# taz.de -- Sigmar Gabriel über die Krise: „Banken müssen langweilig werden… | |
> Banken müssen insolvent gehen können, ohne Volkswirtschaften zu bedrohen, | |
> meint SPD-Chef Gabriel. Ein Gespräch über Populismus, Zeitungsverkäufe | |
> und Merkels Selbstironie. | |
Bild: „Merkel hat uns die CDU vom Hals gehalten“: Sigmar Gabriel über die … | |
taz: Herr Gabriel, Sie sind gerade in der Babypause. Wo kann man im | |
Willy-Brandt-Haus sein Kind wickeln? | |
Sigmar Gabriel: Andrea Nahles hat nach der Geburt ihrer Tochter ein | |
Eltern-Kind-Zimmer im Willy-Brandt-Haus einrichten lassen, da ist Spielzeug | |
und auch ein Wickeltisch. Das nutze ich, wenn es nötig sein sollte. Aber | |
ich habe nicht die Absicht, meine Tochter allzu häufig mit der SPD-Zentrale | |
zu konfrontieren. | |
Bei Politikerinnen, die sich um ihr Kind kümmern, wird gefragt: Darf die | |
das? Bei Politikern gilt es eher als cool. | |
Keine Ahnung, wie die Leute das finden. Natürlich gibt es eine | |
unterschiedliche Wahrnehmung von Männern und Frauen, aber der muss man sich | |
verweigern, weil die albern ist. Jeder Mensch soll sich freuen, ein Kind | |
mit zu erziehen und aufwachsen zu sehen. Wer das verpasst, verzichtet auf | |
ungeheuer viel Glück und Lebensfreude. | |
Herr Gabriel, bei welcher Bank haben Sie Ihr Geld? | |
Bei der Volksbank. Das ist der einzige Ort, wo man in Ruhe Genosse sein | |
kann. (lacht) | |
Vertrauen Sie Ihrer Bank? | |
Ja. Auch Volksbanken und Sparkassen können Fehler machen. Aber das sind | |
Banken, bei denen ein verlässliches Einlagensicherungssystem existiert. Und | |
selbst wenn eine einzelne dieser Banken insolvent wird, würde das nicht | |
gleich den Staat ruinieren. Die machen das wichtige, aber langweilige | |
traditionelle Bankgeschäft: Sie leihen der Realwirtschaft Geld. Dafür | |
plädiere ich: Banken müssen wieder langweilig werden. | |
Und wie? | |
Da müssen wir erst mal das Ziel beschreiben: Banken müssen insolventgehen | |
können, ohne dass es Auswirkungen auf die europäische Volkswirtschaft hat | |
und der Staat als Retter einspringen muss. | |
Das ist Konsens von der Linkspartei bis zur FDP. | |
Ja, dem Reden nach. Aber wie schafft man das? Erstens: Wir müssen das | |
Risiko des Investmentbankings vom traditionellen Geschäft trennen. Das muss | |
nicht zwangsläufig eine Aufspaltung von Banken sein. Es gibt andere | |
Möglichkeiten, die Spekulation einzugrenzen, durch eine stärkere | |
Abschirmung der Geschäftsbank. Man kann den Eigenhandel von Banken | |
einschränken, indem man ihn an höhere Eigenkapitalstandards bindet. Wichtig | |
ist es, Investment und traditionelles Geschäft zu trennen. | |
Lehman Brothers war aber eine reine Investmentbank. | |
Ja, aber das Problem war, dass andere Geschäftsbanken mit Lehman extrem | |
stark vernetzt waren. Es gilt eben die Bereiche Investment- und | |
Geschäftsbanken wirklich zu trennen – also nicht nur innerhalb einer Bank, | |
sondern vor allem zwischen den Banken. Zweiter Punkt: Banken brauchen ein | |
eigenes ausreichendes Sicherungssystem, damit der Steuerzahler möglichst | |
nicht haftet. Der Bankensektor soll selbst entscheiden, welche Bank | |
abgewickelt wird. Es geht also auch um bestehende Aktionärs- und | |
Eigentumsverhältnisse. Und da endet die Gemeinsamkeit. Das will die FDP | |
nicht, das wollen Teile der Union nicht. | |
