# taz.de -- Debatte Buschkowsky: Verwirrt in Neukölln | |
> Die große Heinz-Buschkowsky-Show läuft wieder. Dabei hat der | |
> Bezirksbürgermeister nicht mal eine klare Vorstellung von Integration. | |
Bild: Heinz Buschkowsky vor der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln. | |
Heinz Buschkowsky ist in diesen Tagen wieder in seiner Paraderolle | |
unterwegs, als der harte, aber knuffige Hund der Integrationsdebatte. Für | |
sein Buch „Neukölln ist überall“ hat ihm die Bild schon letzte Woche den | |
roten Teppich ausgerollt; heute folgt der Talkshow-Auftritt bei Sandra | |
Maischberger. | |
Eine kritische Auseinandersetzung muss er nicht befürchten. Publikum und | |
Medien fressen dem Neuköllner Bezirksbürgermeister die Geschichten von | |
kriminellen und integrationsunwilligen Migranten aus der Hand. | |
Dabei gibt es mindestens drei Fragen, die der Diskussion einen | |
interessanten Verlauf geben könnten: Warum ist gerade Neukölln zum Synonym | |
für gescheiterte Integration geworden – und nicht das benachbarte | |
Kreuzberg? Hängt dies vielleicht mit der Politik von SPD und CDU zusammen, | |
die sich im Bezirksrathaus die Klinke in die Hand gaben? Und ist das Buch | |
nicht streckenweise einfach wirr? | |
## Vorgeschobene Debatten | |
Buschkowsky gelingt es nämlich nicht, einen genauen Begriff von Integration | |
zu entwickeln. Mal geht es – richtigerweise – um die Anerkennung der | |
Verfassung und der Gesetze. Und dann schreibt er gegen „arabische | |
Schriftzeichen“ auf Geschäften und das spärliche Currywurst- und | |
Bulettenangebot in der Sonnenallee. | |
Genau diese Wirrnis macht die deutsche Integrationsdebatte so | |
unerquicklich. Bei Migranten muss sie den Eindruck auslösen, die Debatten | |
über Kriminalität oder Zwangsheiraten seien vorgeschoben – im Grunde wolle | |
man sie gar nicht. Jedenfalls nicht, solange sie noch irgendwie durch ihr | |
Anderssein kenntlich sind. | |
Auch Neuköllns praktische Integrationspolitik hat einiges dazu getan, | |
diesen Eindruck zu hinterlassen. Zumindest gilt dies für die Zeit von 1999 | |
bis 2001, in denen ich als Lokaljournalist dort unterwegs war. Rassismus | |
aus der Mitte der Gesellschaft hatte ich zuvor vornehmlich in | |
Ostdeutschland verortet – offensichtlich ein Vorurteil. | |
In der Gropiusstadt etwa gab es auf die Frage, welche Probleme es dort | |
gäbe, nur eine Antwort: „Die Ausländer.“ Sie machten manchmal zu viel Lä… | |
störten ihre deutschen Nachbarn aber auch mit den Gerüchen ihrer Küchen. | |
Kurzum: „Die Fremden“ waren an allem schuld. Ein Gefängniswärter steigerte | |
sich in eine Wutrede, in der er schließlich auch den Brandenburgern eins | |
mitgab: Die fuhren nämlich zum neuen Einkaufszentrum – und er stand seitdem | |
im Stau. Warum konnten sie nicht einfach zu Hause bleiben? | |
Aber vom Rassismus der Mehrheitsgesellschaft ist weder in Buschkowskys Buch | |
noch war davon unter Neuköllner Offiziellen die Rede. Möglicherweise, weil | |
viele ähnliche Vorurteile hegten. Eines betraf den schnellen Verdacht, | |
„Ausländer“ seien kriminell. So raunten Bezirksverordnete über illegale | |
Geschäfte auf einem vor allem von Migranten besuchten Flohmarkt. Die | |
Geschichte war nach einem Anruf bei der Polizei gestorben: „Keine | |
besonderen Vorfälle“, hieß es. | |
## Für immer Ausländer | |
Nach doppelten Standards – dem Reden von Integration auf der einen Seite | |
