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# taz.de -- Frauenquote in Europa: 10 Anzugherren gegen Frau Reding
> Eine Frauenquote für Europa, das ist der Wunsch von EU-Justizkommissarin
> Vivian Reding. Sie stößt auf heftige Gegenwehr.
Bild: Schweden: Wer führt im Musterland der Gleichberechtigung?
BRÜSSEL taz | Im Streit um die Quote für Frauen in Aufsichtsräten hofften
viele Befürworter auf Brüssel. Genauer gesagt hofften sie, dass es die
EU-Justizkommissarin Viviane Reding schaffen würde, was in Deutschland
bisher immer wieder scheitert: eine verbindliche Quote durchzusetzen, die
dann überall in der Europäischen Union gelten würde. Damit wären auch
deutsche Unternehmen verpflichtet, obwohl sich die hiesigen Politiker nicht
einig werden.
Aber nun scheint es, als würde der Vorschlag aus Brüssel heftigen Gegenwind
bekommen, und zwar bevor er überhaupt offiziell vorgestellt worden ist.
Vertreter von zehn Staaten, darunter Großbritannien, Ungarn, Dänemark, die
Niederlande, Schweden und Deutschland, haben sich in Brüssel schon mal
zusammengesetzt, um über eine Strategie gegen eine mögliche EU-Quote zu
beraten.
Es seien Länder, die einer solchen Quote grundsätzlich „kritisch“
gegenüberstehen, hieß es aus Brüsseler Diplomatenkreisen. Eingeladen hatten
die Briten. Die Deutschen kamen zu dem Treffen, hielten sich aber nach
Angaben von Diplomaten zurück. „Wir wollen zu dem Vorschlag erst Stellung
nehmen, wenn er offiziell ist“, hieß es dazu.
Da die Mitgliedsstaaten dem Vorschlag mit qualifizierter Mehrheit zustimmen
müssen, würde der Widerstand von zehn Ländern im EU-Ministerrat reichen, um
die Quote erst einmal zu blockieren. So weit ist es zwar noch nicht. Aber
das Signal an EU-Justizkommissarin Viviane Reding ist klar: Sie muss sich
auf heftige Gegenwehr einstellen. Denn das Vorgehen der Mitgliedsstaaten
ist äußerst ungewöhnlich.
## Früher Druck auf EU-Kommission
Normalerweise mischen sie sich erst in den EU-Gesetzgebungsprozess ein,
wenn die EU-Kommission ihren Vorschlag offiziell vorgelegt hat. Diese
Abfolge sehen die EU-Verträge vor. Das ist im Falle der Quote noch nicht
geschehen. „Es ist unverschämt, dass die Regierungen schon so früh Druck
auf die EU-Kommission ausüben. Die Kommissare sind unabhängig von ihren
Ländern, und das müssen die Regierungen akzeptieren“, sagt die grüne
EU-Abgeordnete Franziska Brantner.
Reding hat bisher lediglich auf Arbeitsebene ihre Vorstellungen erläutert
und in den vergangenen Tagen sind die wichtigsten Punkte auch an die
Öffentlichkeit gelangt: Reding will demnach bis 2020 in den Aufsichtsräten
von staatlichen und börsennotierten Unternehmen eine Quote von mindestens
40 Prozent für Frauen.
Halten sich die Firmen nicht daran, drohen Strafen. Reding führt da eine
ganze Liste auf; von Bußgeldern über den Entzug von Subventionen bis hin
zum Ausschluss des betroffenen Unternehmens von öffentlichen
Ausschreibungen. Allerdings soll es den Mitgliedsstaaten überlassen
bleiben, für welche Art von Sanktionen sie sich entscheiden.
Firmen mit weniger als 250 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von weniger
als 50 Millionen Euro seien von der Regelung vorerst ausgenommen. „Der
Vorschlag ist sowieso sehr freundlich gegenüber den Mitgliedsstaaten“, sagt
Franziska Brantner. Sie geht davon aus, dass Viviane Reding sich nicht
einschüchtern lässt und den Vorschlag wie geplant in den kommenden Monaten
vorlegen wird.
## Die „zehn Herren in Anzügen“ blockieren
„Alles andere wäre peinlich. Sie würde ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Und
auch in Deutschland lässt sich die Quote langfristig nicht verhindern.“
Reding selbst hat erklärt, es könne nicht sein, dass „zehn Herren in
Anzügen“ glauben, sie könnten die Quote von vornherein blockieren.
In den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen waren 2011 nur drei
Prozent Frauen vertreten – seit fast zehn Jahren unverändert.
STOCKHOLM taz Den Namen „Flip-Flop-Ministerin“ hat sich Nyamko Sabuni
redlich verdient. Kein Mitglied des schwedischen Kabinetts musste in den
vergangenen Jahren so viel Haken schlagen wie die Gleichstellungsministerin
zur Frage einer Frauenquote.
Einerseits vertraut die in Stockholm regierende konservativ-liberale
Mehrheit prinzipiell den freien Märkten und ist gegen einen solchen
„Eingriff in das Eigentumsrecht“. Andererseits ist diese selbst aus gleich
viel Männern wie Frauen zusammengesetzte Regierung aber von der
Notwendigkeit einer Erhöhung des Frauenanteils in Führungsgremien
überzeugt. Eigentlich.
