# taz.de -- Angehörige von NSU-Opfern: „Die Familie ist am Ende ihrer Kraft�… | |
> Rechtsanwältin Angela Wierig vertritt die Schwester des von | |
> NSU-Terroristen ermordeten Süleyman Tasköprü. Sie weiß, wie belastend die | |
> Ermittlungen für die Angehörigen sind. | |
Bild: Akten der Ermittlungen zum NSU. | |
Am 27. Juni 2001 töteten Mitglieder der rechtsextremen Terrorgruppe | |
„Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) Süleyman Taşköprü in Hamburg… | |
drei Kopfschüssen. Süleyman war einer von zehn Menschen, die der NSU | |
ermordete. Nach dem Bekanntwerden der Morde wurden unter anderem Akten beim | |
Bundesamt für Verfassungsschutz vernichtet. Seit knapp einem Jahr ermittelt | |
der Generalbundesanwalt gegen den NSU. | |
taz: Sie vertreten die Schwester des vom NSU ermordeten Süleyman Taşköprü. | |
Verfolgt Ihre Mandantin die Ermittlungen und Aufarbeitungsversuche? | |
Angela Wierig: Aus Selbstschutz versucht sie, diese Vorfälle und Pannen | |
nicht so sehr an sich heran zu lassen, wenn ich das für sie so sagen darf. | |
In den Medien sind die Mordserie und die Ermittlungsverstrickungen aber so | |
präsent, dass es schwer fällt, den nötigen Abstand zu gewinnen. Mit | |
mehreren Kolleginnen und Kollegen vertreten wir die Familie. Nicht nur bei | |
meiner Mandantin ist das Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat schon seit | |
längerem erschüttert. | |
War das schon zu Beginn der Ermittlungen so? | |
In Hamburg stand, wie bei den Ermittlungen in den anderen Mordfällen auch, | |
die Familie und ihr Umfeld im Fokus. Mit allen Mitteln wurde versucht, das | |
Opfer mit Drogengeschäften in Verbindung zu bringen. Schon damals litt die | |
Familie massiv. Ihr Umfeld wandte sich wegen den Ermittlungen ab. Da bekam | |
der Begriff „Staatsgewalt“ eine neue Bedeutung. | |
Nach über zehn Jahren sind diese Verletzungen nicht verheilt? | |
Ja, dieses Gefühl, diese Verletzungen sind da. Der Vorgang ist für Menschen | |
mit Migrationshintergrund noch erschütternder. Die Familie hat sich als | |
Alt-Altonaer Familie gefühlt und auf einmal waren sie Ausländer, | |
Kriminelle, selbst schuld. Ich denke, wenn die Familie deutsche Wurzeln | |
gehabt hätte, wären die Ermittlungen anders geführt worden. | |
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat bei der Gedenkveranstaltung anlässlich | |
der NSU-Morde um „Verzeihung“ gebeten. | |
Die Familie ist der Einladung nach Berlin nicht gefolgt. Eine | |
Entschuldigung für das Unentschuldbare konnte sie nicht akzeptieren. Alle | |
staatlichen Stellen haben versagt, als Süleyman Taşköprüs Familie ihre | |
Unterstützung gebraucht hätte. Heute belastet die Familie das Versagen der | |
staatlichen Institutionen erneut. Sie könnte es leichter ertragen, wenn die | |
Tat alleine von kriminellen und verblendeten Menschen zu verantworten wäre. | |
Dass diese Taten durch staatliches Versagen unterstützt wurden, entsetzt. | |
Hinzu kommt der Verdacht, dass dieses staatliche Versagen vertuscht werden | |
sollte. Erschütternd. Das lässt meine Mandantin nicht zur Ruhe kommen. | |
Halfen die öffentlichen Solidaritätsbekundungen nach dem Auffliegen der NSU | |
nicht? | |
Der Familie? Ein wenig fühlte sie sich der eigenen Trauer beraubt. Sie ist | |