und ihrer Verweigerung auf der anderen – arbeitete das Bezirksamt in | |
mindestens zwei Fällen. So entwickelte die Verwaltung eine gewisse | |
Kreativität darin, mit dem Baurecht gegen Migrantenprojekte vorzugehen: Am | |
Buckower Damm wurde ein türkischer Hochzeitssaal verhindert – der wäre | |
außerhalb des traditionellen Nordneuköllner „Türkengebiets“, im | |
kleinbürgerlichen Britz, entstanden. Verantwortlich dafür war der damalige | |
CDU-Bürgermeister Bodo Manegold (Buschkowsky fungierte als Stadtrat für | |
Gesundheit), die SPD schwieg dazu. Der Bezirk hat eine Tradition als | |
Hochburg des rechten SPD-Flügels. | |
Im gravierendsten Fall von Diskriminierung blieb die SPD sozialdemokratisch | |
unentschlossen. In der Rollbergsiedlung hatte die landeseigene | |
Wohnungsgesellschaft Stadt und Land Wohnungen mit Billigung des | |
CDU-Stadtrats lieber leer stehen lassen, als sie an Migranten zu vermieten: | |
„Wenn Deutsche immer wieder ausländische Namen auf Klingelschildern sehen, | |
wird dies als Störung empfunden“, sagte der Geschäftsführer von Stadt und | |
Land offenherzig. „Unsere Praxis entspricht einer Erwartungshaltung der | |
deutschen Bevölkerung.“ Und die SPD? „Wenn die Ausländer über 15 Jahre h… | |
wohnen und Deutsch sprechen, dann darf die Vermietung kein Problem sein“, | |
sagte der damalige Fraktionschef Thomas Blesing. Heute ist er Baustadtrat | |
im Bezirk. | |
Möglich, dass sich ein paar Dinge mit Buschkowsky als Bürgermeister | |
verändert haben – immerhin beweist er eine gewisse Flexibilität, etwa bei | |
der Beratung von Migranten in ihrer Muttersprache. Aber den wirren und | |
hartleibigen Diskurs gegen Migranten, der vorher nur in der Neuköllner | |
Lokalpolitik zu hören war, hat er bundesweit salonfähig gemacht. Ist | |
Buschkowsky Rassist? Buschkowsky ist vor allem jemand, der die | |
traditionellen Werte der rechten SPD – Aufstiegswillen und | |
Leistungsbereitschaft – hochhält. Das Neuköllner Jobcenter hat die höchste | |
Quote von Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger in Berlin. | |
## Zynische Institutionen | |
Aber wo man Menschen abverlangt, Chancen zu ergreifen, müssen auch Chancen | |
vorhanden sein. Zur Wirtschaftspolitik in Berlin – einer Stadt, in der die | |
Industrie nach 1989 zusammenbrach und die Arbeitslosenquote in | |
astronomische Höhen schoss – fällt Buschkowsky kaum etwas ein. Hätte man | |
etwas anders machen können – auf andere Branchen setzen etwa? Oder hatten | |
Land und Bezirk getan, was man tun konnte, und die Unternehmen blieben | |
trotz bester Bedingungen desinteressiert? Waren ein oder zwei „verlorene | |
Generationen“ in Berlin geradezu unausweichlich? Und welchen Sinn haben | |
dann Repressionen gegen Hartz-IV-Empfänger? Buschkowsky schweigt. | |
Stattdessen schreibt er seitenweise über Unterschichtler, die den Staat | |
abzocken. Aber vielleicht reflektiert deren Zynismus nur den der | |
staatlichen Institutionen: die von Integration reden, aber keine türkischen | |
Hochzeitssäle in Britz wollen, die zu Schulabschlüssen antreiben, die kaum | |
etwas wert sind, und zu Bewerbungstrainings für Jobs verdonnern, die nicht | |
vorhanden sind. Und den eines Bezirksbürgermeisters, der einen Sündenbock | |
für das Versagen der Wirtschaftspolitik braucht. | |
25 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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