# taz.de -- Banker über die Eurokrise: „Die Eurozone ist sehr gesund“ | |
> Der Leiter der Analyseabteilung der Landesbank Bremen findet: Europa | |
> macht große Fortschritte und ist das Paradebeispiel der Stabilität. | |
Bild: Der Export im Agrarsektor brummt. | |
taz: Herr Hellmeyer, Mario Draghi hat große Erwartungen geweckt: Die EZB | |
werde alles tun, um den Euro zu retten. Was erwarten Sie von der morgigen | |
Ratssitzung der EZB? | |
Folker Hellmeyer: Sehr wahrscheinlich wird die EZB den Leitzins um 0,25 | |
Prozent auf dann 0,50 Prozent anpassen. Es werden auch weitere Maßnahmen | |
ergriffen, was Liquidität und mögliche Staatsanleihekäufe angeht. Es wäre | |
aber falsch, alle diese Erwartungen mit dem Termin des 6. Septembers zu | |
verbinden. | |
Europa spannt mit dem 700 Milliarden Euro schweren ESM einen neuen | |
Rettungsschirm auf, wir sehen Staatsschulden, Rezession und Sozialabbau in | |
Europa. Trotzdem sagen Sie, die Eurozone steht viel besser da, als sie | |
wahrgenommen wird? | |
In der Handelsbilanz der letzten 30 Monate ergeben sich für die | |
Problemländer Portugal, Griechenland, Spanien und Italien massive | |
Verbesserungen. Bis 2007 waren dort üppige Fehlbeträge notiert worden, man | |
importierte mehr, als man exportierte, und man verschuldete sich dadurch | |
gegenüber dem Ausland. Seit 2008 hat Griechenland eine Reduktion der | |
Defizite in der Handels- und Dienstleistungsbilanz von 52 Prozent erreicht, | |
Portugal 62 Prozent und Spanien seit 2007 von sage und schreibe 92 Prozent. | |
Das ist Ausdruck einer Gesundung und besseren Balance zwischen Nord- und | |
Südeuropa. | |
Sind solche Erfolge nicht allein Ergebnis abnehmender Importe? | |
Das trägt dazu bei, aber der entscheidende Punkt ist die Exportentwicklung. | |
In Griechenland ist die Wirtschaft seit 2007 um mehr als 20 Prozent | |
eingebrochen – die Exporte Griechenlands stehen jedoch wieder auf dem | |
Niveau 2007. Das sind sensationelle Werte! Auch in Spanien läuft die | |
Gesundung maßgeblich über die Exportseite. Dort verzeichnet man | |
mittlerweile die höchsten Ausfuhren in der Geschichte des Landes: 323 | |
Milliarden Euro. Für Portugal gilt dasselbe. Das ist eine strukturelle | |
Verbesserung über die Steigerung der Exporte. | |
Was wird exportiert? | |
Die Exporterfolge im Beispiel Griechenland liegen sicherlich im | |
Agrarsektor, aber auch beispielsweise bei Generika. In Spanien haben wir | |
mittlerweile eine absolut gesunde Grundstruktur der Ökonomie: So ist | |
Spanien – nach Deutschland – der Autozulieferer der Welt oder bei | |
alternativen Energien mit Deutschland technologischer Marktführer. | |
Realwirtschaftliche Erfolge sind die Grundlage, aber nicht alles. | |
Der zweite positive Aspekt ist die Reduzierung der strukturellen | |
Haushaltsdefizite. Die Eurozone hat massive Fortschritte gemacht. Was | |
bleibt, sind maßgeblich konjunkturelle Haushaltsdefizite. Beim | |
strukturellen Haushaltsdefizit muss ich zum Onkologen wegen Krebs, beim | |
konjunkturellen reicht der Hausarzt wie bei einer Grippe. Wir sind hier in | |
Europa sehr viel weiter als die vollkommen reformunfähigen USA und Japan. | |
… die auf den Finanzmärkten zurzeit besser abschneiden. | |
Was wir im Moment erleben, ist eine massive Spekulation gegen die Eurozone. | |
Der mögliche Zerfall des Euro verunsichert die Realwirtschaft. Man | |
investiert nicht. Das führt zu einem unterproportionalen Verlauf der | |
Konjunktur. Folgen sind weniger Steuern, höhere Soziallasten – dadurch | |
steigen die Defizite im Staatshaushalt. Im Unterschied zu diesem | |
konjunkturellen steht ein strukturelles Defizit, welches selbst bei | |
günstiger Konjunktur dazu führt, dass der Staat weniger einnimmt, als er | |
ausgibt. Genau dieses zentrale Problem haben wir in Europa gelöst! | |
Bitte nennen Sie Zahlen. | |
In diesem Jahr wird das strukturelle Haushaltsdefizit in der Eurozone bei | |
minus 0,2 Prozent liegen – in Großbritannien bei minus 4,8 Prozent, USA | |
minus 6,1 Prozent, Japan minus 8,6. Europa hat hier eine ganz massive | |
Gesundung hingekriegt. | |
Ihr Optimismus gründet noch auf einem dritten Punkt. | |
Ja. Die Eurozone hat sich bei der Neuverschuldung von 6,4 der | |
Wirtschaftsleistung BIP auf 3,0 bis 3,2 Prozent in diesem Jahr verbessert. | |
USA und Großbritannien machten im selben Zeitraum etwa 8 bis 12 Prozent des | |
BIP neue Schulden. Die Eurozone ist bezüglich Reformen, bezüglich der | |
Haushaltssalden und auch der strukturellen Defizite im Vergleich der großen | |
westlichen Wirtschaftsräume das Paradepferd der Stabilität! | |
Wir sind also auf einem guten Weg? | |
Eine solche Konstellation verdient Vertrauen und vor allem Solidarität | |
innerhalb der Eurozone. Ich begrüße daher die Gipfelbeschlüsse in Brüssel. | |
Sie gehen in die richtige Richtung. Sie schützen die Region, die Eurozone, | |
die am meisten für die Zukunftsfähigkeit getan hat. Sie gilt es, nicht auf | |
dem Altar der Spekulation „unserer Freunde“ in London und New York zu | |
opfern. | |
5 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Hermannus Pfeiffer | |
## TAGS | |
Spanien | |
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