# taz.de -- Debatte Euro-Schuldenkrise: Große Worte, zahnlose Thesen | |
> Die Sozialdemokraten wagen nicht, sich in der Schuldenkrise allzu weit | |
> von Merkels Mutterschiff zu entfernen. Leider haben sie gute Gründe | |
> dafür. | |
Bild: Hofft offenbar auf Hilfe von ganz oben: Sigmar Gabriel. | |
Sigmar Gabriel hat in den letzten Wochen ein Feuerwerk von Interviews und | |
Erklärungen zur Eurokrise abgebrannt. Erst attackierte er die Banken, | |
geißelte „Abzocke“ und „Erpressung der Politik durch die Banken“. Manc… | |
deuteten dies als Wendemanöver. Die SPD wolle nicht weiter Merkel brav in | |
Sachen Schuldenkrise stützen. | |
Endlich Opposition! Doch wer die Thesen von Gabriel las, fand darin wenig | |
Umstürzlerisches. Die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken, höheres | |
Eigenkapital für Banken, eine europaweite Bankenabgabe sind sinnvolle | |
Forderungen. Neu sind sie nicht, und auch CDU-Finanzminister Schäuble kann | |
sich dafür erwärmen. Als der SPD-Chef auch noch die Dauerunterstützung der | |
SPD für Merkels Eurokurs zu einem Wert an sich veredelte, der ganz Europa | |
nutzt, war klar: doch keine Wende. | |
Dieses Spiel wiederholte sich, als Gabriel ein eher wolkig gehaltenes | |
Thesenpapier zu eigen machte. Jürgen Habermas, Peter Bofinger und Julian | |
Nida-Rümelin fordern darin eine „gemeinschaftliche Haftung für | |
Staatsanleihen im Euroraum“, allerdings nur, wenn die EU die nationalen | |
Haushalte kontrolliere. Also Eurobonds, aber erst, wenn man sich in | |
Euroland darauf geeinigt hat, die Finanzen, das Königsrecht des Parlaments, | |
de facto in Europa zu regeln. | |
Das kann noch ein bisschen dauern. Es ist ein einleuchtendes, vor allem | |
aber fernes Ziel – auch Schäuble ist nicht gegen eine Fiskalunion mit | |
gemeinsamen Schulden, irgendwann. Trotzdem deuteten manche dies kühn als | |
Wende der SPD für Eurobonds, was Gabriel gereizt dementierte. | |
Bei dem SPD-Chef verhalten sich Angriff und Dementi so wie Blitz und | |
Donner. Doch Gabriels Unduldsamkeit ist keineswegs der Grund für den | |
Eindruck, dass der SPD in der Schuldenkrise der Kompass fehlt. Sie macht | |
dies nur sichtbar. | |
## Gefangen im Dilemma | |
Die Sozialdemokraten (und die Grünen, bei denen es nur weniger auffällt) | |
sind in einer Reihe von Dilemmata gefangen. Faktisch stützen beide Merkels | |
neonationalistischen Kurs, der der Eurozone einen rigiden Sparkurs | |
aufzwingt. Weil die SPD aber den Eindruck vermeiden will, dass man sie zum | |
Jagen tragen muss, inszeniert Gabriel sich als jene fundamentale | |
Alternative, die die SPD nicht ist und nicht sein will. Kurzum: Die | |
Sozialdemokraten stecken in einem vertrackten Selbstwiderspruch. | |
Erstens: Angela Merkel. Die Kanzlerin ist populär. Auch in Reihen der | |
rot-grünen Wählerschaft gilt sie als geschickte Krisenmanagerin. Das | |
Risiko, Merkel in der Schulden- und Eurokrise anzugreifen, ist daher groß. | |
Kritik kommt da oft als Bumerang zurück. | |
Zweitens: die Glaubwürdigkeitskrise. Die Sozialdemokraten kritisieren | |
völlig zu Recht, dass Merkel die EU mit dem Fiskalpakt blindlings in eine | |
schulbuchartige Rezession treibt. Nur: Die SPD hat dem im Bundestag | |
zugestimmt. Und sie beanspruchen das Copyright für die Schuldenbremse | |
hierzulande. Der Fiskalpakt ist nichts anderes als eine Schuldenbremse für | |
die EU. Deshalb klingen die Angriffe auf Merkel ziemlich blechern. | |
