen Verhandlungsprozess zur | |
| Ausarbeitung des ATT einzuleiten. | |
| Der Handel mit durch ATT erfassten Waffen soll verbindlichen | |
| internationalen Regeln unterworfen werden. Konsens herrscht, dass auf jeden | |
| Fall die Großwaffensysteme – Panzer, gepanzerte Fahrzeuge, Kriegsschiffe, | |
| Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber sowie Artilleriegeschütze – unter das | |
| Abkommen fallen. Umstritten ist, ob es auch Waffenkomponenten wie Motoren | |
| sowie Pistolen, Gewehre und andere Kleinwaffen und deren Munition erfassen | |
| soll. | |
| ## Jährlich zwölf Millionen Gewehr- und Pistolenkugeln | |
| Die überwältigende Mehrheit der UN-Staaten plädiert für letztere Variante. | |
| China, Ägypten und rund zehn weitere Länder lehnen ebendiese ab. Die USA | |
| wollen die jährlich produzierten zwölf Millionen Gewehr- und Pistolenkugeln | |
| ausschließen: Das Verfassungsrecht auf privaten Schusswaffenbesitz lasse | |
| keine Importkontrolle zu. | |
| Weiterhin besteht noch keine Einigung über die Kriterien für eine | |
| Waffenhandelsregulierung. Unklar ist vor allen, ob und mit welcher | |
| Verbindlichkeit die Menschenrechtslage in potenziellen Empfängerländern als | |
| Kriterium für Handelseinschränkungen aufgenommen werden soll. Vor allem die | |
| europäischen Staaten und Mexiko wollen, dass Waffen nicht geliefert werden | |
| dürfen, wenn die Gefahr besteht, dass Menschen- oder Völkerrecht verletzt | |
| werden. Dagegen sperren sich etwa ein Dutzend Länder, darunter die drei | |
| vetoberechtigten ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats: Russland, China | |
| und die USA. | |
| Sie wollen entweder überhaupt keine Menschenrechtskriterien aufnehmen – | |
| oder aber nur mit der unverbindlichen Formulierung, wonach vor Lieferungen | |
| die Gefahr von Rechtsverletzungen zu berücksichtigen sei. Härtere Kriterien | |
| könnten „dazu führen, dass ein Land wie Syrien den ATT ablehnt“, begründ… | |
| US-Diplomaten diese Haltung. | |
| Die im Entwurf vorgesehenen Umsetzungsmaßnahmen sind nach Ansicht einiger | |
| Länder sowie aller Nichtregierungsorganisationen unzureichend. Die meisten | |
| Staaten, darunter Deutschland, wollen ihre Kontrolle zudem auf ein kleines, | |
| schwach ausgestattetes Sekretariat beschränken. Dem sollen alle | |
| Unterzeichner jährlich über ihre Vertragseinhaltung berichten. Kontrollen, | |
| Inspektionen oder andere Formen der Überwachung sind nicht vorgesehen. | |
| ## Ohne Washington | |
| Lediglich Mexiko, dessen brutale Drogenkartelle ihre Waffen zum größten | |
| Teil aus den USA beziehen, will künftig illegal ins Land gelangte Waffen | |
| bis zur Herstellerfirma zurückverfolgen können dürfen. Außerdem soll die | |
| Regierung des Herkunftslandes der des Empfängerlandes alle relevanten Daten | |
| zur Verfügung stellen. Beide Forderungen lehnte Washington bislang ab. | |
| An jeder der oben genannten offenen Streitfragen kann die für spätestens | |
| 27. Juli vorgesehene Verabschiedung des ATT noch scheitern. Auf dem letzten | |
| Vorbereitungstreffen Mitte Februar setzte eine kleine Minderheitengruppe | |
| unter Führung der USA, Syriens, Irans, Kubas, Russlands und Chinas durch, | |
| dass Beschlüsse auf der heute in New York beginnenden Konferenz nur im | |
| formalen Konsens aller 193 UNO-Staaten getroffen werden können. Damit hat | |
| jeder einzelne Staat de facto ein Veto, kann ihm nicht genehme Bestimmungen | |
| verhindern oder verwässern – und ATT bei der Schlussabstimmung zum | |
| Scheitern bringen. | |
| ## Trotz allem ein Fortschritt | |
| „Wir wollen die Option behalten, einen uns nicht genehmen Vertrag | |
| abzulehnen und das Recht der US-Bürger auf ungehinderten Zugang zu Waffen | |
| zu schützen“, so US-Diplomaten. Auf dem Vorbereitungstreffen hatte sich die | |
| Mehrheit der Teilnehmer für eine Mehrheit von mindestens 90 Prozent | |
| ausgesprochen. Doch das hätte das Treffen wiederum nur per Konsens | |
| beschließen können, was diejenigen Staaten verhinderten, die jetzt auch in | |
| New York auf ihrem Vetorecht bestehen. | |
| Sollte trotz all dieser Widrigkeiten Ende dieses Monats ein erstes | |
| internationale Waffenhandelsabkommen verabschiedet werden, wäre das ein | |
| großer Fortschritt. Seit Gründung der Vereinten Nationen 1945 reichte der | |
| Wille der Mitgliedstaaten lediglich zum Verbot chemischer und biologischer | |
| Massenvernichtungswaffen sowie zum Atomwaffensperrvertrag. | |
| Zudem wurden seit 1997 die beiden Konventionen zum Verbot von | |
| Antipersonenminen und Streubomben vereinbart – zwar außerhalb des formalen | |
| UN-Rahmens, aber doch unter Beteiligung von jeweils über zwei Drittel der | |
| Mitgliedstaaten. | |
| 2 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Zumach | |
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