# taz.de -- Umweltminister Altmaier: Der es allen recht machen will | |
> Für seine offene Art wird Peter Altmaier allseits geschätzt. Doch nach | |
> zehn Wochen im Amt gibt es Zweifel, ob er nicht zu offen ist – für die | |
> Sorgen der Industrie. | |
Bild: Umweltminister mit visionärer Gestik: Peter Altmaier. (Und auch der Auto… | |
ERFURT/BERLIN taz | Die Energiewende kann anstrengend sein. Die | |
Mittagssonne knallt vom Himmel, Güllegeruch und Staubwolken liegen in der | |
Luft, als Peter Altmaier (CDU) am Dienstag im Ilmtal südlich von Erfurt | |
eine Biogasanlage besichtigt. | |
Doch den Umweltminister stört das nicht. Er lässt sich die Technik | |
erklären, stellt ein paar sinnvolle Fragen und bewundert die jungen Kälber | |
im benachbarten Stall, der von der Anlage geheizt wird. „Es ist toll zu | |
erleben, wie die Energiewende in der Praxis funkioniert“, sagt er. | |
Wie es mit diesem zentralen Projekt vorangeht und wo es hakt, davon macht | |
sich der Minister derzeit an vielen Orten ein Bild. Die Sommerpause nutzt | |
er – abgesehen von einem knapp einwöchigen Urlaub in der saarländischen | |
Heimat – vor allem dazu, alle Bundesländer zu besuchen und dort Gespräche | |
mit möglichst unterschiedlichen Akteuren zu führen. | |
In Erfurt stehen neben der Biogasanlage noch die Solar-Werke von Bosch und | |
Masdar PV auf dem Programm. Auch hier, in den sterilen Produktionsstätten | |
am Stadtrand, setzt Altmaier seinen Politikstil konsequent um: Zuhören, | |
nachfragen, Verständnis zeigen. „Die Zukunft Ihrer Branche liegt in unserem | |
nationalen Interesse“, verspricht er. | |
Mit seiner offenen Art, die jedem Gesprächspartner das Gefühl vermittelt, | |
ernst genommen zu werden, hat sich Altmaier in den zehn Wochen seit seinem | |
Amtsantritt viele Freunde gemacht. Auch die Umweltverbände nimmt er | |
zunächst für sich ein: Für sein entschlossenes Auftreten in der Asse erntet | |
er ebenso Applaus wie für seine launig-kämpferischen Auftritte, etwa beim | |
Sommerfest des Naturschutzbundes, wo er standesgemäß mit dem Fahrrad – | |
einem Raleigh Devon mit extra großem Rahmen – vorfährt und ein „offenes | |
Haus“ verspricht. „Wenn sich ein Minister abschottet“, sagt Altmaier, „… | |
er schon verloren.“ | |
## Vom Naturschutzbund zu RWE | |
Inzwischen hat die Begeisterung in der Umweltszene deutlich nachgelassen. | |
Denn Altmaiers Offenheit kennt kaum Grenzen. Vom Sommerfest des | |
Naturschutzbunds radelte er im Juni direkt weiter zum Empfang des | |
Stromriesen RWE; bei seinem Antrittsbesuch in Niedersachsen schaute er | |
nicht nur beim Windriesen Enercon, sondern auch beim Atom- und Kohlekonzern | |
Eon vorbei. | |
„Für mich ist es selbstverständlich, mit allen Beteiligten zu reden“, sagt | |
er. Doch Altmaier hört sich die Sorgen der Konzerne nicht nur an – er | |
reagiert auch darauf. Alte Kohlekraftwerke will Altmaier nun durch neue | |
ersetzen – obwohl das ihm unterstellte Umweltbundesamt dies ablehnt und | |
stattdessen auf umweltfreundlicheres Gas setzt; selbst einen Auftritt bei | |
der Einweihung eines besonders klimaschädlichen Braunkohlekraftwerks | |
schließt Altmaier nicht aus. "Bezahlbare Strompreise" für Verbraucher | |