Wolfgang Schäuble hat Ihnen, wegen Ihrer Bankenthesen, billigen Populismus | |
vorgeworfen. Trifft Sie dieser Vorwurf? | |
Nein, warum? Das ist ja unter Politikern sowieso ein seltsamer Vorwurf. | |
Etwa so, als ob die taz und die Bild sich gegenseitig vorwerfen würden, | |
dass sie versuchen ihre Zeitungen so zu machen, dass Leser sie kaufen. | |
Schäuble merkt, dass die Bevölkerung bei der Bankenkrise die Nase voll hat. | |
Dass die Deutsche Bank und der Bankenverband sich über meine Thesen | |
aufregen, ist doch verräterisch. Die fühlen sich zu Recht getroffen und sie | |
wissen: da könnte man noch sehr viel tun. Und da verlässt sich der | |
Bankenverband lieber auf CDU/CSU und FDP als auf die SPD. Und aus deren | |
Sicht ist das durchaus berechtigt. | |
Der Bankenverband hat doch stets erklärt, dass die Politik doch bitte die | |
Sparkassen und Volksbanken abschaffen soll. Die SPD will eine robuste und | |
harte Regulierung des Bankensektors. Das unterscheidet uns diametral von | |
den Neoliberalen in Union und FDP. | |
Trauen Sie sich im Wahlkampf zu sagen: Deutschland subventioniert in der EU | |
andere Staaten – und das ist auch gut so? | |
Das tun wir doch längst. Und wir tun das nicht aus esoterischen Gründen, | |
sondern – lässt man die politischen Gründe mal weg – aus purem Egoismus: | |
Denn ökonomisch ist Deutschland der Gewinner des Euro. Wir verdienen an | |
ihm. Ich habe das Gerede, dass wir Nettozahler sind, schon falsch gefunden, | |
als es noch von Sozialdemokraten kam. | |
Von Gerhard Schröder … | |
Deutschland hat, wenn man auch unseren Exportüberschuss einbezieht, eine | |
halbe Billion Euro verdient. Wir sind nicht der Lastesel. Und wir brauchen | |
Europa auch politisch. Alleine hat selbst das große und starke Deutschland | |
in Zukunft keine Stimme mehr in der Welt. Der chinesische Staatschef wird | |
nicht 27 Regierungschefs anrufen und fragen, was wir so denken. Das ist die | |
neue Begründung für Europa im 21. Jahrhundert: Bislang war Europa eine | |
Interessenvertretung nach innen und sollte Frieden und Wohlstand sichern. | |
Das bleibt. Aber jetzt muss Europa die Interessenvertretung seiner | |
Bürgerinnen und Bürger nach außen werden. | |
Scheitern wir schon bei unserer Währung, werden wir nicht mehr ernst | |
genommen und die Zentrifugalkräfte in Europa werden wieder zunehmen. Unsere | |
Kinder und Enkel werden uns dafür verfluchen. | |
Jean-Claude Juncker hat gesagt, dass Deutschland „die EU wie eine Filiale | |
behandelt“. Zu Recht? | |
Er meinte wohl – ohne es auszusprechen – Politiker wie Philipp Rösler von | |
der FDP und Horst Seehofer von der CSU. In der Tat finde ich es wie Juncker | |
unerträglich, das Jahrhundertthema Europa ständig nur für die | |
innenpolitische Profilierung zu missbrauchen. Wie schlecht muss es diesen | |
beiden Parteien gehen, wie wenig Verantwortungsbewusstsein müssen diese | |
„Stützen“ der Regierung haben, dass sie heute die Griechen rauswerfen | |
wollen, morgen dann Herrn Juncker ablösen und übermorgen vermutlich Herrn | |
Draghi von der EZB. Frau Merkel muss aufpassen, welche Irrlichter sie da | |
durch die Lande ziehen lässt. | |
Warum ist Merkel dann so populär? Warum trauen die meisten Merkel in der | |
Eurokrise – und nicht der SPD? | |
Wenn die Bürger uns nichts zutrauen würden, hätten wir bei den letzten elf | |
Landtagswahlen nicht so gut abgeschnitten. Zweitens: Die SPD hat eben, | |
