Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Frühe Begegnung mit NSU?: Ein traumatischer Silvesterabend
> 1996 wurden zwei Brüder auf dem Bahnhof in Erfurt beschossen. Jetzt
> fragen sie sich und das BKA, ob da das NSU-Trio aktiv war.
Bild: Silvester 1996 war den Gebrüdern Reding nicht zum Feiern zumute: Feuerwe…
HAMBURG taz | Es ist viel Zeit vergangen seither, aber die Pistolenschüsse
im Bahnhof hören sie immer noch. Auch das Geräusch, wie das Metall der
Patronen auf dem Gleis wegplatzt. Benjamin und Dominik Reding fragen sich
heute, ob sie vor 16 Jahren nicht auch Opfer des späteren Terrortrios NSU
geworden sind. „Es war traumatisch“ sagt Dominik Reding.
Im Erfurter Bahnhof, erzählen die Brüder und Filmemacher, sind sie
vermutlich auf Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe getroffen.
Ihrer Erinnerung nach hat Böhnhardt auf sie geschossen. „Durch die
Berichterstattung über die sogenannten NSU-Morde konnten wir die drei
Personen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit identifizieren“, sagt Dominik
Reding.
In jenen Jahren waren die Brüder als Punks mehrfach Opfer von
Neonaziskinheads geworden. Doch eine Schießerei, das war die absolute
Ausnahme, sagt Benjamin Reding. Auch der Grund, warum sich die Macher des
preisgekrönten Kinofilms „Oi!Warning – Leben auf eigene Gefahr“ noch so …
erinnern können.
## Treffen in der Bahnhofskneipe
Am Abend des 31. Dezember 1996 wollte sie zu einer Silvesterparty nach
Ilmenau. In Erfurt kamen sie um 20.30 Uhr in dem damaligen Sackbahnhof an.
20 Minuten mussten sie auf einen Anschlusszug warten. Das es eisig kalt
war, gingen sie in die Bahnhofsgaststätte. In der Raummitte, so erinnern
sich die Brüder, saßen an einem Tisch zwei Männer und eine Frau. Die Männer
hatten sehr kurze Haare, waren schlank. Die Frau hatte leicht gewellte
braune Haare und war etwas untersetzt. Sie alle trugen Bomberjacken.
Der Ältere, vermutlich Mundlos, sei auf sie zugegangen, habe Dominik
Redings Jacke mit Punk-Aufnähern, darunter ein Anarchie-A, betrachtet,
angefasst und ruhig gefragt, was das für ein Symbol sei. „Ich antwortete
ausweichend, wir ahnten, dass es Ärger geben könnte“, sagt Dominik Reding.
Die Brüder verließen sofort das Lokal. Sehr zügig folgten ihnen aber
Mundlos und Böhnhardt, zuletzt auch Beate Zschäpe.
Die ersten Schüsse fielen auf der Mitte des Weges zum Regionalzug. Als sie
dort ankamen, riefen sie einem Schaffner zu, sofort die Türen zu
verriegeln. In einem Abteil hatte sich eine junge Mutter mit zwei kleinen
Kindern schon auf den Boden geworfen. Als der Zug losfuhr, so Benjamin
Reding, habe Böhnhardt vor dem Waggonfenster mit einer Pistole
„herumgefuchtelt und rumgeschrien“.
## Verunglimpfung einer Stadt
Eine Anzeige stellten die Filmemacher damals nicht – aus Angst. „Dann hätte
das Trio unsere Adresse in der Akte lesen können“, sagt Dominik Reding. Als
die Filmemacher 2000 in Erfurt ihre Skinhead-kritischen Film „Oi!Warning“
zeigten, erzählten sie aber der Presse von dem Vorfall. Der damalige
Polizeipräsident beschwerte sich daraufhin per Telefonat über die
„Verunglimpfung“ seiner Stadt.
