# taz.de -- Verfassungsgericht zum ESM: Da war doch was | |
> Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht über den | |
> Euro-Rettungschirm ESM. Um was geht es da nochmal? | |
Bild: Schirme können so schön sein. | |
Was ist der ESM? | |
Die Abkürzung steht für „Europäischer Stabilitäts-Mechanismus“. Klingt … | |
Stoßdämpfer, doch der ESM ist in Wahrheit die Kriegskasse der Eurozone. Der | |
ESM soll klammen Euroländern wie Griechenland oder Portugal mit | |
Hilfskrediten unter die Arme greifen. Das Geld kommt von solventen | |
Euroländern wie Deutschland, Frankreich, Slowenien oder Belgien. | |
Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft, übernimmt dabei den größten | |
Anteil: Knapp 22 Milliarden Euro fließen an Kapital an den ESM, zusätzlich | |
übernimmt Deutschland die Haftung für 168 Milliarden Euro. | |
Haftung bedeutet: Wenn ein Staat seine Hilfskredite nicht zurückzahlen | |
kann, muss Deutschland stattdessen zahlen – dessen Direktzahlungen plus | |
Haftung betragen 190 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das ist die Hälfte des | |
Geldes, das der Bund jährlich insgesamt ausgibt. Insgesamt soll der ESM von | |
allen Eurostaaten zusammengenommen 80 Milliarden Euro Kapital und weitere | |
620 Milliarden Euro an Haftungszusagen erhalten. | |
Diese Summe könnte sich allerdings noch erhöhen. Denn die Euroländer | |
verpflichten sich laut ESM-Vertrag „uneingeschränkt und unwiderruflich“, | |
Geld nachzuschießen, wenn nötig. Das könnte schon bald der Fall sein, denn | |
mit derzeit fünf absehbaren Krisenländern (Griechenland, Irland, Portugal, | |
Spanien und Zypern) ist die Kriegskasse schon ziemlich leer. | |
Die Bundesregierung lehnt dies jedoch ab und betont, dass Hilfen für | |
überschuldete Länder an „strikte Konditionalität“ gebunden seien. Anders | |
gesagt: Ohne Sparauflagen gibt es kein Geld. Außerdem sollen Hilfen künftig | |
nur noch an jene Länder fließen, die den Fiskalpakt ratifiziert haben, der | |
unter anderem eine Schuldenbremse vorsieht. | |
Warum liest man oft vom „Rettungsschirm“? | |
Das Wort „Rettungsschirm“ gibt es seit der Griechenlandkrise. Es soll | |
andeuten, dass Griechenland vor der drohenden Staatspleite „gerettet“ wird, | |
indem man es vor den misstrauischen Finanzmärkten „abschirmt“ und die | |
griechischen Staatsschulden mit Hilfskrediten absichert. | |
Nur: Gerettet werden vor allem die Banken, die Forderungen an den | |
griechischen Staat haben – nicht das Volk, das unter massivem Spardiktat | |
leidet. Außerdem ist es bisher noch keinem Land gelungen, sich aus dem | |
„Rettungsschirm“ zu lösen und die Krise aus eigener Kraft zu überwinden. | |
Stattdessen hat sich der „Schirm“ eher als Falle erwiesen: für Schuldner, | |
weil sie sich nicht mehr unter der Deckung hervorwagen – und für Gläubiger | |
wie Deutschland, weil sie immer mehr Hilfen bewilligen müssen. Trotz | |
„Rettungsschirm“ stehen alle im Regen … | |
Worum geht es am Mittwoch? | |
Der ESM kann erst in Kraft treten, wenn alle Mitgliedsstaaten zugestimmt | |
haben. In Deutschland haben Regierung und Parlament schon zugestimmt. Doch | |
bevor Bundespräsident Joachim Gauck seine finale Unterschrift geben kann, | |
verkündet das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch seine Entscheidung, ob | |
der ESM gegen das Grundgesetz verstößt. Geklagt haben die Bürgerinitiative | |
„Mehr Demokratie“, die Bundestagsfraktion der Linken sowie Eurokritiker um | |
den CSU-Politiker Peter Gauweiler. | |
Die Kläger fürchten, dass nicht nur das Budgetrecht des Parlaments, sondern | |
die gesamte parlamentarische Demokratie ausgehebelt wird. Sie beklagen, | |
dass Bundestag und Bundesrat zu wenig Zeit zur Beratung des ESM hatten. | |
Außerdem habe das Parlament keine Kontrolle über eine eventuelle | |
Aufstockung des Rettungsschirms. Sollten noch weitere Souveränitätsrechte | |
nach Brüssel abgegeben werden, müsste dazu das Volk befragt werden, heißt | |
es bei „Mehr Demokratie“. Anders sei der Demokratieabbau nicht zu stoppen. | |
Die Bundesregierung sieht keinen Verstoß gegen die Verfassung oder einen | |
Demokratieverlust. Der Bundestag habe mit großer Mehrheit zugestimmt, sogar | |
die Opposition hatte mehrheitlich für den ESM gestimmt. Damit sei das | |
Vorhaben hinreichend demokratisch legitimiert. | |
Was passiert, wenn Karlsruhe sich querstellt? | |
Wenn die Richter Änderungen fordern, dann muss die Bundesregierung | |
nachbessern. Die entscheidende Frage ist dann, ob dies auch eine Änderung | |
der internationalen Verträge bedeutet – dann müsste der Vertrag neu | |
verhandelt und in jedem Staat wieder neu ratifiziert werden. Bei | |
langwierigen Vertragsänderungen auf EU-Ebene könnte die gesamte Eurozone | |
ins Wanken geraten. | |
Problematisch wäre es auch, wenn die Bundesverfassungsrichter der | |
Bundesregierung neue Fesseln in der Europapolitik anlegten. Auch das könnte | |
die europäische Währungsunion gefährden. Denn die Eurokrise weitet sich | |
wieder einmal bedrohlich aus; ohne den ESM oder eine vergleichbare | |
Kriegskasse wäre sie wohl kaum noch beherrschbar. | |
Und wenn das Gericht grünes Licht gibt? | |
Dann kann Kanzlerin Merkel ihre umstrittene Politik in Brüssel fortsetzen | |
und den ESM etwa zur Stützung spanischer Banken nutzen. Außerdem könnte sie | |
den Fiskalpakt weiter ausbauen – zum Beispiel in Richtung einer noch | |
strikteren „Wirtschaftsregierung“ für die Eurozone. Für Merkel und die ihr | |
verbundenen „Euroretter“ wäre die Entscheidung eine willkommene Atempause. | |
Allerdings auch nicht mehr, denn schon jetzt wird in Brüssel über noch | |
weiter gehende Stützungsmaßnahmen diskutiert. | |
9 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Eric Bonse | |
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