# taz.de -- Verführung im Museum: Kleine Gemeinheiten, große Gefühle | |
> Die Kieler Kunsthalle beschäftigt sich in ihrer aktuellen Ausstellung mit | |
> den Sinnen. Einen pädagogischen Apparat braucht es dazu nicht. | |
Bild: Eine Million Fotos aus dem Internet: Installation des holländischen Kün… | |
KIEL taz | Oh doch, das gibt es: Besucher, die mit einem Lächeln auf den | |
Lippen gemächlich durch eine Kunsthalle schlendern. Die es so gar nicht | |
eilig haben, die geradezu extrem entspannt wirken, wenn sie einen Schritt | |
zurück treten, um ein Kunstwerk in aller Ruhe zu betrachten. Die plötzlich | |
aus einem Raum treten, die Tür sofort wieder hinter sich schließen, dabei | |
tief ausatmen und sagen: „Ach, schade, dass es schon vorbei ist. Davon | |
hätte ich gern mehr haben können.“ | |
Nicht nur Frauen sind es, auch Männer. Wo ihnen doch sonst oft eine gewisse | |
nörgelige Unlust ins Gesicht geschrieben steht, müssen sie Kunst | |
betrachten, vorzugsweise im Sommer, bei Städtereisen, wo vormittags ein | |
Besuch im örtlichen Kunsttempel dazu gehört. Auch sie sind erfasst von | |
einer gewissen wohligen Begeisterung. | |
Zu erleben ist dies derzeit in der Kieler Kunsthalle. „Von Sinnen – | |
Wahrnehmung in der zeitgenössischen Kunst“ heißt die dortige Ausstellung, | |
die von zwei Seiten aus operiert: Sie versammelt einerseits Kunstwerke, die | |
sich mit unseren Sinnen beschäftigen, die deren jeweilige Eigensinnigkeit | |
feinfühlig analysieren und die Fragen nach der Zuverlässigkeit, der | |
Unbestechlichkeit oder auch dem Wankelmut unserer Sinnesorgane und der | |
daraus folgenden Sinneseindrücke stellen. | |
Und sie rückt Kunstwerke in den Fokus, die ihrerseits eine sinnliche | |
Qualität haben. Ohne – und das ist wichtig – dass eine kunstpädagogisch | |
justierte Maschinerie in Gang gesetzt wird, die einem mit allzu viel | |
Erklärendem auf die Nerven fällt. Und ohne dass Künstler antreten, die | |
allzu offensichtlich auf Lärm und Effekt setzen. | |
## Kein Bällchenbad | |
„Wir wollten hier nun kein Bällchenbad aufbauen; wir wollen den Besucher | |
nicht vordergründig bespielen“, sagt Natascha Driever, neben ihrer Kollegin | |
Susanne Petersen und Kunsthallenchefin Anette Hüsch eine der drei | |
hauseigenen Kuratorinnen. Auch gehe es nicht darum, sich von | |
Kunstrichtungen wie der Konzeptkunst oder der Minimalart zu distanzieren, | |
die oft für eine unsinnliche Kunst stünden, die entschlüsselt werden müsse. | |
Die Ausstellung beginnt mit einer leichthändige Einführung im | |
Eingangsbereich: Rechts hängt das älteste Werk der Schau, die „Allegorie | |
der fünf Sinne“, ein Gemälde von Herman van Aldewereld aus dem fernen Jahre | |
1651. Es erzählt auch von der sexuellen Verführungskraft, die man | |
seinerzeit den Sinnen des Tastens und Riechens andichtete. | |
Flankiert ist das Bild linker Hand von einigen Vitrinen: in ihnen ein | |
Riechfläschchen (1750), ein Hörgerät (Ende 19. Jahrhundert), ein Kochbuch | |
(1836). Besonders eindrucksvoll eine Tierhaut mit diversen Nahtmustern für | |
den angehenden Chirurgen (18. Jahrhundert), die wohl nur bei besonders | |
hartgesottenen Besuchern kein Kribbeln auf der eigenen Körperhaut auslösen | |
