| # taz.de -- Die taz 1992 über Lichtenhagen: „Das sind hier ganz normale Deut… | |
| > Wie die taz 1992 über Rostock-Lichtenhagen berichtete. Teil 1: Zu | |
| > Tausenden feuern die Anwohner am Sonntag ihre Leute an: „Skins, haltet | |
| > durch!“ | |
| Bild: 23. August 1992: Polizisten stehen vorm Asylbewerberheim in Rostock-Licht… | |
| Am 22. August 1992 begann der Angriffe auf das Flüchtlingsheim in | |
| Rostock-Lichtenhagen. Zum Jahrestag veröffentlichen wir noch einmal die | |
| drei Reportagen, in denen die spätere taz-Chefredakteurin Bascha Mika die | |
| Ereignisse 1992 dokumentierte. Den Text aus der taz vom 25. August (über | |
| den 23. August 1992) finden Sie unten, den Text aus der taz vom 26. August | |
| [1][hier] und den Text aus der taz vom 27. August [2][an dieser Stelle]. | |
| ROSTOCK taz | Fäuste fliegen nach oben, Münder reißen auf, Hunderte Kehlen | |
| brüllen: „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ und wieder: | |
| „Deutschland den Deutschen! Ausländer raus!“ Der Schall donnert zwischen | |
| die Plattenbauten, kriecht die Wände der Zehngeschosser hoch, dringt in die | |
| Fenster. Das ist die Stimme des Volkes. Das Volk will Blut und Spiele. Ihre | |
| Arena ist das Gelände vor dem Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen. Zu | |
| Tausenden stehen die Anwohner am Rande und feuern ihre Mannschaft an: | |
| „Skins, haltet durch!“ Schweigend, die Schilde vor die Brust geklemmt, | |
| stehen Polizisten zwischen ihnen und dem Kampfplatz. | |
| Das Areal ist groß und unübersichtlich. Eine vierspurige Zufahrtsstraße, | |
| ein riesiger, büschegesäumter Parkplatz, eine Fußgängerbrücke über | |
| S-Bahngleisen. Von allen drei Seiten stürmen die Kämpfer für ein sauberes | |
| Deutschland nach vorne, versuchen die Linien der Polizei zu durchbrechen. | |
| Die hat einen Ring um das Flüchtlingswohnheim gelegt. Zwei Wasserwerfer | |
| warten im gelben Licht der Laternen. | |
| „Klar, daß die Jugendlichen diesen Haß haben“, sagt einer vom Rande mit | |
| stonewashed Jeans, „viele von denen sind arbeitslos.“ Und das nur, ergänzt | |
| er, wegen dieser „verdammten Kanaken“, die die Steuergelder verfressen. „… | |
| müssen erst ein paar Jugendliche kommen, die hier richtig aufräumen, das | |
| Gesindel vertreiben“, fährt ein anderer mit schweißrotem Kopf dazwischen, | |
| setzt die Bierdose an und schüttet das Gesöff in den Hals. „Zu schade“, | |
| sagt er mit sabberndem Mund, „daß die Polizei niemanden zu dem Dreckspack | |
| reinläßt.“ Dann hätte man bald seine Ruhe und könnte endlich nach Hause u… | |
| schlafen gehen. | |
| Aber was ist schon Schlaf gegen dieses Schauspiel am Sonntag abend. Seit | |
| Stunden ergötzen sich die Anwohner von Lichtenhagen. Hier geht es um ihre | |
| Sache. Haben sie sich nicht oft genug lautstark beschwert über die Zentrale | |
| Anlaufstelle für Asylbewerber (ZAST), die man ihnen nach der Wende zwischen | |
| ihre Betonidylle gesetzt hat? Haben sie nicht an den Innensenator von | |
| Rostock geschrieben, sogar an den Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern? | |
| Ein paar 100 Ausländer zwischen 20.000 Deutschen in der Neubausiedlung: wer | |
| soll das aushalten? | |
| „Die klauen den ganzen Supermark leer“, ereifert sich einer, der mit dem | |
| Rücken an den Scheiben der „Spar“-Filiale lehnt; „die pissen sogar in die | |
| Regale.“ „Ich hab' gesehen, wie sie hier auf der Wiese Katzen gegrillt | |
| haben“, geifert ein anderer und guckt beifallheischend seine Bekannten an.“ | |
