Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berichte von V-Leuten: Mit dem Nazi beim Kartoffelkauf
> Konzerte, Reisen, Einkäufe: Fast jede Bewegung in Sachsens rechter Szene
> wurde aktenkundig. Geschadet hat ihr das nicht.
Bild: Wohlfühlen in Sachsen: Nazi bei einer Demo gegen die Wehrmachtsausstellu…
Dresden, 20. April 2000. Zwei Mitarbeiter des Landesamtes für
Verfassungsschutz beginnen eine Observation. Für den Rest des Tages
verfolgen sie einen dreißigjährigen Nazi auf Schritt und Tritt, in einem
Überwachungsprotokoll halten die Beamten die Bewegungen der Zielperson (ZP)
fest. 11.32 Uhr.
„Die ZP betritt das Arbeitsamt auf der Budapester Straße. Um 12.30 Uhr
verlässt die ZP das Arbeitsamt und fährt mit dem ZPkw auf direktem Weg zur
SB-Halle“. 13.00 Uhr: Der überwachte Mann verlässt „mit zwei Kästen Spru…
die SB-Halle und fährt im Anschluss daran zum Aldi-Markt.“ 14.07 Uhr:
„Anmerkung: Die ZP hat im Aldi-Markt u. a. einen Sack Kartoffeln und ein
Bund Möhren gekauft.“ 21.00 Uhr: Ende der Observation.
Geheime Akten des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz aus den
späten 1990er und frühen 2000er Jahren geben nun Einblick in die meist
wenig spektakuläre Arbeit des Geheimdienstes in dem Freistaat. Zugänglich
gemacht wurden sie im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des NSU-Terrors.
Hunderte von V-Mann-Berichten, Überwachungsprotokollen und internen
Vermerken zeigen den Zugang der Verfassungsschützer zur rechtsradikalen
Szene auf – und die erstaunlich freundliche Haltung von Polizei und
Bevölkerung gegenüber den Nazis.
## Die Behörden waren ganz nah dran
Viele der Dokumente stammen aus dem Frühjahr 2000. Da waren die
Sicherheitsbehörden bereits seit zwei Jahren auf der Suche nach dem
späteren „NSU“, nach Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die
rechte Szene in der Region war zu jener Zeit schwer aktiv und die
Sicherheitsbehörden waren ganz nah an ihr dran. Geburtstagsfeste, Konzerte,
Fußballturniere: kaum ein Ereignis, das nicht aktenkundig geworden wäre.
Die Verfassungsschützer beobachten ein äußerst mobiles, international
vernetztes Milieu. Beinahe wöchentlich sind die Rechtsradikalen unterwegs,
meist zu Nazikonzerten. Dort tauschen sie sich mit anderen Rechten aus,
tanzen zu rechter Hassmusik und saufen.
Ein Bericht von einem Konzert im Elsass, im Januar 2000: „Es wurde den
gesamten Abend über wie üblich üppig Alkohol konsumiert und kräftig gepogt.
Die Stimmung kochte insbesondere über bei dem Judenlied ’six million more‘
der US-amerikanischen Hammerskin-Band Bully Boys. In dem Lied wird
sinngemäß gefordert, weitere sechs Millionen Juden zu eliminieren.“ Sobald
genug Alkohol geflossen ist, skandieren die Nazis gern „Heil Hitler“.
V-Leute, also Nazis, die für Informationen bezahlt werden, sind auf solchen
Veranstaltungen die Quelle für den Verfassungsschutz. Die V-Männer
berichten detailliert über Gespräche, Geschäfte, Treffen und Gruppenreisen
in der gesamten Bundesrepublik, in die USA, die Schweiz, nach Polen,
Frankreich, Tschechien und in andere Länder. Besucherlisten von Konzerten
zeigen, dass auch Nazis aus dem Ausland hoch mobil sind. Ob aus Australien,
Schweden, Kanada, Ungarn, Griechenland, Belgien oder Italien: von überall
her kommen die Rechten zusammen, feiern und planen.
