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# taz.de -- Debatte um Kunsthallen: Der Elan der Erneuerung
> Hamburg hat die älteste, Mannheim erweitert ihre, Berlin hätte sie gern:
> die Kunsthalle. Sie ist zu einer Art Blackbox der Stadterneuerung
> geworden.
Bild: Heimat frei flottierender Kreativität: Die neue containerartige Platoon-…
BERLIN taz | „Wir wollen nicht ein Museum, das dasteht und wartet, sondern
ein Institut, das thätig in die künstlerische Erziehung unserer Bevölkerung
eingreift.“ Als Alfred Lichtwark im Herbst 1896 sein Amt als erster
Direktor der Hamburger Kunsthalle antrat, war er voller Elan. Mit der
vergleichbaren Verve formuliert das Haus seinen sozialen Bildungsauftrag
heute nicht mehr.
„Zusammenhänge entdecken, neue, überraschende Einblicke gewinnen“ heißt …
heute zurückhaltend in der Selbstbeschreibung des dreiteiligen Hauses neben
dem Hauptbahnhof. Hamburgs Kunsthalle steht pars pro toto: Viele dieser
Gründungen des 19. Jahrhunderts haben sich inzwischen zu den altehrwürdigen
Museen ausgewachsen, denen sie damals Beine machen wollten.
In Mannheim wird derzeit mit Millionenaufwand das Jugendstilgebäude Hermann
Billings aus dem Jahr 1907 renoviert. 2017 kommt ein gewaltiger Neubau
hinzu. Dann wird die Industriestadt am Rhein das „Zentrum der Moderne“
beherbergen, das Berlin so schmerzlich vermisst.
Mit einer „Halle“ hat der Komplex dann nicht mehr viel zu tun. Die alte
Idee „Kunsthalle“ erfreut sich freilich weiter großer Beliebtheit. Auf ihre
Weise nehmen viele Initiativen heute das Lichtwark’sche Ideal neu auf.
## Antimuseales Podium
Als Klaus Biesenbach zu Beginn der 1990er Jahre in einer alten
Margarinefabrik in Berlin-Mitte die Kunst-Werke gründete, musste er seinen
und seiner Mitstreiter progressiven Geschmack zwar nicht gegen Monarchie
und Museum durchsetzen, aber die Idee, eine neue Öffentlichkeit nach dem
Mauerfall ästhetisch herauszufordern, war ebenso mit im Spiel wie bei der
privaten „Temporären Kunsthalle“, die von 2008 bis 2010 auf dem Berliner
Schlossplatz ein antimuseales Podium baute. Von der dezentralen Kunsthalle
in Gestalt des unüberschaubaren Netzes alternativer, nichtkommerzieller
Off-Spaces, die sich inzwischen über die ganze Stadt ausgebreitet haben,
ganz zu schweigen.
Nur scheinbar zur Mogelpackung wurde das Wort „Kunsthalle“ vergangene Woche
in Berlin. Den Hunderten Menschen, die dort die Eröffnung der
„Platoon-Kunsthalle“ auf einem leeren Grundstück an der Schönhauser Allee
zu einem Megaevent werden ließen, sah man ihre volkspädagogische Mission
auf den ersten Blick nicht an.
Die 34 Stahlcontainer, die Inhaber einer „Cultural Development“-Agentur
dort für die nächsten zwei Jahre zusammengeschoben haben, wirkten eher wie
ein fashionabler Hybrid aus Nike-Playground, Homebase für Street-Art und
cooler Partylocation. Immerhin sollen dort neben einer „Donnerstagsbar“
auch Symposien und Vorträge stattfinden.
## Ein Codewort für frei flottierende Kreativität
Was alle diese „Kunsthallen“ eint, ist das vage Bedürfnis nach Freiraum,
Experiment und einer informellen Öffentlichkeit. Kunst fungiert hier vor
allem als Codewort für eine Art frei flottierende Kreativität. Das galt,
als Klaus Wowereit vor zwei Jahren mit einer Kunsthalle den brachliegenden
Berliner Humboldthafen zu neuem Leben erwecken wollte. Und gilt wieder,
wenn jetzt plötzlich Kurt Winkler, der Chef des Hauses der
Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam, die historisierende
Rekonstruktion der brandenburgischen Landeshauptstadt „mit einem Stück
Avantgardearchitektur“ à la David Chipperfield oder Daniel Libeskind
stoppen will.
Die postmoderne Kunsthalle ist zu einer Art Blackbox der (ästhetisch
inspirierten) Stadterneuerung avanciert. In Reinkultur verkörpert dieses
Prinzip die filigrane Karbonbox des BMW [1][Guggenheim Lab, das am Sonntag
sein Programm beendet] und nach Mumbai weiterzieht.
Vor den Toren Berlins gehen die Uhren freilich immer noch etwas anders. Als
dort kürzlich Potsdamer Bürger wie Günther Jauch, Wolfgang Joop oder Nadja
Uhl auf die Straße gingen, um für eine Kunsthalle zu protestieren, meinten
sie nicht die Heimstatt einer progressiven Ästhetik, wie sie der Kurator
Christoph Tannert der Stadt schon 1993 mit seiner Ausstellung „Fontanelle“
hatte schmackhaft machen wollen, sondern sie demonstrierten für ein Haus,
das einen hässlichen Hotelbau aus sozialistischen Tagen zugunsten einer
recht konventionellen Sammlung von „DDR-Kunst“ ersetzen sollte. Doch die
Potsdamer Wutbürger hatten ihre Rechnung ohne die örtliche Linkspartei
gemacht.
Deswegen baut der Mäzen Hasso Plattner, Aufsichtsratsvorsitzender der
größten europäischen Softwarefirma SAP, die Halle für seine Sammlung von
frühen Landschaftsbildern Wolfgang Mattheuers und späten von der Hand
Bernhard Heisigs nun lieber auf einem Privatgelände am Stadtrand. Dass
ausgerechnet sie zu der „Kunsthalle für das 21. Jahrhundert“ wird, nach der
in der benachbarten Metropole alle suchen, ist eher unwahrscheinlich. Dazu
müsste sie denn doch ein bisschen „thätiger“ werden – im Sinne Adolf
Lichtwarks.
31 Jul 2012
## LINKS
[1] /Guggenheim-Lab-in-Berlin/!98117/
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
New York
Klaus Wowereit
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