| Und dann dauert es auch nicht mehr lange, bis in der Menge zu hören ist: | |
| „Die vergewaltigen am hellichten Tage unsere Frauen und Kinder.“ | |
| ## Die Angriffspläne waren lange bekannt | |
| Am Samstag dauerte die Randale 13 Stunden. 13 Stunden lang versuchte eine | |
| Bande das Hochhaus zu stürmen, in dem die Flüchtlinge untergebracht sind. | |
| Der Plan für den Angriff war schon lange bekannt. Sogar in der | |
| Ostseezeitung konnte man nachlesen, daß Rechte Lichtenhagen ausländerfrei | |
| prügeln wollten. Telefonisch hatten sie dem Lokalblatt für das Wochenende | |
| „eine heiße Nacht“ angekündigt, in der man „Ordnung schaffen“ wolle. | |
| Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern schickte zur Sicherheit 20 | |
| Beamte nach Lichtenhagen. Die standen dann plötzlich 150 Brutalos gegenüber | |
| und 1.500 Anwohnern, die sie unterstützten. Bis 100 Mann Verstärkung | |
| kommen, dauerte es Stunden. Die Angreifer erreichten ungehindert das | |
| Flüchtlingsheim, schmissen Scheiben ein. Noch im vierten Stock splitterte | |
| Glas. Die AsylbewerberInnen verbarrikadierten sich, warfen den Rowdys Möbel | |
| auf die Köpfe. | |
| „Die haben doch mit der Gewalt angefangen“, behaupten jetzt die BürgerInnen | |
| von Lichtenhagen. Heute sind es schon rund 500, die Ausländer und Bullen | |
| aufmatschen wollen. 400 Polizisten stehen ihnen gegenüber. Die anheizende | |
| Menge am Rande ist kaum noch zu zählen; 2.500 Menschen sollen es sein, sagt | |
| die Polizei. | |
| „Wie kann man so was in 'nem Wohngebiet machen“, regt sich eine rundliche | |
| Blonde auf. „Den ganzen Tag liegen die Asylanten auf der Wiese hier faul | |
| rum, lachen sich tot, wenn wir arbeiten müssen. Niemand traut sich hier | |
| mehr vorbei.“ Daß die Aufnahmestelle nur 300 Menschen aufnehmen kann, daß | |
| zeitweise so viele Flüchtlinge ankamen, daß sie draußen kampieren mußten, | |
| interessiert die Frau nicht. Sie verschwindet in die nächste Kneipe, um | |
| einen zu heben, will aber gleich wiederkommen. | |
| Einer der Wasserwerfer rollt langsam nach vorne. Uniformierte ducken sich | |
| in seinen Schutz, schleichen voran. Gegenüber eine Gruppe Vermummter. Zwei, | |
| drei von ihnen rennen los, schleudern die Arme hoch, Steine sausen durch | |
| die Luft. Die Beamten reißen die Schilder hoch. Dumpf knallen die Geschosse | |
| auf das Acryl, dann aufs Pflaster. Die Zuschauer johlen, klatschen. | |
| „Dieses Nazigesindel,“ flucht ein Polizist. „Das sind keine Nazis“, sch… | |
| ihn ein Anwohner an. „Das sind unsere Kinder. Das sind keine | |
| Rechtsradikalen, sind ganz normale Deutsche, die das mit den Ausländern | |
| hier im Viertel nicht mehr aushalten.“ Allerdings ist ein Großteil dieser | |
| „normalen Deutschen“ aus Lübeck, Hamburg und Niedersachsen angereist. Das | |
| Landeskriminalamt vermutet eine überregional abgestimmte Aktion der | |
| Rechtsradikalen. | |
| ## Die Angreifer sind gut ausgerüstet | |
| Auf der anderen Seite der Bahngleise, einige hundert Meter vom Kampfplatz | |
| entfernt, steht ein schwarzer Wagen mit Hamburger Nummer. Neonazistische | |
| Zeitungen liegen im Rückfenster, ein breitgebauter Manner sitzt darin. Er | |
| hat ein Telefon oder ein Walkie-Talkie in der Hand. „Geht mal rechts | |
| herüber“, hört man ihn kommandieren. Der schwarze Wagen gehört dem | |
| Hamburger Neonazi Christian Worch. Auch unter den Angreifern, die längst | |
| nicht alle jugendlich sind, tragen einige ein Sprechfunkgerät. | |
| Leuchtmunition zischt durch die Luft, zerplatzt blau zwischen den | |