ernennt er zu seiner "obersten Priorität", lässt aber gleichzeitig die | |
Ausnahmen der Industrie bei der Ökostrom-Umlage unangetastet. | |
Für besonderen Ärger sorgten seine öffentlichen Zweifel am Gelingen der | |
Energiewende. In Erfurt betont Altmaier, er habe die Ziele nicht revidiert, | |
sondern gewarnt, dass man mehr tun müsste, um sie zu erreichen. Doch der | |
Eindruck, der durch mehrere Interviews entstanden ist, ist ein anderer: Der | |
zuständige Minister bezweifelt, dass die Energiewende zu schaffen ist. | |
## Einknicken vor FDP und Industrielobby | |
Hubert Weiger, der als Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz | |
den Minister schon mehrfach getroffen hat, ist inzwischen enttäuscht. „Dass | |
er die Ziele in Frage stellt, ist weder nachvollziehbar noch akzeptabel“, | |
sagt er der taz. „Wir hatten gehofft, dass sich Herr Altmaier wegen seiner | |
starken Stellung in der Union und der Rückendeckung der Kanzlerin besser | |
durchsetzen kann – doch nun knickt er doch vor der FDP und der | |
Industrielobby ein.“ | |
Das sieht Altmaier naturgemäß anders. Er verweist auf die bisherigen | |
Erfolge – der allgemein gelobte Solarkompromiss, neue Garantie für | |
Windanlagen im Meer, eine Einigung bei der lange blockierten | |
EU-Effizienzrichtlinie. Ansonsten macht er deutlich, dass die Defizite, | |
etwa bei Stromsparen oder Gebäudedämmung, im Verantwortungsbereich seiner | |
Kabinettskollegen liegen. Doch ein offen kritisches Wort über seine | |
politischen Widersacher, allen voran FDP-Wirtschaftsminister Philipp | |
Rösler, ist ihm nicht zu entlocken. | |
Wenn er wegen seiner auf Kompromisse ausgerichteten Art als „wandelnder | |
Vermittlungsausschuss“ bezeichnet wird, empfindet er das als Kompliment. | |
BUND-Chef Weiger sieht diese Haltung hingegen eher kritisch. „Wir brauchen | |
einen Umweltminister, der auch mal Klartext redet und Pflöcke einschlägt“, | |
meint er. „Klimaschutz lässt sich bestimmt nicht im Konsens mit | |
Kohlekraftwerksbetreibern erreichen.“ | |
## Festgefahrene Verhandlungen | |
Auch bei einem anderen Thema stößt die Altmaiers Konsenssuche offenbar an | |
ihre Grenzen. Die unter Norbert Röttgen aufgenommenen Verhandlungen | |
zwischen Bund und Ländern über ein neues Verfahren zur Suche eines | |
Atommüll-Endlagers, die eigentlich schon vor der parlamentarischen | |
Sommerpause abgeschlossen sein sollten, hängen fest. | |
Auch eine Einladung von SPD-Chef Sigmar Gabriel und Grünen-Fraktionschef | |
Jürgen Trittin in Altmaiers Altbauwohnung, die für Kompromissfindungen | |
berühmt ist, brachte noch keine endgültige Einigung; ein neuer Termin steht | |
noch nicht fest. Und auch die versprochene Offenheit hat bei der | |
Endlagerfrage Grenzen: Die Verhandlungen laufen völlig im Verborgenen ab – | |
was bei Atomkraftgegnern für scharfe Kritik sorgt. | |
„Wer jetzt ein mit heißer Nadel gestricktes Gesetz von oben durchpeitscht, | |
ohne die Bürger umfassend zu beteiligen, wird scheitern“, sagt | |
Greenpeace-Atomexperte Matthias Edler. Die Anstrengungen für Peter | |
Altmaier, so viel scheint klar, werden in den nächsten Monaten nicht | |
geringer. | |
2 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ökostrom-Umlage steigt: 5,3 Cent für die Erneuerbaren | |
