# taz.de -- Das Buch zur Autoren-Gattin Sarrazin: „Ich hingegen ...“ | |
> In „Hexenjagd“ wäscht Ursula Sarrazin liegengebliebene Schmutzwäsche aus | |
> ihrer Zeit als Grundschullehrerin. Lesen muss man das nicht. | |
Bild: Thriller-Autor Thilo Sarrazin und die frühere Grundschullehrerin Ursula … | |
Ist das wieder nur so eine Berlin-zentrierte taz-Perspektive, oder geben | |
sich tatsächlich überwiegend LehrerInnen aus der Hauptstadt dem neuen Trend | |
hin, Bücher über ihre Arbeit zu schreiben? In den Erlebnisberichten der | |
Brennpunkt-Lehrerin Frau Freitag, dem demnächst erscheinenden Buch der | |
„Ghetto-Oma“ Fräulein Krise oder des Schriftstellers und Ab-und-zu-Lehrers | |
Stephan Serin feiert das Berliner Klassenzimmer jedenfalls | |
verkaufsträchtige Erfolge als Schauplatz für gruselig-komische | |
Erlebnisberichte. | |
Wie einst schaurige Reportagen aus fremden Welten – in den Achtzigern etwa | |
Betty Mahmoodys Dokuthriller „Nicht ohne meine Tochter“ – scheinen diese | |
Bücher ein Bedürfnis nach Exotikgrusel zu bedienen: Wozu damals der Orient | |
diente, reicht heute offenbar Berlin. | |
Nun hat erneut eine Berliner Lehrerin ein Buch geschrieben, das allein | |
durch den Namen der Autorin Aufmerksamkeit über die Stadtgrenzen hinaus | |
erregen wird: Ursula Sarrazin ist die Ehefrau des ehemaligen Berliner | |
SPD-Finanzsenators und Thrillerautors Thilo Sarrazin („Deutschland schafft | |
sich ab“). | |
Die 1951 Geborene, Grundschullehrerin seit 1973, ist vor einem Jahr nach | |
langem, mit zunehmender Bekanntheit ihres Mannes immer öffentlicherem | |
Streit um ihre Person und Lehrmethoden vorzeitig aus dem Schuldienst | |
ausgeschieden. Im Buch beschreibt sie ihre Perspektive auf diese, laut | |
Titel, „Hexenjagd“. | |
## Kleinkariert und auf Kante gebügelt | |
Wer darin nun aber ähnlich wohligen Grusel erwartet wie bei den erwähnten | |
Büchern, wird enttäuscht werden. Bei Frau Sarrazin gruselt’s einen auch. | |
Aber ganz anders. Denn sie lüftet nicht den zarten, paillettenbestickten | |
Schleier vor der geheimnisvoll-exotischen Welt eines deutschen | |
Klassenzimmers voller Kinder aus fremdartigen Einwandererkulturen. Sondern | |
den blickdichten Vorhang vor Lehrerzimmern und Amtsstuben – und der ist | |
kleinkariert und auf Kante gebügelt wie ein deutsches Beamtentaschentuch. | |
Atemlose Erregung wird bei der Lektüre nur empfinden, wer | |
Kapitelschlusssätze wie diesen für spannende Cliffhanger hält: „Um | |
wenigstens meinen Kollegen eine Erklärung für die rüde Behandlung durch | |
Frau Windisch zu geben, informierte ich sie am 9. Juni 2008 über meine | |
Dienstaufsichtsbeschwerde.“ | |
Man muss schon ein perverser Aktenfetischist sein, um das mit Interesse zu | |
lesen. Denn das Buch ist voll solcher akribisch notierter, stets mit Datum, | |
teils mit Uhrzeiten versehener Dokumentationen darüber, wer wann welches | |
Schreiben geschrieben, erhalten, beantwortet oder eben nicht beantwortet | |
hat, was wann wo gesagt und wann wo falsch wiedergegeben wurde, in wie | |
viele Schnipsel Oberschulrat K. gar welche Zettel zerrissen hat – meist | |
sogar mit Klarnamen von Lehrkräften, Eltern, VerwaltungsmitarbeiterInnen. | |
## Alles Neid und Missgunst | |
Schulleiter S. mischt sich ungefragt in Lehrerin Sarrazins Unterricht ein? | |
Das lässt sich eine Frau Sarrazin nicht bieten: „Ich benachrichtigte | |
Schulrätin Frau Liebherr am 4. Januar 2011 schriftlich auf dem Dienstweg“ – | |
die Hexe auf der Jagd. Doch das ist natürlich die ganz falsche Perspektive: | |
Denn Vorwürfe gegen Frau Sarrazin sind grundsätzlich „erfunden“ oder | |
„erlogen“, „abartig“, „unverschämt“ oder „lächerlich“. Dass s… | |
„übelwollenden Kollegen“ für rechthaberisch gehalten wird, erklärt sich | |
folgendermaßen: „Ich hatte eben meistens tatsächlich Recht.“ | |
„Ursula Sarrazin spricht aus, welche Fehler die Politik, die Lehrer, die | |
Eltern im vielleicht wichtigsten gesellschaftlichen Bereich – der Erziehung | |
– täglich machen“, schreibt der Diederichs-Verlag über das Buch. Das ist | |
irreführend. Über ihre eigene Betroffenheit hinausreichende Analysen gibt | |
es in Ursula Sarrazins Buch nicht. Ihr geht es nur um das, was andere | |
falsch machen: „Ich hingegen …“ oder „War ich es doch, die …“ sind … | |
Satzanfänge in ihrem Buch. | |
Sie ist das Opfer – von bösartigen Kollegen, unfähigen Vorgesetzten, | |
überengagierten Eltern, von diesen allen manipulierten SchülerInnen, das | |
Opfer von Missgunst und Neid in Bezug auf die Bestseller ihres Ehemanns. | |
Mehr hat Ursula Sarrazin nicht zu sagen. Lesen muss man das nicht. | |
2 Oct 2012 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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