| Zuschauern. Die stolpern, springen zur Seite. Auf dem Platz vor ihnen | |
| wabern Schwaden von Tränengas über dem Aspalt, der mit faustgroßen Steinen | |
| bedeckt ist. Auf der großen Wiese vor dem Hochhaus, in dem die Flüchtlinge | |
| leben, leuchtet das Rot von Ambulanzen. Plötzlich brennt die Luft. Ein | |
| Molotowcocktail landet unter dem Wasserwerfer. Der rollt zurück, Vermummte | |
| stürmen nach vorn. Ein weiterer Molli heizt durch die Luft. Kurze Zeit | |
| später brennt ein Auto. | |
| So geht es ununterbrochen. Mal ein Angriff von der Brücke, mal vom | |
| Parkplatz. Ab und zu proben die Polizisten den Ausfall, jagen hinter den | |
| Randalierern hinterher. Aber sie sind zu wenige. Kaum haben sie Boden | |
| gutgemacht, werden sie schon wieder zurückgetrieben. „Wir brauchen dringend | |
| mehr Leute“, murmelt ein Beamter hilflos. Warum das Innenministerium nicht | |
| schon längst mehr Verstärkung geschickt hat, ist nicht nur ihm | |
| schleierhaft. | |
| Zwischen den Uniformierten und den Vermummten läuft ein Mann in schwarzer | |
| Lederweste: Erwin Eppler, SPD-Abgeordneter in der Rostocker Bürgerschaft, | |
| der in Lichtenhagen wohnt. „Das hat sich seit Jahren so entwickelt“, sagt | |
| er, „und jetzt bricht der Haß aus.“ Schon als in demselben Haus | |
| DDR-Vertragsarbeiter gewohnt hätten, wäre es den Deutschen nicht recht | |
| gewesen. „Und jetzt sind die Anwohner hier seit Monaten mit den Zigeunern | |
| konfrontiert. Das sind doch keine Asylbewerber. Die kommen mit Schleppern | |
| hierher.“ Ganz im Sinne der übrigen Lichtenhagener erzählt er, daß sich | |
| sogar Diebesgut in dem Flüchtlingswohnheim befinde. „Aber niemand wagt sich | |
| da rein, denn die sind bewaffnet.“ | |
| ## Eppler zeigt Verständnis | |
| Wie es sich für einen Lokalpolitiker gehört, zeigt der Mann in der weißen | |
| Hose volles Verständnis für seine WählerInnen: „Die Emotionen gehen hoch | |
| hier, und die Leute können doch nicht von einem auf den anderen Tag | |
| Demokratie lernen.“ Grundsätzlich hätte er ja nichts gegen ausländische | |
| Bürger, aber hier sei das eben nicht machbar. „Das Asylrecht darf aber | |
| nicht ausgehöhlt werden“, fügt er der Vollständigkeit halber dann noch | |
| hinzu. | |
| Ein Polizist schleppt einen Jugendlichen ab. Erwischen die Beamten mal | |
| einen der Randalierer, gehen sie nicht gerade sanft mit ihnen um. Rund 150 | |
| haben sie bisher abgeführt. Kaum sieht die Menge die beiden, geht Gebrüll | |
| und Gebuhe los. „Auf welcher Seite steht ihr eigentlich?“ ruft ein älterer | |
| Mann. „Diese Bullen sind Verräter. Sie müssen sich entscheiden, ob sie | |
| richtige Deutsche sein wollen.“ | |
| Gegen 1 Uhr kreisen Hubschrauber über Lichtenhagen. Die Polizisten wagen | |
| einen neuen Ausfall, jagen den Rowdys hinterher. Die zerstreuen sich in | |
| alle Richtungen. Plötzlich ist Ruhe auf dem Platz. Eine halbe Stunde später | |
| neuer Lärm: „Nazis vertreiben. Ausländer bleiben“, schallt es vom Parkpla… | |
| herüber. 60 bis 70 Autonome tauchen auf, rennen vor die Fußgängerbrücke. | |
| Sie kommen zu spät. | |
| [3][Hier geht's weiter zu Teil 2] | |
| [4][Hier geht's weiter zu Teil 3] | |
| 24 Aug 2012 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!100215/ | |
| [2] /!100217/ | |
| [3] /Die-taz-1992-ueber-Lichtenhagen/!100215/ | |
| [4] /!100217/ | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
| Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
| Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kolumne Der rechte Rand: Die AfD-Verlierer | |