## Keine Quote im Musterland der Gleichberechtigung
Der Ausweg: Man droht ständig mit einer Quote. Und Sabuni muss Haken
schlagen. 2009 war für sie „keine Zeit mehr zu verlieren“: Ein Gesetz
musste kommen! Das kam nicht, stattdessen sollten es die Unternehmen selbst
richten. Mitte 2011 wurde erneut eine Quote angekündigt, doch heute ist
Stockholm beim Nein. Weshalb man auch eine EU-Regelung nicht will.
„Peinlich“, konstatiert eine Kolumnistin in Svenska Dagbladet. Sei Schweden
nicht einmal ein Vorbild für Gleichberechtigung gewesen? Es war die
damalige sozialdemokratische Gleichstellungsministerin Margareta Winberg,
die 2002 erstmals ein Quotengesetz angekündigt hatte. Mit der Wirkung, dass
der Frauenanteil in den Aufsichtsräten binnen drei Jahren von 12 auf
immerhin 21 Prozent nach oben schnellte.
Auf diesem Niveau ist er aber seit sieben Jahren festgefroren. Weshalb in
letzter Zeit auch wieder mehr Stimmen aus der Wirtschaft ein Gesetz nach
norwegischem Vorbild – Quote von 40 Prozent – fordern. Die rot-grüne
Opposition ist mehrheitlich für ein Quotengesetz.
## Eine Massen-SMS gegen Diskriminierung
Der jetzige Vorstoß der Kommission werde schon Wirkung auf die Wirtschaft
haben, hofft Ministerin Sabuni: „Die sollten jetzt merken, dass die Drohung
real ist. Wenn sie sich nicht anstrengen, können sie nicht wissen, was
passiert.“ Dabei hat Sabuni genug Erfahrung, wie glaubwürdig Ankündigungen
sind, denen nie Taten folgen.
So schickte sie einen mahnenden Brief in Sachen Quote an 342
Aktiengesellschaften und bat um Stellungnahme. 59 antworteten. Vorwiegend
nichtssagend. Bei 80 Prozent landete das Schreiben offenbar gleich im
Papierkorb. Vielleicht solle die Ministerin nun per Massen-SMS darum
bitten, dass Frauen nicht weiter diskriminiert werden, schlug ihr ein
Kommentator vor.
ARNHEIM taz Bereits 2009 haben die Niederlande als weltweit erstes Land
eine Frauenquote von 30 Prozent in Unternehmensvorständen und
Aufsichtsräten gesetzlich festgeschrieben. Unternehmen mit mindestens 250
Mitarbeitern sollen nach diesem Gesetz ab 2016 in ihren Führungsetagen eine
Frauenquote von 30 Prozent haben.
Allerdings setzt der niederländische Staat auf Freiwilligkeit in den
Unternehmen, denn die angestrebte Frauenquote ist nicht mit Sanktionen
verbunden, so wie EU-Kommissarin Viviane Reding dies bei börsennotierten
Unternehmen vorschlägt.
## Frauen verzichten auf Karriere
Wird die angestrebte Quote an Top-Frauen in niederländischen
Unternehmensvorständen und Aufsichtsräten nicht erreicht, müssen diese
Unternehmen in ihrem alljährlichen Geschäftsbericht lediglich Rechenschaft
darüber ablegen, aus welchem Grund sie weniger Frauen an der Spitze haben.
In niederländischen Unternehmen gibt es relativ wenig Frauen in
Spitzenfunktionen. Ein Grund hierfür ist, dass Teilzeit arbeiten in den
Niederlanden sehr beliebt ist. Rund 70 Prozent der niederländischen Frauen
haben Teilzeitarbeitsplätze. Die meisten Mütter verknüpfen die Erziehung
ihres Kindes oder ihrer Kinder mit einer Zwei- bis Dreitagewoche.
Nur wenige Frauen scheiden nach der Geburt ganz aus dem Berufsleben aus. Im
Durchschnitt hat die berufstätige niederländische Frauen eine Arbeitswoche
von 25 Stunden. Durch die die guten Möglichkeiten, Teilzeit zu arbeiten,
bleiben Niederländerinnen in der Arbeitswelt jedoch überwiegend auf den
mittleren Ebenen hängen. Langsam fängt jedoch ein Umdenken statt. Junge
Frauen wollen Karriere machen. Vonseiten der Regierung wird dieses neue
Bewusstsein gefördert.
## Freiwilligkeit statt Sanktionen
Der niederländische Arbeitgeberverband VNONCW hat sich gegen den Plan der
EU-Kommissarin Viviane Reding ausgesprochen, in Aktiengesellschaften eine
40-Prozent-Quote für Topfrauen einzuführen. Der Verband plädiert dafür, die
Unternehmen selbstständig ein Ziel formulieren und erklären zu lassen, wie
die Betriebe an mehr Frauen in Spitzenpositionen kommen wollen.
Auf Freiwilligkeit statt auf Sanktionen wird unter anderem auch aus
pragmatischen Gründen gesetzt, weil in bestimmten Sektoren, wie
beispielsweise der Technik, traditionell wenig Frauen arbeiten. Topfrauen
müssen organisch von unten nach oben nachwachsen, ist eine weit verbreitete
Auffassung, statt dies zu diktieren.
12 Sep 2012
## AUTOREN
R. Reichstein
R. Wolff
G. Schwantje
## TAGS
Viviane Reding
Frauenquote
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