Anders gesagt: Wenn Peer Steinbrück 2013 als Kanzler einer Ampelkoalition | |
regiert – wird Deutschland dann mit der neonationalen Europolitik brechen, | |
die Finanzmärkte entmachten, Spanien und Italien aus dem Zinsschraubstock | |
befreien, den Euro wirksam stabilisieren und die rigide Sparpolitik | |
beenden? Im Ernst – glauben Sie das? | |
## Die Große-Koalition-Falle | |
Drittens: die Große-Koalition-Falle. Die SPD steht der großen Koalition | |
hoch ambivalent gegenüber: Einerseits will man sich nie mehr in einer | |
Merkel-Regierung aufreiben lassen. Andererseits bekommen Sozialdemokraten | |
noch immer leuchtende Augen, wenn sie die Erfolge der SPD-Minister 2005 bis | |
2009 aufzählen dürfen. | |
Fakt ist: 2013 ist die große Koalition die wahrscheinlichste Variante. Die | |
SPD-Minister werden wieder im Maschinenraum arbeiten, Merkel wird als | |
Kapitänin auf der Brücke stehen. Das wird für die SPD ein Opfergang, und | |
der wird noch schlimmer, wenn sie vorher im Wahlkampf mit radikalen | |
Forderungen (Eurobonds jetzt, saftige Steuererhöhungen für Reiche etc.) | |
Erwartungen geweckt hätte, die sie dann schändlich enttäuschen müsste. | |
Viertens: das Avantgarde-Risiko. Das US-Institut Pew hat kürzlich | |
ermittelt, was die Bürger global über den Kapitalismus so denken. Während | |
in Italien und Spanien das Vertrauen in den Markt drastisch geschwunden | |
ist, ist es in Deutschland gewachsen. 69 Prozent der Bundesbürger halten | |
freie Märkte für eine prima Idee, mehr als in den USA. Die Angst, | |
arbeitslos zu werden, ist 2011 indes laut einer Umfrage über „Die Ängste | |
der Deutschen“ spektakulär gesunken. | |
## Die Krise gibt es nur im Fernsehen | |
Krise ist in Deutschland etwas, das fast nur im Fernsehen existiert. In | |
Spanien werden Supermärkte geplündert, hierzulande hat die IG Metall eine | |
Lohnerhöhung von 4,3 Prozent ausgehandelt. Beflügelt wurden diese relativ | |
hohen Lohnabschlüsse auch durch die internationale Kritik an der hiesigen | |
Niedriglohnpolitik, die in der Krise wie ein Brandbeschleuniger wirkt. | |
Das zeigt: Deutschland leidet nicht unter der Schuldenkrise – im Gegenteil: | |
Wir profitieren davon, jedenfalls bis jetzt. Während Italien und Spanien | |
von bizarr hohen Zinsen stranguliert werden, leiht sich Deutschland Geld | |
für 0 Prozent. Kalkuliert man die Inflation ein, verdient der deutsche | |
Staat derzeit Hunderte von Millionen mit der Eurokrise. Die Deutschen sind | |
Krisengewinnler, die sich gleichzeitig als Opfer von gierigen Südländern | |
fühlen, die uns unser sauer Erspartes abknöpfen wollen. | |
Ergo: Eigentlich müsste die SPD einen scharfen Gegenkurs zu Merkels | |
Finanznationalismus einschlagen, der den Euro zu zerstören droht. Das ist | |
nicht nur zu wünschen, sondern notwendig. Allerdings ist zweifelhaft, ob | |
dies angesichts des Gemütszustands der Deutschen Erfolgsaussichten hätte. | |
Die SPD wird daher weiter Merkels loyale Opposition bleiben, hin und wieder | |
unterbrochen von Gabriels Angriff-und-Dementi-Inszenierungen. Sie wird | |
nicht riskieren, mit der (Europa-)Fahne in der Hand nach vorn zu stürmen, | |
während das Fußvolk zu Hause vor dem Fernseher sitzt. Als Organisation | |
verhält sich die SPD damit rational. Keine schöne Aussicht. | |
15 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Eurobonds | |
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