# taz.de -- 20 Jahre nach Pogrom in Lichtenhagen: In Rostock blickt man nach vo… | |
> Rostocker Politiker tun sich bis heute sehr schwer im Umgang mit dem | |
> rassistischen Pogrom vom August 1992. Vor allem mit der eigenen | |
> Verantwortung. | |
Bild: Die Situation „nicht eskalieren“ lassen: das ist die Lehre, die ein L… | |
ROSTOCK taz | „Das wird man nicht wieder los“, sagt der damalige | |
SPD-Innensenator Peter Magdanz, „dafür war das viel zu einschneidend.“ | |
Magdanz ist nicht mehr politisch tätig; er arbeitet jetzt als Citymanager. | |
Damals, meint er, hatte auch die Politik ihren Anteil an der Eskalation. | |
Kurz nach der Wende hatten die demokratischen Parteien ihre Rhetorik den | |
Phrasen der Rechten angenähert, um ihnen die Argumente zu entziehen; der | |
Satz „Das Boot ist voll“ machte die Runde. „Alles Unfug“, sagt Magdanz, | |
„mit solchen Tendenzen muss man offensiv umgehen.“ Sonst mache man es denen | |
leicht, die solche Parolen auf der Straße brüllen. | |
Inzwischen sind 20 Jahre vergangen, seitdem die Bilder von den Brandnächten | |
in Rostock um die Welt gegangen sind. Doch die Stadt hat die Ereignisse von | |
damals noch längst nicht überwunden. Wer sich in Rostock umhört, spürt, wie | |
schwer sich Politiker mit den Vorfällen von damals noch immer tun. Die | |
Fraktionen der Bürgerschaft haben sich gerade in einer Erklärung bei den | |
Opfern des Gewaltexzesses entschuldigt. Doch Nachfragen sind nicht überall | |
willkommen. | |
„Es gibt eine Erklärung, mehr habe ich dazu nicht zu sagen“, sagt Steffen | |
Wandschneider, der Vorsitzender der SPD-Fraktion, 33 Jahre alt. Ob sich | |
Rostock seit 1992 verändert habe? „Eine bescheuerte Frage.“ Sicher gebe es | |
nach wie vor rechtsextreme Tendenzen. „Aber wir haben klar gezeigt, dass | |
wir dem eine offene Kultur entgegenstellen, eine Kultur des Hinsehens.“ Die | |
Hansestadt Rostock wolle Tor zur Welt sein, weltgewandt und tolerant. Eine | |
Stadt, in der so etwas nie wieder geschehen kann. | |
Es sind Sätze, die häufig in Rostock zu hören sind. „Man muss gemahnt sein, | |
doch ich gucke an dieser Stelle nach vorn“, sagt Dieter Neßelmann, 1992 | |
CDU-Senator für Wirtschaft und Finanzen, heute Fraktionsvorsitzender. Er | |
klingt noch immer fassungslos, wenn er über die Vorfälle von damals | |
spricht. „Wir waren entsetzt“, sagt er. Viel zu spät sei eingegriffen | |
worden, die Polizei überfordert gewesen. „Ich denke, daraus hat man Lehren | |
gezogen“, sagt er, „dass, wenn sich so eine Situation zusammenbraut, man | |
sie nicht eskalieren lassen darf. Dieser Verantwortung sind sich seither | |
alle Fraktionen bewusst.“ | |
## Pazifismus funktioniert nicht | |
Die Erfahrung, was geschieht, wenn die Polizei die Bürger nicht schützen | |
kann, hat auch Johann-Georg Jaeger tief geprägt. Der grüne | |
Landtagsabgeordnete war damals im Neuen Forum aktiv und glaubte fest an den | |
gewaltfreien Widerstand. Doch das, sagt er, änderte sich im Sommer 1992. | |
„Seither kann ich nicht mehr sagen, dass ich immer und grundsätzlich für | |
Pazifismus bin“, sagt er. „Es ist absolut wichtig, dass Leute unter | |
bestimmten Umständen in ihre Schranken gewiesen werden. Denn es gibt | |
Situationen, in denen sich schlicht die Machtfrage stellt.“ | |
Sicherheitspolitische Aspekte sind eine Sache, der Umgang mit den | |
Erinnerungen eine ganz andere. Die Kritik, Rostock habe die Ausschreitungen | |
nie wirklich aufgearbeitet, sei zum Teil berechtigt, sagt Maren Haase von | |
den Linken. Sie trat, zwei Monate bevor die Krawalle ausbrachen, das Amt | |
der Geschäftsführerin ihrer Fraktion an und hält es bis heute. „Es gibt | |
viele, die Schuldkomplexe haben“, sagt sie, vielleicht fehle es deswegen an | |
Empathie. | |
Dennoch ist vieles in Rostock in Bewegung gekommen, eine breite, | |
zivilgesellschaftliche Bewegung hat sich formiert, mit einer Vielzahl von | |
Vereinen, Bündnissen und Initiativen. Und immerhin, räumt die Linke ein, | |
hat die NPD heute in Rostock vergleichsweise wenig Rückhalt. Allerdings | |
hatten die Krawalle auch Folgen, die ihr zu denken geben, etwa, dass die | |
zentrale Aufnahmestelle aus dem Sonnenblumenhaus verlegt wurde: „Weg, weg, | |
nur weg, bloß keinen Kontakt zur Bevölkerung“, sagt sie, „das Problem ist | |
einfach beseitigt worden.“ | |
26 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Gabriela M. Keller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
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