Eine Akte zu dem Vorfall gibt es bei der Bundespolizei nicht. „Nein, das
liegt zu weit zurück, eine fristgerechte Vernichtung dürfte da schon lange
geschehen sein“, sagt Sascha Reichelt, Pressesprecher der zuständigen
Direktion. Nach dem zufälligen Auffliegen des Trios im November 2011 waren
die Redings bereits „sehr erschrocken, wer damals auf uns geschossen hat“.
Erst später melden sie sich jedoch bei der Polizei. „Angesichts der zehn
Morde fanden wir die Schüsse auf uns nicht so bedeutend.“ Je mehr in der
Presse aber betont wurde, dass vom Vorleben des Trios vor dessen
Untertauchen 1998 wenig bekannt sei, entschieden sie sich, das
Bundeskriminalamt (BKA) anzurufen.
Sollte der Vorfall sich bestätigen, würde sich erneut eine Fehleinschätzung
offenbaren: Weit vor dem Bombenbau und Morden waren die drei demnach
bewaffnet. „Das BKA nahm unseren Anruf ernst“, sagt Dominik Reding. Weitere
Telefonate folgten. Über den Stand der Ermittlungen will eine
BKA-Sprecherin zur taz nichts sagen. Nur so viel: „Der Hinweis wurde
aufgenommen und wird wie alle Hinweise bearbeitet.“
Die beiden Brüder wundert es etwas, warum das BKA bis jetzt nicht den
Aufnäher haben wollte, den Mundlos angefasst hatte. Fingerabdrücke oder
DNA-Spuren könnte man auch nach all den Jahren wohl noch sicherstellen.
„Wir wüssten dann auch selbst endlich, ob wir richtig liegen“, sagt Dominik
Reding.
2 Oct 2012
## AUTOREN
Andreas Speit
## TAGS
Schwerpunkt Rechter Terror
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
Schwerpunkt Rechter Terror
## ARTIKEL ZUM THEMA
Weiteres Verfahren gegen Zschäpe: Schüsse in Erfurt
Die Staatsanwaltschaft prüft weitere Vorwürfe gegen die NSU-Terroristin:
Schoss das NSU-Trio schon 1996 in Erfurt auf zwei Punks?
Umfeld des Neonazitrios: Die Hundertschaft des NSU
Laut einer geheimen Liste rechnen die Sicherheitsbehörden inzwischen genau
100 Menschen zum Umfeld des Zwickauer Terrortrios – darunter fünf
langjährige V-Leute.
NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern: „Unterstützernetz in Bayern“
Auch im Freistaat nimmt ein Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden seine
Arbeit auf. Dessen Vorsitzender, Franz Schindler, erklärt, wozu es diesen
braucht.
V-Mann bei den Rockern: Vor Jahren Hinweise auf NSU
Ein Kronzeuge gegen die Hells Angels soll als V-Mann tätig gewesen sein. In
dieser Funktion gab er auch früh Hinweise auf das NSU-Trio. Die Behörden
verfolgten diese nicht.
Berichte von V-Leuten: Mit dem Nazi beim Kartoffelkauf
Konzerte, Reisen, Einkäufe: Fast jede Bewegung in Sachsens rechter Szene
wurde aktenkundig. Geschadet hat ihr das nicht.
Von der NSU getötete Polizistin: Der rätselhafteste Mord
Warum sie? Der NSU-Ausschuss stellt viele Fragen, findet aber keine
Erklärung für den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter.
Angehörige von NSU-Opfern: „Die Familie ist am Ende ihrer Kraft“
Rechtsanwältin Angela Wierig vertritt die Schwester des von NSU-Terroristen
ermordeten Süleyman Tasköprü. Sie weiß, wie belastend die Ermittlungen für
die Angehörigen sind.
NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben: Strippenzieher im Hintergrund
Der ehemalige NPD-Vizechef Ralf Wohlleben aus Thüringen sitzt als einziger
NSU-Helfer noch in U-Haft. Von der Szene wird er gefeiert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.