## Absurde föderale Struktur
Angesichts dieser Internationalität wirkt die föderale Struktur der
deutschen Behördenlandschaft absurd. Denn die Kompetenzen der
Verfassungsschützer enden an der Grenze zum nächsten Bundesland. Während
der Verfolgung eines Nazis im April 2000 etwa halten die Geheimdienstler im
Überwachungsprotokoll fest, die Zielperson sei „sehr vorsichtig
(konspirativ) und höchstsensibel“. Dennoch brechen sie die Observation ab:
„An der Landesgrenze zu Bayern wird um 16.35 Uhr die Nachfahrt laut
Absprache Fallführer abgebrochen.“
Die sächsischen Geheimakten zeigen auch, wie unterschiedlich die
Länderpolizeien mit der Naziszene umgehen. Mancherorts führt man
Personenkontrollen durch oder löst die Feiern auf. Anderswo begnügt man
sich mit der Präsenz vor den Veranstaltungsgebäuden. Und manchmal rücken
die Sicherheitskräfte gar nicht erst an.
Letzteres gilt insbesondere für Sachsen. Dort war die Lage für Nazis Ende
der neunziger Jahre offenbar spürbar angenehmer als beispielsweise in
Brandenburg. Sächsische V-Männer berichten von heftigen Beschwerden über
die angeblich zu rigide vorgehende Polizei im benachbarten Bundesland. Die
Nazis wissen sich jedoch zu helfen – sie weichen einfach aus.
Ein mit „VS Vertraulich“ gestempelter Geheimdienstbericht hält
beispielsweise fest, wie rechte Konzertorganisatoren auf Polizeieinsätze in
Brandenburg im Jahr 1999 reagierten: „Da in der Vergangenheit derartige
Veranstaltungen von der brandenburgischen Polizei regelmäßig aufgelöst
wurden, verlagerte man das Skinheadkonzert sehr kurzfristig nach Sachsen.“
## „Kehrt doch erst mal in euren eigenen Reihen“
Dort wurde dann nicht nur freimütig gefeiert. Mancher Nazi kam sogar ins
Plaudern mit Polizeibeamten. Ein Nazi berichtet, „dass es ihm am 20.
November 1999 am Veranstaltungsort gelungen sei, einen Polizisten der Soko
Rex in ein Gespräch zu verwickeln“.
Diese Sonderkommission hatte das sächsische LKA 1991 zur Bekämpfung des
Rechtsextremismus eingerichtet. „Er habe diesen Polizisten aufgefordert,
die Skinheads doch endlich einmal in Ruhe zu lassen. Der Polizist habe ihm
darauf geantwortet: ’Kehrt doch erst mal in euren eigenen Reihen. So gut
wie der Verfassungsschutz über euch informiert ist, sitzt bei euch ein
Spitzel. Dem könnt ihr das verdanken.‘ “
Auch in anderen Bundesländern geht die Staatsmacht erstaunlich freundlich
mit den Nazis um. So berichtet der Verfassungsschutz im September 1999 von
einem Konzert bei Dessau in Sachsen-Anhalt: „Bereits vor dem Konzert führte
die Polizei Fahrzeugkontrollen durch. Sie beschränkte sich jedoch auf die
Kontrolle der Führerscheine und Fahrzeugpapiere. Die Polizei war
außergewöhnlich freundlich zu den Konzertteilnehmern. Zum Abschluss der
Kontrollen wünschte die Polizei den Skinheads noch einen ’schönen Abend und
viel Spaß‘. Polizeipräsenz während des Konzerts wurde weder vor noch im
Veranstaltungssaal festgestellt.“
Die Wirte hatten ohnehin ihre Freude an den Nazis. So berichtet ein
Mitglied des rechtsradikalen und inzwischen verbotenen „Blood &
Honour“-Netzwerks im Jahr 1999 nach einem Konzert bei Chemnitz, der
Gastwirt am Veranstaltungsort habe signalisiert „dass er jederzeit wieder
bereit wäre, sein Lokal für ein derartiges Skinheadkonzert zur Verfügung zu
stellen“. Die 20.000 DM Umsatz seien für ihn wie ein „warmer Regen“
gewesen. Nur „die zu Bruch gegangenen Gläser und die gestohlenen Salz- und
Pfefferstreuer wolle er ersetzt haben“.
