# taz.de -- Gedenken an Rostock-Lichtenhagen: „Fällt alle deutschen Eichen“ | |
> In Rostock erinnern mehrere tausende Demonstranten an den Pogrom in | |
> Lichtenhagen. Sie bringen eine Gedenktafel am Rathaus an – nicht zum | |
> ersten Mal. | |
Bild: Kamel statt Nazis in Lichtenhagen: Das Tier der Blauen Karawane ist von B… | |
ROSTOCK taz | Die Tafel ist schlicht gehalten. Schwarzer Grund mit weißer | |
Schrift. Um 11.30 Uhr bringt das Bündnis „20 Jahre nach dem Pogrom – Das | |
Problem heißt Rassismus" sie am Rathaus von Rostock an. Applaus brandet | |
auf, als die Tafel mit einem Akkuschrauber festgemacht ist. Über 1.500 | |
Demonstranten haben sich zuvor auf dem Platz direkt vor dem Rathaus | |
versammelt. Ein sehr breites Bündnis hatte zu der Kundgebung mit späterer | |
Demonstration aufgerufen. | |
20 Jahre nach den rassistischen Ausschreitungen in Lichtenhagen erinnert | |
nun an einem öffentlichen Platz in der Stadt eine Gedenktafel an die Tage | |
vom 22. bis 26. August 1992. Die Demonstranten auf dem Platz sind | |
erleichtert, als Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der Vereinigung der | |
Verfolgen des Naziregimes. erklärt, dass der parteilose Rostocker | |
Oberbürgermeister Roland Methling zugesagt habe, die Gedenktafel nicht | |
sofort zu entfernen. „In der Bürgerschaft soll eine Entscheidung gefunden | |
werden“, sagt Kerth. | |
„In Rostock und anderen deutschen Städten gingen Menschen im August 1992 | |
mit rassistischen Gewalttaten und Brandstiftungen gegen unschuldige | |
Familien, Kinder, Frauen und Männer vor“ steht unter anderen auf der Tafel | |
– ein Zitat, das 20 Jahre alt ist. Denn die Gedenktafel ist ein Replikat. | |
Schon 1992 hatte die Gruppe „Söhne und Töchter der deportierten Juden | |
Frankreichs“ um Beate Klarsfeld eine Gedenktafel angebracht. Die Tafel | |
wurde damals sofort entfernt, 43 Mitglieder der Gruppe festgenommen. | |
In einem Grußwort schildert Klarsfeld die Geschehnisse: „Natürlich waren | |
wir darauf vorbereitet, dass die Polizei eingreifen würde, aber nicht so | |
brutal, wie sie es taten“, wird vorgelesen. Vor dem Rathaus sei es zu | |
Übergriffen der Polizei gekommen. Eine unglaubliche Reaktion, so Klarsfeld, | |
wenn man daran denke, wie zurückhaltend die Polizei reagierte, als Neonazis | |
und Nachbarn mit Molotowcocktails in Lichtenhagen gegen Menschen vorgingen. | |
Doch heute hatte die Stadt für die Gedenktafel Löcher vorgebohrt. Über den | |
Platz vor dem Rathaus kreist ein Polizeihubschrauber. Polizeikräfte stehen | |
jedoch nur am Rand. „Na, ob die hängen bleibt“, fragt sich nicht bloß eine | |
Frau mit bunten Haaren. Kerth sagt: „In Rostock sind immer noch viele | |
Menschen viel mehr erschüttert, dass ihre Stadt durch den Pogrom weltweit | |
bekannt wurde". Die Erschütterung über das Leid der Opfer sei geringer. | |
Ein Mitarbeiter von Lobbi (Landesweite Opferberatung, Beistand und | |
Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern) sagt, | |
dass bis heute Opfer rassistischer Gewalt zu Tätern gemacht werden und | |
erinnert an die Ermittlungen zu der Mordserie der NSU. Ein Flüchtling aus | |
Rostock berichtet über die Einschränkungen seines Lebens durch | |
Residenzpflicht und Gutscheinregelung. „In Supermärkten werde ich immer so | |
angeschaut, als wenn ich was klauen wollte“. | |
„Rassismus tötet“, steht auf einen Transparent. „Fällt alle deutschen | |
Eichen“, auf einem anderen – eine offene Anspielung auf die | |
Gedenkveranstaltung des Bündnisses „Lichtenhagen bewegt sich“ mit | |
Bundespräsident Joachim Gauck am Sonntag. Dann soll auf dem Platz vor dem | |
Sonnenblumenhaus, in dem damals Flüchtlinge und Vertragsarbeiter lebten, | |
eine Gedenk-Eiche gepflanzt werden. | |
## 6.000 Menschen sind gekommen | |
Von der Innenstadt bewegen sich die Kundgebungsteilnehmer am Nachmittag | |
nach Lütten Klein, ein Stadtteil gleich bei Lichtenhagen. Über 6.000 | |
Personen ziehen zum Sonnenblumenhaus. Viele Demonstranten scheinen gleich | |
hierher gefahren zu sein. Sascha Voigt, Bundesvorsitzender der Jusos, | |
kritisierte vorher, dass CDU-Innenminister Lorenz Caffier „die | |
Demonstration des breiten Bündnis als gewalttätig und 'linksextremistisch' | |
zu diffamieren versuchte“. | |
Auf der Straße sagt Ulrike Seemann-Katz, Vorsitzende des Flüchtlingsrates | |
Mecklenburg-Vorpommern: „Wir erinnern heute nicht nur an 20 Jahre | |
Ausschreitungen in Lichtenhagen, sondern auch an 20 Jahre Aushöhlung des | |
Grundrechts auf Asyl“. | |
Die rechtsextreme Szene schwärmt bis heute über die Ausschreitungen und | |
Auswirkungen. Am Freitagabend nahm die Polizei zehn Rechtsextreme fest, die | |
Plakat an Litfaßsäulen und Mülleimer klebten, auf denen Opfer | |
„antideutscher Gewalt“ angemahnt werden. | |
Die Demonstration, die sich kilometerweit zieht, hält an. Am Abend ist ein | |
Konzert zum Abschluss geplant. | |
25 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rostock-Lichtenhagen | |
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