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# taz.de -- Expertenrat oder Lobbyismus: Wissenschaftler in der Grauzone
> Der Markt für wissenschaftliche Politikberatung ist lukrativ. Doch oft
> wird nicht deutlich, ob der Wissenschaftler als Berater auftritt oder als
> Lobbyist.
Bild: Wenn Beratung zu Lobbyismus wird.
BERLIN taz | Die Politik ist für die Wissenschaft kein neues Thema. Seit
Forschergenerationen untersuchen Politikwissenschaftler die Machtstrukturen
von Staaten und Parteien. Neu ist dagegen der Drang der Wissenschaft, mit
ihrer Expertise am lukrativen Markt der Politikberatung zu partizipieren.
Das Dilemma: Das Staats-Consulting ist hochgradig von interessegeleitetem
Lobbyismus durchsetzt. Leitlinien für eine unabhängige wissenschaftliche
Politikberatung sind erst im Entstehen.
„Die wissenschaftliche Politikberatung wird von Politikern, Öffentlichkeit
und Medien gleichermaßen mit übersteigerten Erwartungen konfrontiert wie
mit unverhältnismäßiger Kritik überzogen“, urteilt der Bielefelder
Soziologe Peter Weingart. Zwar gebe es durchaus die spektakulären
Beratungsfälle wie zu Klimawandel, Schweinegrippe und grüner Gentechnik,
die es mit kontroversen Positionen in die Schlagzeilen schaffen.
„Aber ein erheblicher Teil der Politikberatung durch die Wissenschaft
findet eher geräuschlos fernab der Medien und der Öffentlichkeit statt,
etwa in den Kommissionen und Beiräten der Ministerien“, ergänzt Weingart.
Als Mitglied der [1][Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften
(BBAW)] hat er 2008 [2][Leitlinien für die wissenschaftliche
Politikberatung] formuliert und veranstaltet in diesem Jahr eine
Vortragsreihe in der Akademie am Berliner Gendarmenmarkt.
## Interessenskonflikte offenlegen
Auch die akademische Schwester der BBAW, die [3][Deutsche Akademie für
Technikwissenschaften (acatech)], hat [4][die Leitlinien] übernommen.
Grundsatz 3 des Kodexes lautet: „Alle an einem Beratungsprojekt Beteiligten
werden aufgefordert, ihre Interessen und Abhängigkeiten offenzulegen, die
Zweifel an ihrer Unvoreingenommenheit wecken könnten.“
Die versprochene Transparenz scheint zu nützen. Mit ihren
Technologieratschlägen ist acatech gut im Geschäft. Akademiepräsident
Henning Kagermann leitet nebenher die [5][Nationale Plattform für
Elektromobilität]. Vom Kanzleramt erhielt acatech den Auftrag, die
[6][„Innovationsdialoge“] von Angela Merkel zu organisieren. Kostenpunkt:
702.000 Euro für den Zeitraum 2010/11.
„Ein spürbarer externer Beratungseffekt kann von solchen teuren
Showveranstaltungen nicht erwartet werden“, meint der Bund der Steuerzahler
Deutschland (BdSt) und setzte den Posten auf seine Streichliste
überflüssiger Ausgaben. Eine Prüfung des Bundesrechnungshofes förderte
zutage, dass die Bundesregierung im Jahr 2008 rund 40 Millionen für externe
Beratungsleistungen bezahlte.
## Ein wachsender Markt
Spitzenreiter waren das Finanz- und das Innenministerium mit jeweils mehr
als 10 Millionen Euro, die überwiegend an klassische Unternehmensberatungen
gingen. Insgesamt setzte die Consultingbranche nach Mitteilung des
Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU) 2011 in Deutschland 20,6
Milliarden Euro um, dies allerdings überwiegend bei Kunden aus der
Wirtschaft.
Über die Wirkungen von Politikberatung gehen die Erfahrungen auseinander.
Ortwin Renn von der Universität Stuttgart, Mitglied der Ethikkommission zur
Energiewende nach Fukushima, leitete vor einigen Jahren eine Kommission,
die die Risikogesetzgebung in Deutschland modernisieren sollte. Zwei Jahre
arbeiteten die Experten, formulierten progressive Vorschläge. „Doch die
verschwanden dann ohne Konsequenz in der Schublade der Auftraggeber“,
blickt Renn zurück.
Den Grund dafür sieht er in den unterschiedlichen Erwartungen der beiden
Seiten: Die Politikberater wollten besten Sachverstand und moderne
rationale Gesetze liefern. „Aber der Politik lag nur an der Legitimation
ihrer bisherigen Praxis.“ In allen Fällen derartiger Divergenz scheitert
Politikberatung.
## Die Grauzone meiden
Für den Journalisten Thomas Leif, einen der ausgewiesensten Kenner der
Lobbybranche, muss die Politikberatung in Deutschland, einschließlich ihrer
wissenschaftlichen Anbieter, „ein stärkeres professionelles
Selbstbewusstsein entwickeln“. Vor allem müsse sie sich abgrenzen von der
Grauzone eines unerkannten Lobbyismus, der seine Wirkungen in Parteien und
Ministerien entfaltet.
Nach Leifs Beobachtung bleiben die wissenschaftlichen Expertisen im
politischen Raum häufig unter ihren Wirkungsmöglichkeiten, weil sie nicht
die Sprache der Auftraggeber sprechen. „Was hier gebraucht wird, sind nicht
Leute, die neues Wissen anhäufen, sondern mehr noch kompetente
Kommunikationsberatung“, sagt Thomas Leif.
In seinen Ratschlägen im Rahmen der BBAW-Vortragsreihe legte der Journalist
den Wissenschaftlern nahe, sich stärker um ihre Verständlichkeit zu
kümmern, ihre „Übersetzungsfähigkeit“ zu steigern.
## Auch an die Schlagzeilen denken
Gerade die Entscheidungsträger in der Politik warteten nicht auf
800-Seiten-Studien aus der Wissenschaft, sondern Wirkung hätten auf dieser
Ebene vor allem präzise Zusammenfassungen im Zweiblattformat. Diese
Publikationsschiene wird dagegen von den Wissenschaftlern krass
vernachlässigt.
Wenn Forscher in der Politikarena Beratungserfolge erzielen wollen, müssten
sie in drei Kommunikationswelten unterwegs sein: Neben ihren angestammten
wissenschaftlichen Journalen müssten sie auch die Leitartikel der
Qualitätsmedien und die Schlagzeilen der Boulevardpresse adressieren.
„Das Spiel auf diesen Feldern ist aber in der deutschen Wissenschaft nicht
so gern gesehen“, stellte Leif fest. Es wird sich zeigen, ob die mediale
Beratung bei den wissenschaftlichen Politikberatern auf fruchtbaren Boden
fällt.
3 Sep 2012
## LINKS
[1] http://www.bbaw.de/
[2] http://www.bbaw.de/service/publikationen-bestellen/manifeste-und-leitlinien…
[3] http://www.acatech.de/
[4] http://www.acatech.de/de/ueber-uns/leitbild-und-leitlinien/leitlinien-polit…
[5] http://www.bmu.de/verkehr/elektromobilitaet/nationale_plattform_elektromobi…
[6] http://innovationsdialog.acatech.de/
## AUTOREN
Manfred Ronzheimer
## TAGS
Ortwin Renn
Lobbyismus
EU-Kommission
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