## Hitlergruß und Horst-Wessel-Lied
Mancher Gastwirt sorgte persönlich dafür, dass die Veranstaltung auch ja
stattfindet. So steht in einem V-Mann-Bericht über ein Nazikonzert in
Sachsen im Jahr 1998: „Quelle teilte mit, dass der Wirt der Gaststätte die
anreisenden Skinheads im Vorfeld über die Anwesenheit der Polizei
informierte.“
Auch jenseits der Geschäftstüchtigkeit Einzelner hält der sächsische
Verfassungsschutz en passant erstaunliche Szenen fest. Im Januar 1998
herrscht im bayerischen Auerbach in der Oberpfalz eine bemerkenswerte
Willkommensstimmung, als 300 Nazis zum Konzert einfallen: „Erstaunlich sei
gewesen, dass neben der in einem getrennten Saal stattfindenden
Konzertveranstaltung auch der reguläre Gaststättenbetrieb aufrechterhalten
wurde. Das dort befindliche Publikum hätte keine Antipathien gegenüber den
Skinheads geäußert. Im Gegenteil, man sei sogar stellenweise sehr nett ins
Gespräch gekommen.“
Auch bei Veranstaltungen in Sachsen selbst ist von Widerstand gegen die
aktive Naziszene kaum die Rede. Eher scheinen die Rechtsradikalen normaler
Bestandteil der Alltagskultur gewesen zu sein – und bei manchem Bürger gar
Begeisterung ausgelöst zu haben.
Während eines Konzertes in der Nähe von Dresden im März 1999 „betrat ein
älterer Dorfbewohner die Bühne. Er ergriff das Mikrofon und teilte den
Anwesenden mit, dass er im Jahre 1932 geboren sei und dass es in seiner
Jugendzeit vernünftigere Musik gegeben hätte. Dann riß er den Arm zum
Hitlergruß hoch und stimmte das Horst-Wessel-Lied an. Die Konzertteilnehmer
waren davon begeistert und sangen den Text dieses Liedes lauthals mit.“
24 Sep 2012
## AUTOREN
Hanno Burmester
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
V-Mann bei den Rockern: Vor Jahren Hinweise auf NSU
Ein Kronzeuge gegen die Hells Angels soll als V-Mann tätig gewesen sein. In
dieser Funktion gab er auch früh Hinweise auf das NSU-Trio. Die Behörden
verfolgten diese nicht.
Frühe Begegnung mit NSU?: Ein traumatischer Silvesterabend
1996 wurden zwei Brüder auf dem Bahnhof in Erfurt beschossen. Jetzt fragen
sie sich und das BKA, ob da das NSU-Trio aktiv war.
Kommentar Verfassungsschutz: Schlecht gewartete Alarmanlage
V-Männer sind für den Verfassungsschutz, so wie er gedacht ist,
unerlässlich. Aber schon die Bezeichnung ist falsch.
V-Mann-Verdacht gegen Ex-NPD-Kader: Hinweis auf Wohlleben
Auch der mutmaßliche NSU-Helfer Ralf Wohlleben könnte ein V-Mann gewesen
sein. Einen entsprechenden Hinweis soll das Innenministerium derzeit
prüfen.
Berliner NSU-Hinweise: Henkel und Koppers verteidigen sich
Berlins Innensenator Henkel und Polizeipräsidentin Koppers wird Vertuschung
von NSU-Hinweisen eines V-Manns vorgeworfen. Im Innenausschuss weisen sie
dies zurück.
Schlagloch Rassismus: Eine deutsche Nazigroteske
Haben wir schon wieder 1992? Bei den grotesken Meldungen um den NSU wird
klar: Deutschland braucht eine zweite, viel gründlichere Entnazifizierung.
Untersuchungsausschuss zur NSU: Noch mehr vergessene Akten
Das Land Berlin soll wichtige NSU-Akten zurückgehalten haben. Wegen anderer
vergessener Akten tritt in Sachsen-Anhalt der Chef des
Landesverfassungsschutzes zurück.
Angehörige von NSU-Opfern: „Die Familie ist am Ende ihrer Kraft“
Rechtsanwältin Angela Wierig vertritt die Schwester des von NSU-Terroristen
ermordeten Süleyman Tasköprü. Sie weiß, wie belastend die Ermittlungen für
die Angehörigen sind.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.