anders als die Union, mehr als nur eine Person. Es waren Peer Steinbrück, | |
Frank-Walter Steinmeier und Olaf Scholz, die Deutschland durch die letzte | |
Krise 2008 gesteuert haben – gegen die Union. Merkels Leistung war es, uns | |
in der großen Koalition die Union vom Hals zu halten, denn die waren ja | |
anfangs komplett gegen Konjunkturprogramme oder Kurzarbeiterregelung. | |
Das klingt nach einem prima Modell für 2013: Merkel bleibt Kanzlerin, die | |
SPD macht wieder die Arbeit. | |
Nein, danke. Man muss nicht in einer gemeinsamen Regierung sitzen, um in | |
wichtigen Fragen gemeinsame Politik zu machen. Das hat übrigens in | |
Deutschland große Tradition und galt früher sogar in wichtigen | |
innenpolitischen Fragen. Ich bin wirklich dafür, in Europafragen den | |
größtmöglichen Konsens zu suchen. Und ein sozialdemokratischer Kanzler wird | |
von Anfang an und offensiv das Parlament in dieser wichtigen Frage weit | |
mehr beteiligen. Das tut Deutschland gut, Europa auch. | |
Aber andererseits gibt es das tief sitzende Gefühl bei vielen, dass es | |
nicht mehr fair zugeht. Es gibt 30 Jahre neoliberale Theologie, die sich | |
ganz schön im Lieblingssatz der FDP zusammenfassen lässt: Wenn jeder an | |
sich denkt, ist an alle gedacht. Die Bürger merken: So funktioniert eine | |
Gesellschaft nicht. Deshalb hat eine Regierung links der Mitte Chancen. | |
Klar ist: Schwarz-Gelb wird 2013 keine Mehrheit haben. | |
Das Problem der SPD ist: Alle gehen davon, dass es, gerade in der | |
anrollenden Wirtschaftskrise, nach der Bundestagwahl 2013 eine große | |
Koalition gibt. | |
Bei uns ist klar: Wir wollen keine große Koalition, weil sie nicht genug | |
Gemeinsamkeiten hätte. In der Europafrage vielleicht. Aber was ist mit der | |
Bürgerversicherung, einem gerechteren Steuersystem, der Bildung? In allen | |
wichtigen Fragen sind die Überschneidungen zwischen SPD und Bündnis 90/Die | |
Grünen weit größer. Und deshalb wollen wir mit ihnen regieren. Und wir | |
werden ein halbes Jahr vorher bei der Landtagswahl in Niedersachsen zeigen, | |
dass das auch geht. Dort wird es keine große Koalition geben, sondern eine | |
rot-grüne Regierung, die Schwarz-Gelb ablöst. Ich bin da ganz entspannt. | |
Ist die Ampel eine Möglichkeit? | |
Nicht mit der FDP von heute. | |
In Umfragen schneiden Sie im direkten Vergleich mit Angela Merkel besonders | |
schlecht ab. Warum? | |
Ich könnte jetzt sagen: Das war bei Angela Merkel im Vergleich zu Gerhard | |
Schröder auch mal so. Trotzdem ist sie Kanzlerin geworden. Aber ich finde | |
es normal, dass Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück sehr populär | |
sind. Und Sie haben Hannelore Kraft vergessen. | |
Aber Ihnen trauen die Wähler viel weniger als Steinmeier und Steinbrück zu, | |
ein guter Kanzler zu werden. Warum? | |
Weil die beiden in der letzten Regierung als Minister Gewaltiges bei der | |
Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise geleistet haben. Deshalb | |
verdienen sie dieses Vertrauen. | |
Können Sie etwas von Angela Merkel lernen? | |
Ich schätze an ihr, dass sie ihr Amt nicht wie eine Monstranz vor sich | |
herträgt. Sie hat Selbstironie. Das macht sie grundsympathisch. Und sie ist | |
sehr verlässlich. | |
2 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
A. Maier | |
S. Reinecke | |
## TAGS | |
Streik | |
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