am Ende ihrer Kraft – zerstört, aber nicht gebrochen. | |
Warum hat die Familie dennoch Mitarbeiter des Bundesamt für | |
Verfassungsschutz angezeigt? | |
Wegen der Aktenvernichtung. In einem Verfahren können nicht einfach Akten | |
geschreddert werden. Jeder Bürger müsste sich vor Gericht verantworten. Und | |
da nach den Entschuldigungen die Behörde selbst kein Verfahren einleitete, | |
sahen wir uns gezwungen, zu handeln. | |
Ist diese Klage nicht eine enorme Belastung? | |
Keine Frage. In der Familie ist das auch sehr unterschiedlich diskutiert | |
worden. Die Eltern wollten weiteren Stress vermeiden und waren unsicher, ob | |
sie das Recht hätten, zu klagen. Der Emigrationshintergrund wirkt viel | |
vielschichtiger, als man meint. Die Geschwister waren da auch in einem | |
Zwiespalt. Doch zusammen wollen sie von ihrem Recht gebrauch machen. Meine | |
Mandantin möchte nicht bloß passiv das Verfahren verfolgen. | |
Wie hat der Generalbundesanwalt reagiert? | |
Der Generalbundesanwalt hat die Nebenkläger wohlwollend aufgenommen. Es | |
wurde für uns eine Informationsveranstaltung ausgerichtet, in der uns über | |
das Verfahren und die Organisation desselben bei der | |
Generalbundesanwaltschaft berichtet wurde. Eine bewusste Verzögerung bei | |
der Aktenweiterleitung habe ich bisher nicht wahrgenommen. | |
Hat Sie das überrascht? | |
Nein. Ich befürchte allerdings, dass dieses Verhalten allein der Sorge | |
geschuldet ist, sich nicht erneuten Vorwürfen auszusetzen. | |
Wie ist das zu verstehen? Rechnen Sie nicht mit einer Aufklärung? | |
Eine wirkliche Aufklärung aller Hintergründe ist doch eher | |
unwahrscheinlich. Dieses Verfahren wird auch deswegen für meine Mandantin | |
sehr schwer. Warum, wie und weswegen ihr Bruder Opfer des NSU wurde, wird | |
höchstwahrscheinlich weiter im Unklaren bleiben. | |
Erwarten Sie, dass die NSU-Terroristin Beate Zschäpe aussagt? | |
Das hängt von der Verteidigerstrategie ab. Ich erwarte von ihr aber kein | |
vermeintliches politisches Bekenntnis wie es Anders Behring Breivik | |
abgegeben hatte. Ich könnte mir aber vorstellen, dass sie sich nach | |
Rücksprache mit ihren Verteidigern dahingehend einlässt, sich als | |
irregeleitetes Hascherl zu präsentieren, das den Männern tragisch | |
verfallen, ja hörig, war. In den Medien gab es schon solche Berichte, die | |
Frau Zschäpe juristisch und politisch entlasten. | |
Wird Frau Taşköprü beim Prozess Frau Zschäpe gegenüber sitzen? | |
Meine Mandantin überlegt, ob sie an den Verhandlungen teilnimmt. Wir | |
diskutieren das Für und Wider. Sie wäre nahe dran, um Fragen zu stellen und | |
auf Antworten zu reagieren, aber vielleicht auch zu nahe, wenn juristische | |
Fragen oder Handlungsabläufe von Nebensächlichkeiten kleinteilig erörtert | |
werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass so ein Verfahren für die | |
Betroffenen kein Segen sein muss. | |
Weil sie alles erneut erleben müssen? | |
Auch wegen den möglichen Erwartungen. Ein Strafprozess ist nicht nach den | |
Hoffnungen der Betroffenen ausgerichtet – ihren Hoffnungen auf | |
erleichternde Gerechtigkeit und abschließende Antworten. | |
12 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Andreas Speit | |
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