# taz.de -- Kunst auf New Yorks Rockaway-Halbinsel: Vogelnester statt Atomraket… | |
> Wo die New Yorker Surfen gehen, wütete vor zwei Jahren Hurrikan „Sandy“. | |
> Eine Kunstschau will nun die Energie der Rettungshelfer wachhalten. | |
Bild: Rockaway-Resident Patti Smith am Strand. Kunst hat auch sie für die Auss… | |
Rockaway!“ Der Ausstellungstitel würde wie ein Party-Schlachtruf klingen, | |
eine Aufforderung zum Wegtanzen und Vergessen, wenn nicht der Ort gemeint | |
wäre, um den es hier geht, die Rockaway-Halbinsel im New Yorker Stadtteil | |
Queens, kurz, die Rockaways, die vor knapp zwei Jahren vom Hurrikan „Sandy“ | |
so übel zugerichtet wurden, dass Vergessen tatsächlich das Letzte ist, was | |
jetzt passieren darf. | |
Viele von Wasser, Wind und Feuer zerstörte Häuser stehen seither vernagelt | |
da, ganze Dünen versanken im Meer, es wird noch immer jede Hilfe gebraucht. | |
So etwas baut sich nicht von allein wieder auf, und um die Energie | |
wachzuhalten, mit der anfänglich Helfer anrückten, hat die Rockaway Artist | |
Alliance (RAA) Klaus Biesenbach vom MoMA/PS 1 eingeladen, eine Ausstellung | |
in Fort Tilden zu machen. Fort Tilden ist ein altes Militärgelände direkt | |
am Strand und seit dessen Auflösung in den achtziger Jahren ein Nationaler | |
Erholungspark. | |
Die Rockaways waren einmal das Naherholungsgebiet der New Yorker, ab 1830 | |
mit dem Bau absurd riesiger Strandhotels und mit dem Anschluss an die Long | |
Island Rail Road eine ganz große Nummer. 1901 eröffnete der | |
Playland-Vergnügungspark, der 1986 pleiteging. Die Bahnlinie wurde | |
zerstört, dafür gab es den Anschluss an das normale U-Bahn-Netz, die Hotels | |
wurden abgerissen, ihr Vermächtnis ist eine Ausnahmeregelung im | |
Bebauungsplan, der am Strand sehr hohe Häuser zulässt. | |
Das hat zu einer sozialistisch anmutenden Kulisse von abgerockten | |
Hochhäusern mit Meeresblick geführt, einem irritierend urbanen Strand. Aber | |
eben auch zu sehr viel Ärger: Chrystal-Meth-Küchen, Dealer, Schießereien. | |
Andererseits sagen sich Brooklyner Hipster: Wo sonst in New York kann ich | |
billig wohnen und morgens als Erstes gleich surfen gehen? Die Rockaways | |
waren gerade dabei, ein Ableger Bushwicks am Strand zu werden, als der | |
Hurrikan kam. | |
Klaus Biesenbach war einer der Ersten, die nach „Sandy“ anpackten. Er hatte | |
soeben ein Haus in der Nähe vom Strand gekauft und eine gute Freundin, die | |
Künstlerin Patti Smith, dazu angeregt, dasselbe zu tun, als die Katastrophe | |
passierte. Fassungslos liefen Smith und Biesenbach danach durch die überall | |
aufgetürmten Habseligkeiten der Menschen. Berge von aus den Häusern | |
gespülten Matratzen, aus ihren Rahmen oder Alben gespülte Fotos – das | |
Privateste wurde da sichtbar. | |
Biesenbach schaffte seine Kontakte her, Künstler, Filmemacher, Lady Gaga | |
und Madonna, die dann auch wirklich beim Aufräumen halfen oder zumindest | |
für Bilder posierten, mit denen sich weniger bekannte Leute dazu bringen | |
ließen, einen der vom MoMA bereitgestellten Shuttles in die Rockaways zu | |
besteigen und dort Notunterkünfte für obdachlos Gewordene zu errichten oder | |
geflutete Keller auszuräumen. | |