dürfte. | |
## Fotos aus dem Internet | |
Das reicht auch schon, um den Besucher zu orientieren, und los geht die | |
Reise mit einer Installation des Niederländers Erik Kessels. Er hat für „24 | |
hrs in photos“ einen Tag lang sehr fleißig Fotos aus dem Internet | |
heruntergeladen und vor allem ausgedruckt, die Menschen aller Couleur, | |
Kulturen und Altersgruppen zuvor einen Tag lang auf die Plattform Flickr | |
heraufgeladen haben, damit die Welt sehe, was sie zu zeigen haben. | |
Gut eine Million Bilder sind so zusammen gekommen, die sich nun zu einem | |
Berg erheben, der in ein kleines Tal ausläuft, durch das der Besucher in | |
den nächsten Raum gelangt. Allerweltsbilder sind es, die ein jeder macht: | |
von sich, von der Frau oder dem Mann oder dem Hund oder der Katze. Von den | |
Kindern, von der Essenstafel plus gebannte Alltagsszenen, von denen man | |
vermutet, das einem irgendwie lustig zumute wird, betrachtet man sie nach | |
dem Entwickeln. | |
So ist diese Arbeit ein kluger Kommentar zur anhaltenden Bilderflut, aber | |
auch ein Verweis auf unseren Wunsch, immer wieder das sehen zu wollen, was | |
wir sowieso schon sehen. Und nebenbei: Bilder mal mit Füßen zu treten, hat | |
was. | |
Mit einer gewissen Ehrfurcht dürften die meisten die kniende, lebensnahe | |
Männerskulptur „The smell of art“ von Eugenio Merino betrachten. Er hat die | |
berühmten „Artist’s Shit“-Dosen von Piero Manzoni vom Anfang der 1960er | |
aufgegriffen. Nur, dass der Mann – drapiert mit weißem Kittel und Schlips | |
könnte es ein Apotheker oder ein Parfümeur sein – diesmal eine der Dosen | |
geöffnet hat. | |
Die Britin Sam Taylor-Wood zeigt uns in einer kleinen Videoinstallation | |
über eine Obstschale im Wandel der Zeit, wie irritierend es sein kann, wenn | |
man etwas sieht, was man eigentlich eher riechen müsste. Auch Klaus-Peter | |
Feldmann hat sich mit Obst beschäftigt: mit der Erdbeere. Genau ein Kilo | |
dieser schmackhaften Früchte führt er uns lockend vor – und verweigert uns | |
den eigentlichen Genuss. | |
## Geheime Seitengemächer | |
Wunderbar auch der Beitrag von Erwin Wurm, der, so viel sei verraten, einem | |
den Hals zuschnürt, oder der von Sonja Alhäuser – angereichert mit allerlei | |
Kunstzitaten und essbar. Dazwischen sind einzelne Räume gestreut, deren | |
geschlossene Türen einen zunächst abzuweisen scheinen – und an dieser | |
Stelle auch nicht betreten werden. Sonst wäre manch’ hübscher Effekt | |
verloren! | |
Denn weiß der Kopf des Besuchers erstmal Bescheid, fällt es den Sinnen | |
schwer, sich überraschen zu lassen. Daher nur so viel: Via Lewandowsky | |
(Abteilung Hörsinn) und Vadim Fishkin (Abteilung Fühlsinn) haben klasse, | |
raumgreifende Arbeiten abgeliefert. Trefflich auch der eben nur fast leere | |
Raum, den Heribert Friedl gestaltet hat (Abteilung Geruchssinn). So steckt | |
diese Ausstellung voller Überraschungen, voller Irritationen, kleiner | |
Gemeinheiten und großer Gefühle – so wie es sein sollte, bei einer Hymne an | |
die Sinne und also an die Kunst. | |
## bis 21. Oktober, Kiel, Kunsthalle | |
31 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
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