Die Ökostrom-Umlage soll um knapp 2 Cent je Kilowattstunde steigen. | |
Greenpeace hält hingegen eine Senkung für möglich – wenn Schlupflöcher | |
gestopft werden. | |
Schnellere Atommüllbergung: Altmaiers „Lex Asse“ | |
Per Gesetz will Bundesumweltminister Altmaier die Rückholung des Atommülls | |
aus der Asse beschleunigen. Doch der Bürgerinitiative missfällt der Entwurf | |
Gabriel kritisiert Umweltminister: Altmaier verzögert Endlagerfrage | |
SPD-Chef Sigmar Gabriel wirft dem Bundesumweltminister bei der | |
Endlagersuche für Atommüll Wahlkampftaktik vor. Die Koalition sieht das | |
allerdings ganz anders. | |
Grünen-Gutachten zu Energiepreisen: Drei Milliarden Euro zu viel | |
Von sinkenden Einkaufspreisen profitiert nur die Industrie, nicht der | |
Privatkunde, so eine Studie. Der Umweltminister prognostiert sogar noch | |
weitere Preissteigerungen. | |
Kommentar Umweltpolitik: Jenseits des 10-Punkte-Plans | |
Dienstwagen auf Polo-Niveau, Massenställe verbieten, Pfand auf | |
Elektrogeräte: Alles Möglichkeiten des Umweltschutzes. Aber die | |
Umweltpolitik redet nicht gerne drüber. | |
Altmaiers Ideen zur Energiewende: Zehn kleine Ministerpläne | |
Peter Altmaier legt seinen großen Plan für die Energiewende vor. Und | |
überrascht alle damit, die Klimaziele der Europäischen Union deutlich | |
verschärfen zu wollen. | |
Altmaier fordert kostenlose Energieberatung: Jedem Bürger soll ein Licht aufge… | |
Der Umweltminister hält eine kostenlose Energieberatung für sinnvoll. Er | |
denkt dabei vor allem an die Mindestverdiener in Deutschland. | |
Kommentar Kandidatenkür der SPD: Lob der Troika | |
Die SPD hat keinen idealen Kandidaten für das Kanzleramt. Deswegen ist es | |
nachvollziehbar, dass sie sich mit der Ernennung Zeit lässt. | |
Preisvergleich von Stromtarifen: Ökostrom wird immer günstiger | |
Selbst bei den günstigsten Tarifen ist Ökostrom gegenüber konventionellen | |
Anbietern konkurrenzfähig. Im Vergleich zu Standardangeboten ist er sogar | |
deutlich billiger. | |
Subventionstrick der Bundesregierung: 2,3 Milliarden für Energiefresser | |
Die Bundesregierung will auch nach 2012 auf Ökosteuer-Zahlungen von | |
energieintensiven Betrieben verzichten. Dafür trickst sie EU-Auflagen aus. | |
Handelskrieg in der Solarbranche: Chinas Klimaschutz ärgert Altmaier | |
Bundesumweltminister Altmaier wünscht sich Strafzölle auf chinesische | |
Solarmodule, die die deutsche Branche unter Druck setzen. Die Chinesen | |
fühlen sich ungerecht behandelt. | |
Debatte über Energiewende: Feindbild Strompreise | |
Die Energiewende ist gefährdet – nicht wegen zu weniger Stromnetze, sondern | |
weil Teile der schwarz-gelben Regierung nur noch über die Kosten reden. | |
Kommentar Altmaiers Klimapolitik: Fortschritt braucht Konflikt | |
Umweltminister Altmaier tritt den Zweifeln am Gelingen der Energiewende | |
defensiv entgegen. Doch wer Konflikte scheut, darf sich nicht wundern, wenn | |
es nicht vorangeht. | |
Kommentar Altmaier in Asse: Hohe Erwartungen, hohes Risiko | |
Altmaier wirkt glaubwürdig, wenn er erklärt, das Problem Asse nicht länger | |
aussitzen zu wollen. Warme Worte allein reichen nicht aus. Jetzt muss der | |
neue Minister liefern. |