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# taz.de -- Buch von Heinz Buschkowsky: Multikulti mit dem Kleinbürger
> Heinz Buschkowsky, Bürgermeister in Berlin-Neukölln, hat ein Buch über
> Integration geschrieben. Es steckt voller Widersprüche. Was will dieser
> Mann?
Bild: Kein Sarrazin: Heinz Buschkowsky ist in Berlin-Neukölln seit 2001 Bezirk…
Das ganz am Anfang: Wer das Buch von Heinz Buschkowsky nach Belegen dafür
durchsuchen will, dass der Neuköllner Bürgermeister ein Rassist ist, wird
fündig. „Mit den Afrikanern ist noch mehr Brutalität, Drogen- und
Alkoholmissbrauch eingezogen. Türkische und arabische Männer sitzen in den
Cafés. Afrikanische Männer sitzen zuhause, sehen fern, spielen,
telefonieren und trinken. Afrikaner lassen sich noch schwerer in die Karten
schauen als die anderen Ethnien.“
Absätze wie dieser erfüllen den Tatbestand der verallgemeinernden Abwertung
aufgrund ethnischer Herkunft zweifellos. Und es macht solche Aussagen und
ihren Verfasser nicht besser, wenn er an anderen Stellen seines Buches
zeigt, dass er selbst genau weiß, dass sie falsch und realitätsfern sind.
Man könnte das Buch also auf den leider allzu schnell wachsenden Stapel von
Pamphleten legen, die Einwanderer pauschal als minderwertig und deshalb als
Bedrohung beschreiben.
Doch gesteht man dem Autor das Recht zu, auch mit den ganz anders
klingenden Stellen seines Buches beim Wort genommen zu werden – etwa da, wo
er sich detailliert und seitenweise von Thilo Sarrazin distanziert, dem er
Verachtung für Einwanderer vorwirft – empfiehlt es sich, ihn dennoch zu
lesen. Denn genau diese Widersprüche machen den Neuköllner Bürgermeister
und seinen Bezirk für die Debatte über die Einwanderungsgesellschaft
tatsächlich interessant.
## Grusel für Fernsehtalkshows
Der Sozialdemokrat Heinz Buschkowsky, 1948 in Neukölln geboren, dort erst
zum Bezirksverordneten, später zum Stadtrat, zum stellvertretenden und seit
2001 zum Bürgermeister gewählt, ist ein Populist: „Der polternde
Lautsprecher aus Neukölln, der alles schwarz malte und mies machte“ – so
nennt sich Buschkowsky selbst in seinem Buch.
Ein ziemlich erfolgreicher Populist: Mit der Schilderung seines
Einwandererbezirks als für die Folgen gescheiterter Integrationspolitik
bundesweit modellhafter sozialer Brennpunkt gruselte der Bürgermeister das
Publikum unzähliger Fernseh-Talkshows, mit Parolen wie „Multikulti ist
gescheitert“ erregte er europaweit Aufmerksamkeit.
Dass die SPD in Neukölln bei der letzten Abgeordnetenhauswahl 2011 42
Prozent der Stimmen bekam – acht Prozent mehr als 2006 – ist nicht zuletzt
auf diese Auftritte zurückzuführen. Kritiker werfen ihm vor, dass er nur
mit solchem Alarmismus erreicht habe, dass Neukölln mittlerweile mehr aus
Geldtöpfen der sozialen Stadtentwicklung bezuschusste Gebiete hat als jeder
andere Berliner Bezirk, dass auf den Ruinen der einstigen
Skandalhauptschule heute das international beachtete Bildungsprojekt Campus
Rütli wachsen kann.
Aber Buschkowskys Erfolg beruht auf mehr als dem polternden Lautsprecher.
Der ist ebenso nur eine Facette – ebenso wie der Rassist Buschkowsky in
seinem Buch. Genau wie dort zeigt sich auch in der praktischen Politik des
Bezirksbürgermeisters dessen merkwürdige Widersprüchlichkeit.
## Spott für integrationspolitische Arbeitsgemeinschaften
Beispiel 1: Öffentlich verspottet Buschkowsky integrationspolitische
Arbeitsgemeinschaften als ebenso verzweifelten wie sinnlosen Versuch,
Probleme klein- und möglichst wegzudiskutieren. Doch es gibt sie auch in
seinem Bezirk: Ämterübergreifend arbeitet die Neuköllner AG Roma daran,
Probleme mit und von diesen Neueinwanderern zu lösen – wie etwa die
Aufnahme von Kindern und Jugendlichen ohne Deutschkenntnisse in die
Schulen.
Ihre pragmatische Prämisse: Diese Neu-Neuköllner wollen und dürfen bleiben
– also hat die Verwaltung die Pflicht, das konfliktfrei zu organisieren.
Eine Haltung, die bundes- und europaweit leider längst noch nicht
selbstverständlich ist, und der in einem Bundesland, das noch vor drei
Jahren Roma 250 Euro „Rückkehrprämie“ anbot, auch Buschkowsky-Kritiker
Respekt zollen.