## Klangkunstwerk mit Heilkraft | |
Jetzt hat Biesenbach Patti Smith, Janet Cardiff und Adrián Villar Rojas für | |
eine Ausstellung nach Fort Tilden geholt, wo sie die unglaublichsten | |
Gebäude bespielen durften. Janet Cardiff mit ihrem „40 Part Motet“ die alte | |
Militärkapelle, Villar Rojas mit Vogelnestern die gigantischen | |
Raketenstellungen, die bis in die achtziger Jahre mit Atomraketen bestückt | |
waren, und Patti Smith mit Fotografien und einer Installation einen alten | |
ausgebrannten Lokschuppen und das Hauptgebäude der RAA. | |
Biesenbach spricht Janet Cardiffs Klangkunstwerk Heilkraft zu, einem | |
Chorwerk Thomas Tallis’, dessen 40 Stimmen sie einzeln aufgenommen und so | |
per Lautsprecher im Kreis angeordnet hat, dass man Stimme für Stimme | |
anhören kann. Hin und wieder kommen Leute glücklich weinend aus der | |
Kapelle. | |
Patti Smith hat mit „Resilience of the Dreamer“ das Bild der angespülten | |
Matratzen aufgegriffen und ein vergoldetes Bett in den Lokschuppen | |
gestellt. Besonders berührend aber sind ihre stillen, kleinformatigen | |
Fotografien, ein Panorama persönlicher Erinnerungen: mal ein Bild von den | |
Pantoffeln ihres Lebensmenschen Robert Mapplethorpe, dann wieder Bilder der | |
Betten und Gräber von Dichtern wie John Keats oder Percy Shelley. Smith’ | |
Perspektive ist so blurry und schnappschusshaft und dadurch so persönlich, | |
dass man fühlen kann, wie durchlässig sie immer schon für das Leben und | |
Schaffen anderer war. | |
Nicht nur das Kunstvolk, das zur Eröffnung gekommen ist, lauscht ihr in | |
beglückter Andacht, als sie gemeinsam mit James Franco aus den Werken von | |
Walt Whitman liest, sondern auch die Anwohner, die der Invasion aus | |
Manhattan und Brooklyn am Anfang mit Skepsis begegnet waren. Die Rockaways | |
sind nach dem Verwüstungen durch „Sandy“ wieder an New York herangerückt … | |
auch an den hyperaktiven Kunstbetrieb und an den hyperventilierenden | |
Immobilienmarkt. Immerhin, so hoffnungslos sich selbst überlassen wie es | |
weite Teile von New Orleans nach den Verwüstungen durch „Katrina“ waren, | |
sind sie nicht. | |
24 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Ophelia Abeler | |
## TAGS | |
New York | |
Kunst | |
Spanien | |
Lady Gaga | |
Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sorge um Surfparadies: Die Wut der Wellenreiter | |
Am Strand in Mundaka soll Sand aufgeschüttet werden. Surfer aus der ganzen | |
Welt fürchten nun um die berühmte Linkswelle. | |
Musikalische Kooperationen: Poesie und Abgründe des Evergreens | |
Der Weg über Genregrenzen bringt Perlen hervor: Lady Gaga tanzt mit einem | |
Jazz-Senior; Scott Walker schwelgt mit dem US-Duo Sunn O))). | |
Fotografie und Betrachtung: Die Suche nach dem Stich | |
Im Kunstverein Salzburg beschäftigt sich eine Foto-Ausstellung mit dem | |
„Punctum“, einem Detail, das den Betrachter wie ein Pfeil trifft. | |
Berlin Biennale: Cool, calm and collected | |
So entspannt wie die 8. Berlin Biennale war keine zuvor. Doch die Streber, | |
Angeber, Bluffer und Provokateure vermisst man. Ein Rundgang. | |
Debatte um Kunsthallen: Der Elan der Erneuerung | |
Hamburg hat die älteste, Mannheim erweitert ihre, Berlin hätte sie gern: | |
die Kunsthalle. Sie ist zu einer Art Blackbox der Stadterneuerung geworden. |