| Militant orientierte Rechtsextreme wie Christian Worch haben seit dem | |
| Erstarken des rechtspopulistischen Milieus in Deutschland an Einfluss | |
| verloren. | |
| Gedenkstelen in Rostock-Lichtenhagen: Die dritte von fünf beschädigt | |
| Vor 25 Jahren griffen Rechtsextreme vier Nächte lang eine Unterkunft für | |
| Asylbewerber an. Die Stelen sollten der Opfer gedenken. Sie wurden erst vor | |
| kurzem aufgestellt. | |
| Dokumentarfilm „Revision“: Die Revision der Mittel | |
| Tod in Mecklenburg-Vorpommern: Philip Scheffners „Revision“ zeichnet den | |
| gewaltsamen Tod zweier Flüchtlinge im Jahr 1992 nach. | |
| Kommentar Gedenken in Rostock: Deutschland schaut weg | |
| Joachim Gauck forderte beim Gedenken in Rostock, das Pogrom „immer wieder | |
| zu betrachten“. Doch ARD und ZDF zogen es vor, das Ereignis großzügig zu | |
| übergehen. | |
| Kommentar Gedenken in Rostock: Geschichtsklitterung, 20 Jahre danach | |
| In seiner Gedenkrede an das Pogrom von 1992 vermeidet es Bundespräsident | |
| Gauck, konkrete Verbindungen zur Gegenwart zu ziehen. Und in der FAZ werden | |
| Täter zu Opfer. | |
| 20 Jahre nach Pogrom in Lichtenhagen: In Rostock blickt man nach vorn | |
| Rostocker Politiker tun sich bis heute sehr schwer im Umgang mit dem | |
| rassistischen Pogrom vom August 1992. Vor allem mit der eigenen | |
| Verantwortung. | |
| Gauck in Rostock-Lichtenhagen: „Wir fürchten euch nicht“ | |
| Bundespräsident Joachim Gauck nannte die Ausschreitungen von | |
| Rostock-Lichtenhagen „leider bis heute ein Brandmal“. Auch „Heuchler!“-… | |
| waren zu vernehmen. | |
| Gedenken an Rostock-Lichtenhagen: „Fällt alle deutschen Eichen“ | |
| In Rostock erinnern mehrere tausende Demonstranten an den Pogrom in | |
| Lichtenhagen. Sie bringen eine Gedenktafel am Rathaus an – nicht zum ersten | |
| Mal. | |
| 20 Jahre Pogrom in Lichtenhagen: „Mahner wurden nicht gehört“ | |
| Sind die rassistischen Gewaltexzesse der neunziger Jahre richtig | |
| aufgearbeitet worden? Ach was, sagt der sachsen-anhaltinische | |
| Rechtsextremismusexperte David Begrich. | |
| Videos zu 20 Jahre Pogrom in Rostock: Dokumente des Hasses | |
| Die Volksfeststimmung während des Pogroms in Rostock- Lichtenhagen ist kaum | |
| noch vorstellbar. Umso wichtiger sind die Filme, die die Ereignisse | |
| dokumentieren. | |
| Die taz 1992 über Lichtenhagen: Das Haus brennt lustig weiter | |
| Wie die taz 1992 über Rostock-Lichtenhagen berichtete. Teil 2: Kurz bevor | |
| der erste Brandsatz fliegt, zieht sich die Polizei zum Schichtwechsel | |
| zurück. | |
| Die taz 1992 über Lichtenhagen: Die letzte Schlacht | |
| Wie die taz 1992 über Rostock-Lichtenhagen berichtete. Teil 3: Die | |
| Plattenbausiedlung ist ausländerfrei. Trotzdem kommen wieder hunderte | |
| Rechte. | |
| 20 Jahre Pogrom in Lichtenhagen: In Feindesland | |
| Applaudierende Bürger und prügelnde Nazis: Sie waren die Mehrheit, aber | |
| nicht die einzigen. Auch Antifaschisten versuchten nach Lichtenhagen zu | |
| kommen. Vergeblich. | |
| 20 Jahre Pogrom in Lichtenhagen: „Rostock ist ein Trauma“ | |
| Seit dem Pogrom von Rostock beschäftigt sich Kien Ngi Ha mit Rassismus. Der | |
| Politologe untersucht rassistische Gewalt und das Trauma der Vietnamesen in | |
| Deutschland. | |
| 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen: Die offene Wunde | |
| Das Neubauviertel im Norden der Stadt steht seit 1992 für Fremdenhass. Wie | |
| gehen die Bewohner heute damit um? Erkundungen und einige Erkenntnisse. |