Beispiel 2: Buschkowsky beklagt lautstark, dass viele Einwanderer zu wenig
Deutsch könnten. In seinem Rathaus bietet er ihren Selbstorganisationen
Räume für Beratungen in den Herkunftssprachen an. Es ist nicht schwer, von
Neuköllner MigrantInnen offen, von OppositionspolitikerInnen lieber hinter
vorgehaltener Hand zu hören, dass Buschkowsky „ja eigentlich kein
schlechter Bezirksbürgermeister“ sei.
Was will der Mann also eigentlich wirklich? Worum geht es ihm? Anders als
sein Parteigenosse Sarrazin verteidigt Buschkowsky kein aufgrund
genetischer Höherwertigkeit überlegenes Deutschtum gegen minderwertige
Einwandererkulturen. „Entscheidend“, schreibt er in seinem Buch, „ist für
uns die Lebenswirklichkeit und nicht die historische Abstammung.“
## „Chance auf einen eigenen Lebensentwurf“
Alle, auch die Einwanderer und ihre Nachkommen, sollen in Buschkowskys Welt
„die Chance auf einen eigenen Lebensentwurf und ein selbstbestimmtes Leben“
bekommen. Anpassung an geltende Regeln ist für ihn dabei Voraussetzung. Wo
er allerdings versucht, diese Regeln als allgemeingültige Grundsätze zu
formulieren, wird der Bezirkspolitiker recht ungenau: Um die Einhaltung der
Gesetze geht es ihm natürlich, des weiteren um „unser Wertesystem“ als
„Voraussetzung zum Überleben unserer Gesellschaft nach heutigen Maßstäben�…
Bleibt der Bürgermeister dagegen in seinem Bezirk, wird deutlicher, was
beziehungsweise wen er verteidigt: Wenn etwa über Parken in zweiter Reihe
oder Verstöße gegen das Rauchverbot auf U-Bahnhöfen nicht mehr gemeckert
werden dürfe, ohne dass der (deutschstämmige) Meckerer Gefahr laufe, vom
(nicht deutschstämmigen) Regelübertreter als „Scheißdeutscher“ oder
„Rassist“ beschimpft zu werden, wenn „Ur-Berliner“ im Neuköllner Norden
keine Currywurst mehr kaufen können, weil „arabische Schriftzeichen an den
Geschäften dominieren“, dann führe das zu „Überfremdungsgefühlen“, sc…
er: „Das ’Hier-bin-ich-zu-Hause‘-Gefühl schwindet.“
Auch das klingt nicht schön, ist einseitig und zugespitzt. (Buschkowsky
weiß das, denn an anderer Stelle lobt er die Geschäftsgründungsqualitäten
„seiner“ Einwanderer.) Doch der „Ur-Berliner“ nimmt bewusst die einseit…
Perspektive ein: Er wolle „eine Lanze für die ganz normalen Menschen
brechen“, schreibt er. Es ist der Kleinbürger, den er verteidigt – und
selbst repräsentiert.
Es ist nicht einfach, mit Kleinbürgern zusammenzuleben. Gerade wer aus
anderen Gegenden Deutschlands nach Berlin kommt, ist nicht selten genau vor
diesen und ihren Werten geflüchtet und feiert hier die Vielfalt und die
Freiheiten der großen Stadt – wenn auch oft nur so lange, bis die eigenen
Kinder kommen und man sich vor dieser Freiheit und Vielfalt doch lieber an
den kleinbürgerlichen Stadtrand zurückzieht. Auch eine Widersprüchlichkeit
– diesmal eine, auf die Buschkowsky gerne selbst hinweist: Etwas
Kleinbürger, meint er, steckt eben in jedem. Seine eigenen Widersprüche und
Rassismen entschuldigt das aber nicht.
## Sätze, die bedenkenswert sind
Doch Buschkowsky, dessen Buch auch sein politisches Vermächtnis ist –
nächstes Jahr erreicht der Bürgermeister das Rentenalter –, hinterlässt
darin auch Sätze, die bedenkenswert sind. Wenn man sie von ihrer mit dem
Verfasser hoffentlich in Pension gehenden, weil überkommenen
Segregations-Vorstellung löst. Der im „Multikulti-Mainstream“ populäre
Begriff „kultursensibel“ müsse „auch auf die eigene Bevölkerung anwendb…
sein“, fordert Buschkowsky.
Ein dummer Satz, da wo er Einwanderer als nicht zur „eigenen Bevölkerung“
gehörend ausgrenzt. Kein dummer da, wo er fordert, dass für alle, die sich
an der aktuellen Diskussion darüber beteiligen wollen, in welcher
Gesellschaft wir miteinander leben möchten, die gleichen Regeln und
Rücksichtnahmen zu gelten haben.
Buschkowsky fordert für sich und die von ihm vertretenen Kleinbürger einen
Platz an diesem Debattentisch. Der steht ihnen in der multikulturellen,
demokratischen Gesellschaft auch zu – wenn sie sich an die dort geltenden
Grundwerte halten. Zu denen zählt auch, dass Rassismus verboten ist.
21 Sep 2012
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Neukölln
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